Halsbandsittiche als Klimagewinner Krefelder Hauswände werden zu Nisthöhlen
Krefeld · In Uerdingen haben Halsbandsittiche frisch gedämmte Hauswände als Nistplatz entdeckt; die klugen Höhlenbrüter hacken und knabbern Löcher in die Oberfläche und finden dahinter ideale Nistbedingungen.
Erst traut man seinen Augen nicht: In der gedämmten, im Sonnenlicht strahlend weißen Wand eines Hauses in Uerdingen an der Westerburgstraße, Ecke Hochstadenstraße, ist ein vielleicht zehn Zentimeter großes Loch. Plötzlich fliegen zwei leuchtend grüne Halsbandsittiche das Loch an. Ein Tier verschwindet sofort in der Öffnung, der andere Vogel positioniert sich darüber auf der Dachrinne – wie in einem Ausguck. Nach ein paar Sekunden fliegt auch er das Loch an und scheint, so sieht es jedenfalls von unten aus, den zweiten Vogel zu füttern.
Kein Zweifel: Die Krefelder Halsbandsittiche haben gedämmte Hauswände als Reservoir für Nisthöhlen entdeckt. „Diese Wände haben aus Sicht der Vögel die Konsistenz von morschem Holz“, sagt Nabu-Sprecherin Birgit Königs zu dem Verhalten, das auch von Spechten bekannt ist. Gerade Nisthöhlen sind in freier Natur knapp, weil es in unseren Nutzwäldern kaum noch morsche Bäume gibt.
Krefeld sei bislang der nördlichste Siedlungspunkt für Halsbandsittiche, berichtet Christian Chwallek, stellvertretender Leiter des NRW-Nabu und Ornithologe. „Die Vögel finden entlang der Rheinschiene mikroklimatisch gute Lebensbedingungen“, sagt er, „sie sind Gewinner des Klimawandels: Die Winter sind milde geworden. Längere Frostperioden würden die Bestände drastisch reduzieren.“
Wohl am bekanntesten ist die Kolonie in Köln. Dort soll der Halsbandsittich 1969 erstmals als „Gefangenschaftsflüchtling“ in Parks angetroffen worden sein; von dort aus wurde die Art bekannt – so bekannt, dass der Vogel zum Helden in einem Comic der deutsch-iranischen Künstlerin Sarah Burrini wurde: Demnach wird ein Halsbandsittich wüst rassistisch beschimpft, bis der Vogel in breitem Kölsch erklärt, er sei in Kölle geboren. Die Kolonie dort soll heute rund 3000 Exemplare umfassen, deutschlandweit leben mittlerweile geschätzt rund 15.000 Vögel in 30 Populationen (die Zahlen variieren).
Solche Kolonien treten laut Chwallek allenfalls punktuell auf. Das ist wichtig für die Einschätzung im deutschen Ökosystem: 2012 gab es eine Debatte, ob Halsbandsittiche auf die Schwarze Liste des Bundesamtes für Naturschutz gehören, einer Liste, auf der Neozoen, also eingewanderte Arten, geführt werden, die am besten auszurotten sind, weil sie heimischen Arten bedrohen. Bei Halsbandsittichen fürchtete man, dass die Papageien zu scharfen Konkurrenten für einheimische Höhlenbrüter werden können.
Die Sorge ist nicht unbegründet. Die „Süddeutsche“ berichtete über ein Pflegeheim in Heidelberg, bei dem Halsbandsittiche Nisthöhlen besetzten, die zuvor von Spechten in die gedämmten Wände des Heims geklopft worden waren. Um die Wände vor Schaden zu bewahren, wurden die Löcher verschlossen. Den Sittichen wurden als Ersatz eigens gebaute Nistkästen angeboten. Die Vögel, die als Papageien neben den Raben zu den klügsten Vogelarten gezählt werden, nahmen das Angebot an.
Nicht alle Vogelfreunde sind so milde gestimmt. Die SZ zitierte in ihrem Bericht über die Debatte von 2012 einen Wissenschaftler der Universität Bern, der für die Ausrottung der Art in Europa plädierte. Demnach können Halsbandsittiche Krankheiten wie die Vogelgrippe oder die sogenannte Papageienkrankheit verbreiten – eine bakterielle Lungeninfektion, die auf den Menschen übertragbar ist.
Das Bundesamt für Naturschutz folgte nicht und plädierte dafür, die Ausbreitung der Art und deren Folgen erst einmal weiter zu beobachten. Das gilt in den Naturschutzbehörden bis heute: „Eine Bekämpfung beziehungsweise Reduzierung der lokalen Vorkommen ist nicht notwendig“, erklärte eine Sprecherin des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (Lanuv) am Montag auf Anfrage.
Die Bestände der Halsbandsittiche bleiben im Ganzen überschaubar und lokal begrenzt, die Vögel bedrohen bislang keine heimischen Arten – zumal sie in der Regel Städter sind, weil die Temperaturen in den Städten etwas höher sind als in Feld, Wald und Flur. Das gilt stets vorerst. In London, so kann man lesen, dürfen Halsbandsittiche geschossen werden, nachdem die Population auf 30.000 Tiere angewachsen war. In Köln gab es 2017 einen Vorstoß der Politik, die Zahl der Papageien drastisch zu reduzieren, auch in Düsseldorf wurde die Debatte geführt. Lärm, Dreck, Obstfraß und die befürchtete Nisthöhlenkonkurrenz zu anderen Vögeln oder Fledermäusen waren die Motive.
Auch ohne ökologischen Bedenken können die Vögel eben zur Plage werden, wenn sie ihre Schlaf- und Nistplätze vollkoten oder in Gärten und Obstplantagen über das Obst herfallen. Sie ernähren sich von Früchten, Knospen, Blüten, Samen und Körnern und plündern gerne das Futter in Vogelhäusern.
Halsbandsittiche sind keine geschützte Art. Nabu-Ornithologe Christian Chwallek hofft dennoch, dass das Loch in Uerdingen nicht sofort verschlossen wird, sondern erst, wenn die Brut flügge geworden ist. Verschlossen werden muss es jedenfalls, sonst droht Schimmel hinter der Wand. Mensch und Vogel sind an diesem Ort eben nicht kompatibel.