Neuer Leiter am Berufskolleg Glockenspitz Schwerer Start mitten in der tiefsten Corona-Krise

Interview | Krefeld · Seit Februar leitet Oliver Lenz das Berufskolleg Glockenspitz. Der Oberstudiendirektor möchte das verblasste Image der Schule aufpolieren und die Stärken der Schule nach Außen präsentieren.

 Oliver Lenz ist der Neue am Berufskolleg Glockenspitz. Seit Februar leitet er die Schule, die durch ihre Vielfalt in allen Bereichen auffällt. So sind an der Schule rund 2000 Schüler zwischen 15 und 50 Jahren aus 40 Nationen. 

Oliver Lenz ist der Neue am Berufskolleg Glockenspitz. Seit Februar leitet er die Schule, die durch ihre Vielfalt in allen Bereichen auffällt. So sind an der Schule rund 2000 Schüler zwischen 15 und 50 Jahren aus 40 Nationen. 

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Wie ist es, als neuer Schulleiter seinen ersten Arbeitstag in einem fast leeren Gebäude zu verbringen?

Lenz Surreal. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Ich kam Anfang Februar, Mitten in der tiefsten Corona-Krise, mit meiner Tasche hier an und saß in dem neuen, schönen Arbeitszimmer und da war – nichts. Keine Schüler, keine Kollegen. Alles war ruhig. Nur das Sekretariat war besetzt und Frau Kunkel, meine Stellvertreterin, war im Einsatz. Mit ihr zusammen habe ich überlegt, wie wir jetzt am besten vorgehen. Von meinem Start waren wir beide überrascht worden und hatten erst Ende Januar davon erfahren. Das Bewerbungsverfahren war bereits Ende Dezember abgeschlossen, danach hatten wir aber nichts mehr gehört. Dann ging alles ganz schnell. Nach 18 Jahren am Berufskolleg (BK) Vera Beckers konnte ich mich nur per Mail von den Kollegen verabschieden, und bei dem neuen Kollegium habe ich mich in einer Video-Botschaft vorgestellt. Ich konnte mich schließlich nicht einfach so ins Arbeitszimmer setzen. Es war also eine durch und durch surreale Situation.

Wie schätzen Sie die Schulsituation nach über einem Jahr Pandemie ein?

Lenz Ich glaube, jeder Schüler und jeder Lehrer hat das für ihn Bestmögliche aus der Situation gemacht. Das, was herausgekommen ist, ist nicht optimal, das wissen wir alle. Aber wir dürfen diese Situation nicht den Schülern oder Kollegen anlasten. Da ist an anderer Stelle viel versäumt worden, was Schule nun ausbaden muss. Wir werden Schüler nicht durch Meckern und schlechte Noten motivieren. Motivieren müssen wir sie aber, weil viele in dieser Zeit quasi schulisch verwahrlost sind, das Lernen verlernt haben und sich erst wieder an lange Schultage gewöhnen müssen. Unser Job wird es nach den Sommerferien sein, Schüler wieder an ihre Schulform zu binden, sie durch Schaffen eines gemeinsamen Ziels zurück ins Schul-Team zu holen. Wir müssen aber auch den Lehrstoff straffen und an einigen Stellen abspecken. Es wäre mein Wunsch gewesen, dass bereits in der Zeit des Distanzunterrichts die Lehrpläne überarbeitet und Inhalte hinterfragt worden wären, was leider nicht durchgängig geschehen ist.

Wie kann eine Berufsschule mit so vielen verschiedenen Zweigen und Stundenplänen schulische Defizite aus der Pandemie aufholen?

Lenz Das ist eine gute Frage, die wir uns auch stellen. Wann sollen wir beispielsweise in der Berufsschule Förderkurse anbieten? Die Schüler sind ja nur eine begrenzte Stundenzahl bei uns und ansonsten in den Betrieben. Und die Ausbildungsbetriebe werden wahrscheinlich nicht Stunden ihrer bezahlten Arbeitszeit dafür hergeben, dass die Jugendlichen Lehrstoff nachholen. Eine Lösung für das Problem ist aber auch in anderen Bereichen schwierig zu finden.

Dabei tut Förderung Not, damit Unterricht überhaupt möglich ist.

