Interview mit Ulrich Pudelko Pudelko im Deutschen Aphorismus-Archiv

Krefeld · Ulrich Pudelko ist auch als Aphoristiker bekannt. Nun hat ihn das Deutsche Aphorismus-Archiv entdeckt.

 Uli Pudelko liebt seine Heimatstadt Krefeld. Seit 43 Jahren gibt der frühere Abteilungsleiter bei der Krefelder Stadtverwaltung und heutige Stadtführer sein jährliches Sprücheheft heraus.

Uli Pudelko liebt seine Heimatstadt Krefeld. Seit 43 Jahren gibt der frühere Abteilungsleiter bei der Krefelder Stadtverwaltung und heutige Stadtführer sein jährliches Sprücheheft heraus.

Foto: Lammertz

Angesprochen auf seinen Namen, der in Oberschlesien so oft vorkommt wie Müller oder Meier am Niederrhein, erklärt Ulrich Pudelko, Jahrgang 1945, er habe einen Migrationshintergrund. Pudelko erblickte das Licht der Welt in Krefeld, genauer, in Uerdingen. Für richtige Krieewelsche ist das ein Migrationshintergrund. Aus solch unterschiedlichen Betrachtungsweisen entstehen Aphorismen. Vor 43 Jahren entdeckte er den Aphorismus als literarische Ausdrucksform und genau seit 43 Jahren gibt der frühere Abteilungsleiter bei der Krefelder Stadtverwaltung und heutige Stadtführer sein jährliches Sprücheheft heraus. Daneben war Pudelko Mitautor der Bücher über die Krefelder Rockszene der 60er und 70er Jahre. Seine Leidenschaft für das Fotografieren mündete in  zwei Fotobände mit Krefelder Motiven.  Zuletzt wurden Sprüche von ihm in das Buch „Der Aphorismus im Rheinland“ aufgenommen, das das Deutsche Aphorismus-Archiv (DaphA) in Hattingen veröffentlich hat.

„Wer sein Bahnticket bei Tchibo kauft, kann die Abfahrtszeiten im Kaffeesatz lesen“ oder „Aphorismen kommen weit herum, weil sie mit leichtem Gepäck reisen“ oder „Altersweisheit: These, Antithese, Prothese“ kann man in Ihrem Band 2019 aus Pudelkos Sprücheküche lesen. Seit 43 Jahren schreiben Sie Ihre „ausgedachten, verkürzten, gewürzten, aufgewärmten, geänderten und abgekochten Sprüche“ in ein kleines Heftchen, das Sie an Freunde und Bekannte verteilen. Was macht Aphorismen für Sie so interessant?

Pudelko: Aphorismen verhelfen zur Nachdenklichkeit. Sie sind Halbwahrheiten, die diejenigen verunsichern sollen, die an die andere Hälfte glauben.

Hängt dies auch mit der deutschen Sprache zusammen? Ihr großes Vorbild, der galizisch-polnische Dichter Stanislaw Jerzy Lec, schrieb seine Prosa auf Polnisch, seine Aphorismen schrieb er auf Deutsch und übernahm als Titel ein Heine-Zitat: Unfrisierte Gedanken. Für ihn, den vielsprachigen Lemberger Kosmopoliten, gab es nur wenige Sprachen, die so präzise sind wie die deutsche. Stimmen Sie Lec zu? Was macht einen gelungenen Aphorismus aus?

Pudelko: Ein gelungener Aphorismus bringt mit wenigen Worten einen Gedanken auf den Punkt. Von einem platten Slogan unterscheidet sich ein gelungener Aphorismus dadurch, dass er einen Sinn enthält. Aphorismen können provozieren, nachdenklich machen, richten sich gegen einen selbst oder auf andere Menschen, transportieren Humor, Lachen, Selbstkritik und manchmal auch Schadenfreude.

In seinen Buddenbrocks zieht Thomas Mann einen einzigen Satz über mehr als eine Buchseite. Die Aphoristikerin Sigrun Hopfensperger spricht von der “ Faszination der Kürze“, in der der Aphorismus eine Aussage treffen muss.

Pudelko: Große Inhalte in einen einzigen Satz packen zu können, das ist für mich die Königsdisziplin des Schreibens, der ich mich nun seit vielen Jahrzehnten widme. Weitschweifigkeit löst in mir eine Faszination der Kürze aus. Inhalte, mit denen man wie Thomas Mann ganze Seiten füllen könnte, auf den kürzestmöglichen Ausdruck zusammenzubringen, am besten nur auf einen Satz, das ist die Sentenz meines Daseins als Aphoristiker.

Das mit Glanzbildern reich geschmückte Poesie-Album früherer Schülerinnen-Jahrgänge ist ausgestorben. Es wird ersetzt durch die oft sprachlich reichlich verstümmelte Kurzbotschaft über das Smartphone. Mit dem allmählichen Aussterben des ausgestalteten Schreibens von Briefen nimmt das Verständnis für kunstvoll gestaltete Sprache in der Gesellschaft ab. Welchen Platz nehmen dabei Aphorismen ein?

Pudelko: Es gibt eine verborgene Sehnsucht in der Gesellschaft nach ausdrucksvoll gestalteter inhaltsvoller Sprache. Beratungsliteratur aller Art ist weit verbreitet, noch immer gibt es den Abreißkalender mit seinen Sinnsprüchen. So existiert auch für kunstvoll gestaltete Aphorismus eine feste Schar von Abnehmern, denn Aphorismen haben neben facebook, google, WhatsApp usw. ihren eigenen Stellenwert. Bei Instagramm sind es die motivational quotes und dienen als eine Art emotionaler Sättigungsbeilage zu Bildern und Fotos.

Die Wiese gelungener Aphorismen ist ziemlich abgegrast. Wo finden sie Stoff für Neues?

Pudelko: Ich bin viel in Krefeld unterwegs, treffe auf sehr unterschiedliche Menschen. Was mir auffällt, halte ich in einem Notizheft fest. Daneben regt mich die Lektüre von Büchern und Zeitungen zum Schreiben an. Geht es aufs Jahresende zu, bin ich mein bester Kritiker. Dann wird gesiebt und umformuliert. Daraus entsteht dann ein kleines Heft, das durch die Zeichnungen meines Bruders Georg zusätzlich Pep erhält. Das gebe ich dann an Interessierte, Freunde und Bekannte kostenlos weiter.

Einige Aphorismen Ihres Vorbildes Stanislaw Lec empfinde ich als Volltreffer, wenn er sagt: „Schade, dass man ins Paradies mit einem Leichenwagen fährt“, „Sein Gewissen war rein. Er benutzte es nie.“ oder „Er ist nicht tot. Er hat nur seine Lebensweise geändert.“  Zitieren Sie bitte einen eigenen Aphorismus, der als Schlusswort taugen würde.

Pudelko: Da fallen mir einige ein. Wie wäre es mit Jeder Streit ohne Sieger ist ein gewonnener Streit“ oder „Angst macht blind. Oft ist der, der einem Angst macht, einfach nur hohl. Man muss nur genauer hinsehen.“

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