„Neustart“ im Literaturhaus in Krefeld Krimis, die aus dem Rahmen fallen

Krefeld · Die Autoren Selim Özdogan und Sascha Reh lasen im Krefelder Schlachtgarten aus ihren Kriminalromanen. Für beide eine Premiere in diesem Genre.

 Selim Özdogan und Sascha Reh (r.) lasen im Schlachtgarten aus ihren Werken, die sich von klassischen Krimis deutlich unterscheiden.

Selim Özdogan und Sascha Reh (r.) lasen im Schlachtgarten aus ihren Werken, die sich von klassischen Krimis deutlich unterscheiden.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Einen vielseitigen Abend zur Literatur hat das Literaturhaus in seiner Reihe „Neustart“ gestaltet: Thomas Hoeps und seine Mitarbeiterin Marlene Jäger hatten den Kölner Selim Özdogan und den Duisburger Sascha Reh in den Schlachtgarten eingeladen. „Wir möchten mit der Literatur in die Stadt hinein“, sagt Hoeps – für den Biergarten mit Programm an der Dießemer Straße ist dies das erste literarische Event. 

Viele Literaturfreunde nutzten erfreut die Möglichkeit, unter freiem Himmel an langen Tischen zu sitzen, eine Zigarette zu inhalieren, etwas zu trinken und den Autoren auf der leicht kitschig dekorierten Bühne zuzuhören. Röhrender Hirsch neben Polstermöbeln. Dann und wann glitt im Hintergrund eine Regionalbahn vorbei. Thomas Hoeps, Leiter des Literaturhauses, hat die beiden Autoren zusammengespannt, weil beide erstmals einen Kriminalroman veröffentlicht haben. Sie sind hier auch zum erstenmal gemeinsam aufgetreten. Özdogan las aus „Der die Träume hört“. Mit seiner besonderen schwingenden Stimme sagt er: „Das ist meine erste Lesung in diesem Jahr mit echtem Publikum“, – lauter Premieren in Krefeld.

Wobei das mit den Krimis irgendwie schwierig nachzuvollziehen war. Özdogan lieferte mehr Familienaufstellung in einer türkischstämmigen Gemeinschaft als ein irgendwie geartetes Verbrechen. Jedenfalls in den ausgewählten Passagen. Menschen mit ungewohnten Namen sprechen Dialoge mit ungewohnter Wortwahl – Özdogan versteht es vortrefflich, diese besondere Sprachwelt mit ihrem kulturellen Hintergrund abzubilden. Seine Bilder im Roman stammen alle aus der Hip-Hop-Szene und sind strukturierend. Die Musikrichtung schlägt eine Brücke zwischen dem Ich-Erzähler und seinem Sohn, von dessen Existenz er erst nach 17 Jahren erfährt. Alles weitere – selber nachlesen.

Der Andere Buchladen hatte auch den gerade erst erschienenen Band „Die Musik auf den Dächern“ auf seinem Büchertisch. Özdogan erzählte, dass er das Paket erst hier geöffnet habe, um die Vorfreude stundenlang auszukosten.

Özdogan und Hoeps unterhielten sich über Literatur, die Genres, die Figuren im Roman und den sozialen Aufstieg. Jener werde immer als Gewinn verstanden, aber niemand zeige, dass man dabei seine kulturelle Herkunft verlieren könne, sagte Özdogan. Die ernsthafte Plauderei gab viele Denkanstöße und machte Appetit auf die Lektüre.

Auch bei Sascha Reh, dem Träger des Niederrheinischen Literaturpreises (2010 für „Falscher Frühling“), findet sich von einem Krimi in klassischer Manier keine Spur. Dafür entführt der Roman uns zu einem Herrn Wuppke in Berlin, dem höchst skurrile Dinge zustoßen – ein amüsantes Vergnügen beim Zuhören. Herr Wuppke ist vorbestraft. „Aber das werde ich hier keinesfalls erzählen“, sagt Reh, der das auch nicht im Roman erwähnt. Vielleicht macht er aus diesem Handlungsstrang noch eine eigene Geschichte. Eingeflossen in den Roman sind Eindrücke von der Nordseeinsel Sylt, wo Reh 2018 Inselschreiber war. „Es ist eine Krimigroteske, eine Persiflage“, sagt Reh, „ich wollte Spaß haben beim Schreiben.“ 

Für beide Bücher gilt der Satz von Hoeps: „Sie werden normale Genre-Leser nicht befriedigen, denn sie erfüllen die Konvention nicht.“ Aber sie erwecken beide Lust, sich von der jeweiligen Sprache entführen zu lassen und sich auf diese sehr unterschiedlichen Welten einzulassen.

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