Kneipensterben in Krefeld Traditionsgaststätte Blauer Engel funkt SOS

Krefeld · Die Krefelder Kult-Kneipe „Blauer Engel“ versucht, mit einer Crowdfunding-Aktion zu überleben. Hilfe vom Bund kommt viel zu schleppend.

  „Für den Engel sieht es schlecht aus. Ich muss sehen, wie lange ich das noch stemmen kann“: Jan Aretz im Blauen Engel.

 „Für den Engel sieht es schlecht aus. Ich muss sehen, wie lange ich das noch stemmen kann“: Jan Aretz im Blauen Engel.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Jan Aretz steht vor seinem Laden, dem Blauen Engel an der Schwertstraße. Die Türen sind verschlossen, seit Wochen durfte kein einziger Besucher mehr eintreten. Der Engel steht vor dem Ruin. „Wir haben jetzt den fünften Monat in den vergangenen zwölf Monaten geschlossen. Wenn der Lockdown tatsächlich bis März weitergeht, dann reden wir von sieben von zwölf Monaten. Das ist einfach nicht zu überstehen“, sagt Aretz. Seit fast genau vier Jahren betreibt er die Gaststätte. Diese gibt es sogar seit 38 Jahren. Der Blaue Engel ist eine echte Institution für Krefeld. „Eine Geburtstagsfeier, die wir im Sommer veranstalten wollten, war nicht möglich. Mal sehen, wie das in der Zukunft wird“, erzählt Aretz traurig.

Aktuell arbeitet er auf dem Bau, um überhaupt Geld zum Leben zu verdienen. Anspruch auf Grundsicherung habe er nicht. „Das wurde mir auf dem Amt so mitgeteilt. Ich bin gelernter Tischler und habe dann bei einem Freund einen Job bekommen. So kann ich zumindest meine Miete zahlen und Essen kaufen. Aber für den Engel sieht es schlecht aus. Ich muss sehen, wie lange ich das noch stemmen kann. Vermieter und andere Kosten bleiben ja vorhanden. Die sind fein raus und sperren weiter die Hände auf. Wir stehen allein da“, sagt er.

Die Hilfen der Bundesregierung liefen nur schleppend. „Die November-Hilfen haben wir mit einigen Abschlägen bekommen. Aber noch gibt es keine Konzepte für die weiteren Monate. Ich sitze regelmäßig mit meinem Steuerberater zusammen, um wirklich alles mitzunehmen, was geht. Aber es reicht vorn und hinten nicht“, sagt er.

 Bedarf keiner Erläuterung. Schild im Blauen Engel.

Bedarf keiner Erläuterung. Schild im Blauen Engel.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Dabei ist sein Wunsch einfach nur, wieder selbst für sein Leben und sein Unternehmen verantwortlich zu sein – und die Verantwortung für seine Mitarbeiter übernehmen zu können. „Wir haben zwei Festangestellte und etwa 14 zumeist studentische Aushilfen. Auch für die habe ich ja eine gewisse Verantwortung. Ich würde gern nach dem Lockdown mit demselben Team weiter machen. Aber ob das geht, das steht in den Sternen“, sagt er. Auch alternative Konzepte sind derzeit nicht umsetzbar. „Wir haben mit ein paar Gastronomen im November eine Glühweintour organisiert. Gar nicht unbedingt, um damit Geld zu verdienen, sondern um im Gespräch zu bleiben. Aber dann kam das Alkoholverbot, und auch das war gestorben“, sagt er. Der Kontakt mit anderen Gastronomen und Geschäftsinhabern sei intensiv. Aber wirklich helfen könne man sich nicht. „Ein guter Freund hat drei Friseurläden. Einen hat er erst kurz vor dem ersten Lockdown eröffnet und darum auch noch größere Belastungen. Er ist noch viel schlimmer dran, als ich“, erzählt er. Viele Gastronomen stehen ebenfalls vor dem Ruin.

Aretz startete nun eine Crowdfundingkampagne auf der Plattform Startnext. „Wenn alles klappt, wie wir uns das vorstellen, dann haben wir genug Geld, um bis etwa Ende März oder April über die Runden zu kommen. Vielleicht etwas länger. Dann muss es weiter gehen, sonst war es das“, sagt er. Bislang ist knapp ein Drittel der Summe erreicht. „Leider sind wir nicht so präsent auf Social Media. Ich bin da, wie ich zugeben muss, eine ziemliche Niete. Kolja vom Schlachthof ist da viel besser und hat sein Ziel in Rekordzeit erreicht. Aber ich habe auch eine andere Kundenstruktur, auch was das Alter angeht. Da ist es etwas schwieriger. Trotzdem hoffe ich, dass wir das Ziel erreichen, und der Engel überlebt“, sagt er.

Derzeit stellt er seine Fenster Künstlern zur Verfügung, damit sie dort ausstellen können. „Das bringt zwar kein Geld, aber wenigstens etwas Aufmerksamkeit. Außerdem helfe ich den Künstlern, zumindest ausstellen zu können. Wir müssen alle zusammenhalten“, befindet er.Die Zukunft sieht er nicht rosig.

„Ich weiß nicht, ob ich auf die Impfung hoffen soll. Wenn ich sehe, wie langsam das geht, bin ich nicht optimistisch. Und wenn ich höre, dass es Konzepte für Hilfen bis in den Juli gibt – sollte es dazu kommen, es so lang zu bleiben, wäre es der Tod der Gastronomie, da bin ich sicher. Für den Engel wäre es in jedem Falle das Aus“, mahnt er.

Ein Takeaway-Geschäft hilft ihm auch nicht. „Wir bieten zwar Essen an, aber der Engel wird weniger als Essgastronomie wahrgenommen. Auch wenn wir eine sehr treue Gemeinde haben, die Leute gehen bei uns eher ein Bier trinken. Wir haben im ersten Lockdown Takeaway versucht, aber teilweise nur drei Essen verkauft. Aber Vorräte, Personal, Strom, Gas und so weiter sind viel zu hohe Kosten. Da habe ich draufgezahlt“, sagt er.

Darum ist aktuell komplett geschlossen. Die konkrete Perspektive fehlt. Die Hoffnung ist nun, mit der Crowdfunding-Kampagne genug Geld zu bekommen, um sich ins Frühjahr zu retten – und dass es dann danach irgendwie weitergeht. „Ich hoffe, dass wir die 40 Jahre Engel-Party 2022 feiern können. Irgendwie“, sagt Aretz.

Aber der Frust und die Sorgen schwingen in seiner Stimme mit. Er wirkt niedergeschlagen, ausgezehrt. Die Lage belastet ihn. Wie viele andere Gastronomen und Geschäftsinhaber auch.

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