Lenz Natürlich. Wir tragen die Defizite gerade in die nächste Klasse, weil wir als Schule in diesem Jahr Haus und Hof öffnen mussten, um allen Vorgaben des Ministeriums gerecht werden zu können. So ergibt sich ein äußerst verzerrtes Bild von Schülerleistungen und sich daraus ergebenden Abschlüssen. Aber was wäre die Alternative gewesen? Das Landesschulministerium hat so viele Möglichkeiten eröffnet, dass es für uns als Schule schwierig wurde, die Erlasse den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend schülergerecht umzusetzen. Und es macht keinen Sinn, wenn sich ein Schüler zwar in so vielen Fächern wie er möchte zu Nachprüfungen anmelden kann, es dann in fünf Fächern macht und am Ende nicht zur Prüfung kommt, weil das damit verbundene Lernpensum einfach nicht zu schaffen ist. Schließlich gibt es Lehrer, die diese Prüfungen bis ins Kleinste vorbereiten müssen, und auch der Schüler wird durch die Überforderung über Gebühr psychisch belastet. In solchen Fällen versuchen wir Alternativen aufzuzeigen, indem Klassenlehrer und Beratungsteam  u. a. mit dem Jobcenter kooperieren oder in duale Ausbildungen vermitteln. Darüber hinaus arbeiten wir schulübergreifend in enger Kooperation mit den drei anderen BKs. Vielleicht gibt es an einem der anderen Kollegs einen Bildungsgang, der besser zu dem betroffenen Schüler passt und ihm mehr Spaß macht. Um allen gerecht werden zu können, haben wir dieses Jahr sehr ausführliche Zeugniskonferenzen abgehalten und wirklich über jeden Schüler gesprochen. Des Weiteren haben wir zahlreiche Gespräche mit Schülern und Eltern geführt, die zum Teil therapeutischen Charakter hatten. Auch da kommen wir dann an unsere Grenzen, weil wir dafür eigentlich nicht ausgebildet sind. Durch die Pandemie sind die Anforderungen an das Kollegium um ein Vielfaches gestiegen. Und keiner von uns war auf einen derartigen Verlauf der Pandemie vorbereitet. Das darf man nicht vergessen, wenn man auf die Lehrer schimpft.

Immerhin hat Ihre Schule Ipads aus dem Digitalpaket des Landes erhalten.

Lenz Das stimmt, wir haben vor Ostern 183 Ipads für Schüler und 102 für Lehrer erhalten. Das hat uns sehr gefreut, auch wenn bei insgesamt rund 2000 Schülern nur wenige davon profitierten. Wir waren jedoch fälschlicherweise davon ausgegangen, dass diese Geräte einsatzbereit sind. Dem war jedoch nicht so. Erst fehlten die Hüllen, in denen die Tastaturen integriert sind, diese kamen erst später an, dann merkten wir, dass die Ipads nicht konfiguriert sind. Die Vorinstallation haben dann Kollegen übernommen, die sonst Praxisunterricht geben, der nur in Teilen durch Videokonferenzen ersetzt werden konnte, und waren damit bei 285 Geräten tagelang beschäftigt. Außerdem mussten für alle Gerät Verträge ausgefüllt und von Schülern und Lehrern unterschrieben werden, damit war meine Stellvertreterin über Wochen ausgelastet. Schlussendlich war es auch an uns, die Pads mit verschiedenen Aufklebern, zum Beispiel Gerätenummer oder Digitalpaket, zu versehen, wie uns in einem Schreiben erklärt wurde. Eigentlich jedoch sind wir Lehrer, und das sind nicht unsere ursprünglichen Aufgaben.

Wer waren schließlich die Glücklichen, die ein solches Gerät bekommen haben?

