Krefeld 1990: Als heute Krefelds Zukunft war

Krefeld · 1990 wurde der Rahmenplan Innenstadt für die Entwicklung Krefelds vorgelegt. Wie sieht die Bilanz aus?

 So hat man sich 1899 die Krefelder Innenstadt im 20. Jahrhundert vorgestellt.  Und wie stellte man sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts Krefelds Zukunft vor?

So hat man sich 1899 die Krefelder Innenstadt im 20. Jahrhundert vorgestellt. Und wie stellte man sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts Krefelds Zukunft vor?

Foto: Stadtarchiv Krefeld

Das Stadtarchiv hat unlängst auf seiner Facebook-Seite eine Postkarte veröffentlicht: Sie erschien 1899 und entwarf eine Vision für Krefeld im 20. Jahrhundert (unser Foto). Sieht man vom Spaß mit den Gondeln und den Seilbahnen ab, bleibt das Fahrrad als Verkehrsmittel der Zukunft. Sieh an: So viel schlauer als 1899 sind wir heute nicht. Für uns war die Postkarte ein Anlass zu fragen, wie denn Krefelds jüngster Blick in die Zukunft aussah. Er datiert ins Jahr 1990. Damals legte das Stadtplanungsamt den „Rahmenplan Innenstadt“ vor, federführend ausgearbeitet von Prof. Klaus Humpert, heute gelegentlich als „der Humpert“ zitiert. Liest man das Papier heute, wird einem frech zumute. Das war’s an Vision 1990? Die Lektüre ist ein lehrreicher Blick zurück in die nun bekannte Zukunft. Eine These vor allem schält sich beim Nachdenken über Humpert heraus: Der Kampf gegen das Auto in der City war ein verhängnisvoller Irrweg. Die Bilanz also, frech notiert:

A) Bei Humpert zu finden sind Binsenweisheiten vom Typ „Zur Verschönerung des Stadtraums muss der Stadtraum verschönert werden.“ Zitat aus dem Kapitel „Stadtgestalt“: „Durch die Verbesserung der Stadtgestalt gelingt es, die Charakteristik der Vorgaben der Stadt qualitätvoller anzubieten.“ Fairerweise muss man sagen, dass in dem Gutachten die Sanierung der vier Wälle, ein Beleuchtungskonzept (mit Lichtkunst auf den Wällen) und einheitliche Bodenbeläge für die Innenstadt vorgeschlagen werden.

B) Bei Humpert zu finden sind strukturelle Vorschläge, die nicht umgesetzt sind. So schlägt Humpert vor, den Ostwall von seinem Haltestellen-Dasein zu erlösen und stattdessen ein Ringbus-System rund um die City zu schaffen. Ziel: Den Ostwall als Platz zu gewinnen. Das Ergebnis ist bekannt.

C) Bei Humpert zu finden sind Vorschläge, die umgesetzt sind, aber kein Problem gelöst haben. Mindestens Ost- und Südwall sind, wie von Humpert gefordert, tadellos saniert und sehr schön, nur war das kein Durchbruch im Empfinden der Menschen, was die Schönheit Krefelds angeht. Heute ist ausgerechnet der weitgehend ungestaltete Westwall ein boomendes Wohnareal, in dem die zauberhafte Bausubstanz saniert und in hochwertigen Wohnraum umgewandelt wird. Der Effekt geht nicht auf vorausschauende Stadtplanung zurück, sondern auf Marktmechanismen und die Nachfrage nach stilvollem Wohnraum in der Stadt.

D) Bei Humpert zu finden ist Ahnungslosigkeit über das, was die Zukunft bringt: das Internet zum Beispiel. Man solle, so eine Empfehlung in dem Gutachten, neuen Einzelhandel doch westlich der Hochstraße etablieren, da „der Bereich der höchsten Zentralität aus dem Wallviereck leicht zum Ostwall verschoben ist“. Wie sehr der Einzelhandel heute kämpfen muss, wie wenig man als Stadtplaner die Fülle an Geschäften hin- und herschieben kann, hat 1990 niemand geahnt.

E) Bei Humpert zu finden sind zutreffende Beobachtungen, für die man keinen Gutachter gebraucht hätte. Vor allem, heißt es 1990, sei „der Bereich der Südweststadt von Ausländern überdurchschnittlich bewohnt. Ein dynamischer Segregationsprozess drückt die Ausländer immer in das nächste schlechte Wohnquartier.“ Allgemein heißt es dazu nur: „Innerhalb des Wallvierecks sollte das Wohnen in Zukunft planerisch gestützt werden, um einer monofunktionalen Innenstadt entgegenzuwirken.“ Was heißt das genau? Das ist wieder so ein Tipp der Kategorie „Ein Mittel gegen Armut ist es, nicht arm zu sein.“

F) Bei Humpert zu finden ist die Empfehlung, in der Innenstadt Wohnraum zu schaffen. Nur sind die Empfehlungen dazu unentschieden bis lebensfremd. So heißt es, man solle in der Innenstadt „in den Obergeschossen, zumindest in den Dachgeschossen“, das Wohnen planerisch festzusetzen. Daneben steht aber auch die Empfehlung einer „flächigen Verkehrsberuhigung im gesamten Stadtfeld innerhalb der Wälle“. Das also war die Vision 1990: Innerörtlich müssen die Leute in einer autofreien Fußgängerzone in Dachgeschossen wohnen. Der Ruf nach flächiger Verkehrsberuhigung wird dabei nicht weiter begründet. 1990 war diese Forderung offenbar gesetzt wie die Schwerkraft: Das Auto ist böse und muss raus.

In Wahrheit lag dieser Vision die geistlose Fortschreibung der 1990-er Gegenwart zugrunde: Innenstädte sind im Wesentlichen nicht überdachte Einkaufszentren. Man muss sich klarmachen, dass der letzte strukturelle Eingriff in die Krefelder Innenstadt die Einrichtung der Fußgängerzone war; danach gab es keine städteplanerische Innovation mehr. Wir leben heute in einer City, die Ende der 60er Jahre als letzter Schrei empfunden wurde.

Mit Folgen: Die stille Verteufelung des Autos, die surreale Vorstellung, dass Menschen in riesigen Fußgängerzonen klaglos in Obergeschossen hausen, hat Verhältnisse zementiert, die es heute schwermachen, Innenstädte als Wohnraum zurückzuerobern. Wer will, dass Menschen in der City wohnen, der muss ihnen den Zugang mit dem Auto und Parkmöglichkeiten eröffnen.

G) Nicht zu finden bei Humpert sind Strategien, wie man als Stadt den sozialen Absturz eines Viertels oder „Segregationsdruck ins nächste schlechte Wohnquartier“ verhindert. Solche Phänomene aber gab es 1990 in jeder Großstadt, doch auf solche existenziellen Fragen hatten die Fachleute keine Antwort.

So legt man das Gutachten aus der Hand und denkt: Wir brauchen nicht mehr Gutachten, sondern mehr Entschlossenheit und mehr Realismus derer, die eine Stadt kennen. Es mangelt nicht an Wissen, es mangelt an Mut zum Handeln. Gutachten sind zu oft Ausreden zum Abwarten; manchmal: rausgeschmissenes Geld.

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