Krefeld Handballtorwart mit nur einem Arm

Krefeld · Matthias Thiemann verlor im Alter von 24 Jahren bei einem Arbeitsunfall den rechten Arm. Trotzdem spielt der 41-Jährige bis heute sehr erfolgreich Handball, fand Glück in Familie und Beruf. Seine Geschichte ist inspirierend.

 Matthias Thiemann hat nach dem Unfall, bei dem er seinen rechten Arm verlor, alles neu lernen müssen. Inzwischen meistert er nicht nur sein alltägliches Leben. Er spielt auch wieder Handball.

Matthias Thiemann hat nach dem Unfall, bei dem er seinen rechten Arm verlor, alles neu lernen müssen. Inzwischen meistert er nicht nur sein alltägliches Leben. Er spielt auch wieder Handball.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Matthias Thiemann galt im Jahr 2001 als großes Handballtalent. Mit damals 23 Jahren wechselte der Torwart aus Traar zum TV Korschenbroich. Der war seinerzeit ein ambitioniertes Team in der dritten Liga. „Ich kam aus der Bezirksliga und habe mich recht schnell etabliert“, erzählt der heute 41-Jährige.

Doch dann passierte es: Es war März und der Student ging seinem Nebenjob in einem Gartenbaubetrieb nach. „Ich habe Gartenabfälle in einen großen Häcksler geworfen“, erinnert er sich an den schicksalhaften Tag. „Was dann passiert ist, kann ich im Rückblick nicht sagen. Ich weiß nur, dass ich plötzlich mit dem Arm im Häcksler steckte. Das war eine große Maschine für mehrere Zentimeter dicke Äste.“ Er vermutet, ein Ast habe sich im Handschuh verfangen. „Ich habe erstaunlicherweise gar nichts gespürt. Vermutlich war ich so voller Adrenalin und auch unter Schock, dass ich recht ruhig geblieben bin. Die Führungswalzen haben meinen Arm fest zusammengedrückt. Dadurch hielt sich glücklicherweise der Blutverlust in Grenzen“, berichtet er. Noch während er auf den Notarzt wartete, habe er mit der linken Hand zum Handy gegriffen und seinen damaligen Trainer angerufen. „Es war Samstag, wir hatten am Abend ein Spiel. Ich habe gesagt ‚Trainer, ich glaube, ich kann heute nicht spielen’“.

Die Maschine hatte seinen Arm bis fast zum Ellenbogen abgetrennt. Die Ärzte konnten sein Leben retten, aber der Arm war verloren. „Als ich wach wurde, war das natürlich im ersten Moment ein Schock. Ich weiß noch, ich wollte mich am Knie kratzen und nichts passierte. Das war schon erschütternd“, erzählt der zweifache Vater.

Doch schnell fand er zurück zu einer positiven Einstellung. „Im damaligen Städtischen Klinikum fand die erste Versorgung statt. Am Anfang hatte ich natürlich große Schmerzen, doch nach einigen Tagen wurde es besser. Dann hat mein Trainer mich zur Klinik für Berufskrankheiten in Duisburg vermittelt. Dort zeigten mir die Spezialisten, wie ich mein Leben meistern kann“, erzählt er. Alles musste er neu lernen. Schreiben mit der linken Hand, Schuhe oder eine Krawatte binden oder ein Brötchen schmieren“, sagt er.

Mit der Zeit gelang das immer besser. Auch weil sein gesamtes Umfeld ihn toll unterstützte. „Ich hatte eigentlich von morgens bis abends Besuch. Familie, Freunde, alle waren da“, erinnert er sich. Unter den regelmäßigen Besuchern war auch Reka, eine Bekannte. „Wir waren damals kein Paar, wir kannten uns eben“, erzählt sie. Sie kamen sich näher und heirateten. Inzwischen haben sie zwei Kinder. Hannes und Lilli sind sieben und zehn Jahre alt.

„Wie Matthias das alles macht, ist schon toll. Er geht sehr offen und locker damit um. Er hadert nicht und macht viele Späße“, erzählt sie. „Warum auch nicht?“, fragt ihr Ehemann. „Es gibt viel Schlimmeres. Für mich ist das nicht schlimmer als ne Grippe“, sagt Thiemann. Interessant sei immer, wie Kinder und deren Eltern reagieren. „Kinder stehen oft da und schauen. Sie versuchen, zu verstehen, was da nicht stimmt. Und sie fragen auch ganz offen. Das finde ich gut. Die Eltern sind dann immer peinlich berührt“, erzählt er.

Doch so gut er sein Leben meisterte, ein Traum blieb: wieder Handball zu spielen. „Glücklicherweise hatte ich damals in Duisburg einen Arzt, der genauso bekloppt war wie ich“, erzählt er lachend. Der habe dann eine Prothese konzipiert und ein Jahr nach dem Unfall stand ich wieder auf dem Feld“, sagt er. Und das höchst erfolgreich. Mit dem Team gelang ihm wenig später der Aufstieg in die zweite Liga. „Der Trainer wollte mich haben, aber ich stand gerade im Job, mein erstes Kind kam kurz darauf und da konnte ich einfach nicht MittwochaAbends auswärts in 600 Kilometer Entfernung Handball spielen. Darum bin ich gewechselt“, erinnert sich der Controller.

Fortan spielte Thiemann in Oppum und Kapellen in der Verbandsliga und beendete seine Karriere, als er beruflich für ein halbes Jahr in die Niederlande geschickt wurde. „Als ich dann wieder in Krefeld war, rief mich mein ehemaliger Mitspieler aus Korschenbroich, Maher Farhan, an. Der war zwischenzeitlich Trainer der zweiten Mannschaft der Adler Königshof und fragte, ob ich nicht zu ihm kommen wollte“, sagt er. „Das war am 1. Dezember und im Januar hast Du wieder gespielt“, fällt Reka lachend ein.

Zwischenzeitlich versuchte Thiemann zwei weitere Male, seine Laufbahn als aktiver Handballer zu beenden. Er ließ sich aber jedes Mal wieder umstimmen. Mittlerweile ist er als einarmiger Handballspieler nicht einmal mehr eine echte Attraktion. „Die Leute haben sich wirklich daran gewöhnt. Es ist normal geworden“, berichtet er. Dabei war die Spielgenehmigung gar nicht so leicht zu erlangen. Der Handballverband Niederrhein hatte zunächst abgelehnt, der Westdeutsche Handballverband hat sie dann am Ende doch erteilt.

 Matthias Thiemann ist ein Beispiel für Lebensmut. Er beweist seit vielen Jahren, dass selbst der Verlust des rechten Armes für den Rechtshänder inzwischen nur eine geringe Einschränkung ist. Erfolgreicher Handballer mit langer Karriere, glücklicher Familienvater und beruflich erfolgreich – das ist ihm wichtig. Er hat sich fürs Glücklichsein entschieden. Auch wenn der Arm fehlt? „Nun, das ist eben so. Aber ich kann trotzdem alles tun“, sagt er und lacht verschmitzt. „Naja, vielleicht außer einen Nagel in die Wand hauen.“ 

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