Lenz Meine Stellvertreterin, Frau Kunkel, und ich haben uns in der erweiterten Schulleitungsrunde darauf verständigt, dass sie die Schüler bekommen, die es am nötigsten brauchen wie z. B. Schüler der Internationalen Förderklasse, der Ausbildungsvorbereitung und der Berufsfachschule. Dafür waren die Geräte auch vorrangig vorgesehen. Die Schüler aller anderen Bildungsgänge hatten darüber hinaus auf Anfrage die Möglichkeit, am Digitalunterricht aus den Räumen der Schule teilzunehmen. Wir mussten allerdings ernüchternd feststellen, dass in der vorangegangenen Zeit des Distanzunterrichts Schüler dieser Bildungsgänge regelrecht „abgetaucht“ sind und für uns gar nicht mehr erreichbar waren, weder über Telefon noch über Mail. Als Schule haben wir im Rahmen des Schulpflichtgesetzes die Überwachungspflicht zur Teilnahme am Unterricht und wollten durch die Ipads gerade bei den Schülern ein Zeichen setzen, die Ihre Absenz häufiger mit Mangel an digitaler Ausstattung begründen. Allein, was all die Anrufe und Mails uns Zeit gekostet haben, das kann man sich kaum vorstellen. In der Anfangsphase des Digitalunterrichts habe ich von einigen Lehrern die Rückmeldung bekommen, dass von 18 Schülern in den Videokonferenzen nur zwei oder drei anwesend waren. Ob wir mit unseren Bemühungen das beabsichtigte Ziel erreicht haben, bleibt allerdings fraglich.

Einige Schüler waren also technisch nicht gut ausgerüstet. Wie sieht es mit der Schule aus?

Lenz Auch nicht gut. Wir haben als Schule in Eigeninitiative zehn Räume mit WLAN ausgestattet, um die neu gelieferte Technik überhaupt nutzen zu können. Davor haben wir die Internetverbindung über private Handys hergestellt. Schuldezernent Markus Schön hat mir aber zugesichert, dass die Aufträge vergeben sind und dass im nächsten Jahr die digitale Infrastruktur modernisiert wird. Das ist für uns auch deshalb wichtig, weil wir im Rahmen des Schulversuchs ,Regionales Bildungszentrum, in dem wir seit Ende letzten Jahres mit den drei anderen BKs in Krefeld sehr eng zusammenarbeiten, eine funktionierende digitale Infrastruktur benötigen. Hintergrund ist, dass es Probleme dadurch gibt, dass Ausbildungsbetriebe mehrere Auszubildende einstellen, die sich in der dreimonatigen Probezeit beweisen müssen, davon aber nur einen übernehmen. Die zwei anderen stürzen danach oftmals in ein schwarzes Loch, haben keinen Plan B und dann auch keine Berufsschule mehr. Je geringer der Schulabschluss, umso schneller geraten diese Jugendlichen auf die schiefe Bahn. Wenn wir dagegen nichts unternehmen, wird es gesellschaftlich gefährlich. Hier wird in drei Arbeitskreisen zu den Themen ,Übergangsgestaltung’, ,Digitalangebote für Klassen des dualen Systems’ und ,Blended Learning in den Klassen der Weiterbildung’ gearbeitet. Wir müssen sie auffangen und ihnen Perspektiven bieten. Ein weiteres Modul ist die Digitalisierung. Wir arbeiten daran, Fächer, die berufsunabhängig unterrichtet werden wie Politik digital anzubieten. Denkbar ist, dass die Schüler acht Stunden in der Schule unterrichtet werden und vier zu Hause. Neben der Schaffung von Angeboten für Jugendliche ohne berufliche Orientierung, sind wir aktuell dabei, digitale Pools mit Lernstoff zu erstellen, aus denen sich alle vier BKs bedienen können. Aber auch dafür brauchen wir eine moderne Infrastruktur im Kolleg.

Welche Ziele haben Sie sich in der neuen Schule gesetzt?

Lenz Ich möchte Farbe in den Schulalltag bringen und dafür sorgen, dass sich Schüler und Lehrer hier wohlfühlen. Von meiner langjährigen Chefin am Vera Beckers Kolleg, Frau Schomacher, habe ich in den langen Jahren der Zusammenarbeit viel lernen können. Solche Erfahrungen sind wertvoll. In den vergangenen Jahren ohne kontinuierliche Leitung hat das Image des BK Glockenspitz nach meiner Wahrnehmung etwas gelitten. Nun wollen wir es gemeinsam wieder aufpolieren. Wir sind bunt, eine Schule mit vielen Gesichtern, 40 Nationalitäten, verschiedensten Altersstufen und Angeboten. Und genauso lebendig möchten wir auch wahrgenommen werden.

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