Interview mit Reinhold Messner „Wenn ich mein Leben wage, bin ich glücklich“

Krefeld · Wir sprachen mit dem Bergsteiger über das Alter, sein Herz, das Glück und darüber, ob man in den Bergen Gott begegnet.

 Reinhold Messner bei einer Autogrammstunde. Der Bergsteiger wird am 18. Januar im Krefelder Seidenweberhaus einen Vortrag halten mit dem Titel „Überleben“.

Reinhold Messner bei einer Autogrammstunde. Der Bergsteiger wird am 18. Januar im Krefelder Seidenweberhaus einen Vortrag halten mit dem Titel „Überleben“.

Foto: Anne Orthen (ort)/Orthen, Anne (ort)

Sie sind vor kurzem 74 Jahre alt geworden. Spüren Sie das Alter?

Reinhold Messner Ich hatte immer Perioden, in denen man mir prophezeit hat: Wenn ich so weitermache, dann lebe ich nicht mehr lange. Mit 23, 24 Jahren hörte ich das zum ersten Mal, und dann kam es alle fünf Jahre wieder. Aber ich hab es überlebt, im Gegensatz zu vielen anderen, die leider, leider bei einem Abenteuer umgekommen sind. Heute geht es mir, gemessen an dem, was ich gemacht habe, verhältnismäßig gut. Ich habe kein künstliches Gelenk; ich habe ein paar Zehen verloren, sehr früh, ich hab mir das Fersenbein zertrümmert, das nicht so früh, aber sonst geht es mir gut. Ich habe zurückgesteckt, was Vorträge angeht; ich mache nicht mehr so viele, sondern höchstens vier, fünf im Jahr und gehe dann zurück in meine Berge und lebe dort und schreibe.

Die Frage ist, ob die körperlichen Belastungen aus Ihrer Zeit als Bergsteiger nicht auch dazu beigetragen haben, dass es Ihnen heute gut geht.

Messner Ja, Bergsteigen ist auch ein Jungbrunnen, aber es ist eben auch eine schwere Belastung. Ich habe heute einen Ruhepuls von 43, 44; das ist zu wenig für mein Alter, sagen die Ärzte. Das Herz ist geschwächt; die Schwäche ist entstanden durch die großen Anstrengungen beim Training und bei den Expeditionen. Ich muss mit solchen Schäden leben, aber es geht. Dass ich übrigens keine  Verschleißerscheinungen an den Knien habe, ist ein Wunder, sagen die Ärzte.

Treiben Sie Sport oder klettern Sie noch?

Messner Ich habe nie Sport  betrieben. Sport ist ein Wettkampf, bei dem wir uns mit anderen vergleichen. Alpinismus ist, so wie ich ihn betrieben habe, Abenteuer. Ich klettere noch, etwa mit meiner jüngsten Tochter, Klettersteige; ich gehe auch ab und zu mit meinem Sohn klettern, dann lasse ich ihn allerdings vorsteigen. Ich gehe nach wie vor regelmäßig auf den Berg, und ich bin noch viel auf Reisen, etwa nach  Patagonien zum Filmen. Das ist das Schöne am Alpinismus: Man kann es als Fünfjähriger machen und einen Dreitausender besteigen, und man kann es im Alter machen. Und wenn ich als 85-Jähriger noch machen kann, was ich als Fünfjähriger gemacht habe, dann bin ich sehr zufrieden mit meiner Lebenskurve.

Sie haben als Fünfjähriger einen Dreitausender bestiegen?

Messner So ist es.

Bergsteigen ist für Sie immer auch so etwas wie existenzielles Ringen mit sich selbst und mit der Natur gewesen. Ist man dabei eigentlich glücklich, oder ist es nur hart und eine extreme Gefühlslage?

Messner Sie sind glücklich, wenn Sie nicht mehr nach Glück fragen. Ich glaube, dass das gelungene Leben im Rückblick im Alter nichts wert ist. Es kommt darauf an, unsere Ideen im Hier und Jetzt umzusetzen. Das schenkt uns gelingendes Leben, auch deshalb, weil jede Faser unseres Körpers in die Situation eingebracht werden muss. Das Glück kann man nicht erhaschen, das Glück kann man nicht finden, das Glück kann man nicht aus Büchern lernen. Nur Leute, die unglücklich sind, lesen Bücher übers Glücklichsein, weil sie nicht die Gabe haben, ihr Leben zu wagen. Wenn ich mein Leben wage, immer nach den Fähigkeiten, die ich habe, dann bin ich glücklich, ohne mich zu fragen, ob ich jetzt gerade glücklich bin. Ich habe bei meinen rund 3500 Klettertouren viele solcher Glücksphasen gehabt.

Haben sich das Empfinden und die Gedankenwelt der Bergsteiger geändert?

Messner Ein wichtiger Punkt hat sich geändert: Wir sind die erste Bergsteiger-Generation, die dieses gelingende Leben ohne Hemmungen und Beschneidungen ausleben kann. Die Generation vor mir konnte zwei-, dreimal in ihrem Leben einen großen Traum verwirklichen, weil die Mittel nicht da waren, weil Expeditionen ungleich schwieriger durchzuführen waren als heute. Ich konnte hundert Expeditionen machen, die Antarktis und Grönland durchqueren, ich konnte alle meine Träume verwirklichen, wenn ich den Mut aufbrachte loszugehen. Den brauche ich aber auch.

Man hat den Eindruck, dass Sie als Bergsteiger immer auch Philosoph waren. Wann hat sich das abgezeichnet bei  Ihnen?

Messner Es war eigentlich immer so, dass ich mich mit dem auseinandergesetzt habe, was ich gemacht habe.  Ich hab parallel zum Bergsteigen immer nachgelesen, wer vor mir diesen Berg bestiegen hat. Was hat er gedacht, gefühlt? Und ich habe selbst rund 50 Bücher darüber geschrieben.   Es gibt eine Reihe von Bergsteigern, die sicherlich Nobelpreisqualität hatten; einer hat ihn auch gekriegt, die meisten sind vorher runtergefallen, bevor sie soweit waren.

Messner Nein, in diesem Fall Chemie. Ein Hochbegabter zum Beispiel war sicher Paul Preuß (1886 – 1913). Er ist mit 27 runtergefallen, ein Wiener Jude, der gescheiteste Bergsteiger, den wir je hatten. Er war stilistisch brillant. Mir war es immer wichtig, das Erlebte in Worte zu fassen, denn  nur dann hat man es richtig verstanden.

Gibt es eine Art Kerngedanken, um den Ihr Denken dabei kreiste?

Messner Ein Kerngedanke war der, dass wir bei solchen Abenteuern in eine archaische Natur hineingehen und dort nach anarchischen Mustern reagieren. In der Natur gibt es ja keinen Gesetzgeber und keinen Religionsstifter. Dabei kommt plötzlich klar heraus: Es gibt eine Natur draußen, und es gibt eine Menschennatur ins uns, in der alle Gesetzmäßigkeiten stecken, damit die Menschheit überlebt. In solchen Situationen ist man nicht mehr in der Zivilisation mit ihren über Jahrtausende gewachsenen Regeln. Wir gehen zurück in eine andere Daseinsform der Menschheit und haben dann die Möglichkeit, die Welt neu zu sehen.

Hat man dabei auch religiöse Empfindungen? Direkter gefragt: Glauben Sie an Gott?

Messner Alle Götter sind von Menschen erfunden; das ist beweisbar; es ist aber auch nicht beweisbar, dass es keinen Gott gibt. Die ordnende Kraft über dem Ganzen ist das, was sich uns als göttliche Dimension eröffnet.

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