Kommentar Das Drama an der Philadelphiastraße
Krefeld · Ein Vater droht aus Verzweiflung über die bevorstehende Abschiebung, sein Kind vom Balkon zu stürzen. Das Drama wirft ein grelles Licht auf Versäumnisse in der Asylpolitik.
Es ist dies eines jener Geschehnisse, denen man sich vorsichtig urteilend nähern muss. Wer will ins Herz eines Mannes schauen, der droht, sein Kind vom Balkon zu werfen? Die dramatischen Stunden an der Philadelphiastraße sind Gott sei Dank ohne Verletzte zu Ende gegangen. Als eine albanische Familie nach mehreren Aufforderungen zur Ausreise zwangsweise abgeschoben werden sollte, ließ sich der 30-jährige Vater zu dieser Verzweiflungstat hinreißen. Drohte erst städtischen Mitarbeitern mit dem Messer und dann, sein Kind in die Tiefe zu werfen. Es war der letzte Versuch, über die Öffentlichkeit ein Einlenken der Behörden zu erpressen.
Das Drama zeigt nicht einfach, dass Abschiebungen inhuman sind; es zeigt, zu welchen Verwerfungen langwierige Aufenthaltsverfahren und inkonsequentes Abschieben führt. Die Familie war 2015 nach Deutschland gekommen; sie hatte drei Jahre Zeit, hier Fuß zu fassen, heimisch zu werden, sich eine Existenz aufzubauen. Gerade bei Kindern oder Jugendlichen können drei Jahre eine entscheidende Phase sein: lang genug, um den Kontakt zur Heimat innerlich zu verlieren und hier Wurzeln zu schlagen, die tiefer reichen mögen als bei Erwachsenen. Werden solche Wurzeln dann abrupt gekappt, mögen der Schmerz und Gefühle der Verlorenheit sogar größer sein als bei Erwachsenen.
Und schließlich sind drei Jahre eine verdammt lange Zeit, die Hoffnung zum Bleiben zu nähren und wachsen zu lassen. Der albanische Vater hatte hier einen Job, er war akzeptiert, hatte Perspektiven.
Da ein Staat sich selbst aufgeben würde, wenn er jedem, der es fordert, ein Bleiberecht gibt: Der Fall zeigt nicht einfach, dass Abschiebung inhuman ist. Fair wäre es gewesen, der Familie schnell anzuzeigen, ob sie bleiben kann. Nicht die Abschiebung ist der Skandal, sondern die Dauer des Schwebezustands. Hierzulande werden Bestrebungen, Asylbewerbern rasch Klarheit über ihre Zukunft zu geben, fast schon diffamiert: Zentrale Auffangzentren zum Beispiel, die eben das ermöglichen sollen, werden als „Lager“ gebrandmarkt – ein Wort, das in Deutschland einen schrecklichen Klang hat. Die Niederländer haben solche Zentren eingerichtet – ist das Land deswegen inhuman? Nein. Schnelle Klarheit samt entschlossener Abschiebung sind am Ende humaner als jahrelange Unklarheit. Das ist die Lehre aus dem Drama an der Philadelphiastraße.