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Berufskolleg Vera Beckers Inklusion hat viele Gesichter

Krefeld · Im Berufskolleg Vera Beckers in Krefeld ist Inklusion ein Thema des Alltags. Dabei hat die Inklusion viele Gesichter und Formen. Drei Beispiele stellen wir vor.

 Luca Jerz (li.) und Johanna Schablowski besuchen das Berufskolleg. Sie sind Teil der Inklusionsprogramme.

Luca Jerz (li.) und Johanna Schablowski besuchen das Berufskolleg. Sie sind Teil der Inklusionsprogramme.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Drei junge Menschen sitzen im Klassenraum. Sie alle besuchen das Berufskolleg Vera Beckers. Auf den ersten Blick wirken zwei von ihnen völlig gesund. Luca Jerz erzählt von seinen Erfahrungen und Zielen. Er will, nachdem er auf einer Förderschule war, den Realschulabschluss am Vera Beckers machen. „Danach möchte ich entweder mein Abi machen, oder irgendetwas mit Sport“, erzählt der offenkundig sportliche 16-Jährige. Sein Problem: Auf einem Ohr hört er so gut wie gar nicht. Das bringt im Alltag viele Schwierigkeiten mit sich. „Wenn sich mir jemand von der falschen Seite nähert und mich anspricht, dann bekomme ich das nicht mit. Und wenn es im Unterricht zu laut wird, dann verliere ich den Anschluss“, sagt er. Trotzdem wissen viele Mitschüler gar nichts von seiner Behinderung. „Meine Freunde wissen es natürlich. Die Lehrer auch“, erzählt er.

Wesentlich schwieriger liegt der Fall bei Johanna Schablowski. Die junge Frau aus Nettetal wirkt an diesem Tage völlig gesund. Das ist aber nicht immer so. „Ich habe eine sehr seltene Erbkrankheit, die in genau dieser Form in Deutschland ausschließlich bei meiner Familie vorkommt. Meine Mitochondrien arbeiten nicht richtig. Das heißt, sie erzeugen nicht genug Energie. Und wenn die aufgebraucht ist, machen meine Muskeln nicht mehr mit“, erzählt die 19-Jährige. Sie baut gerade ihr Abitur, integriert in eine Ausbildung zur Erzieherin. Diagnostiziert wurde ihre Krankheit erst vor drei Jahren. „Davor war ich auf einer normalen Schule, und wenn ich nicht laufen konnte, war das ein Problem. Es gab auch Unterricht in Stockwerken, die nur über Treppen erreichbar waren. Manchmal haben mich dann Lehrer einfach die Treppe hochgetragen. Das war ein ziemlich entwürdigendes Gefühl“, erzählt sie.

Am Vera Beckers ist das anders. „Wir haben den Unterricht für ihre Klasse nur in das Gebäude mit Aufzug gelegt. Die Klasse hat deshalb einen festen Klassenraum. In dem Fall müssen dann die Lehrer zu den Schülern kommen. Das ist sonst zumeist anders“, sagt die Inklusionsbeauftragte der Schule, Barbara Stockmann. Doch auch, was eigentlich eine Hilfe ist, kann zum Problem für die Schülerin werden. „Die Erzieherklassen sitzen eigentlich im C-Gebäude auf der anderen Straßenseite. Wir sind wegen des Aufzugs im B-Gebäude. Es kam durchaus schon vor, dass ein Lehrer im Regen vom D- zum C-Gebäude laufen, dort Material holen und dann rüber kommen musste. Der kam dann rein und sagte ‚alles wegen Ihnen’. Das fühlt sich dann natürlich nicht toll an“, erzählt die Schülerin. Mitschüler sind manchmal irritiert, dass sie nicht von Hand schreiben kann. „Irgendwann macht dann die Hand einfach zu. Dann verkrampft sich alles, bis sie aufspringt und der Stift durch den ganzen Raum fliegt“, erzählt die junge Frau. Darum nutzt sie ein Notebook und tippt. In Phasen, wenn die Einschränkung besonders stark ist, nutzt sie Diktierprogramm und Headset.

Das verbindet sie mit Virginia Küsters. Die 16-Jährige aus St. Hubert befindet sich in einer Berufsvorbereitungsmaßnahme und will eine Verwaltungslaufbahn einschlagen. Sie sitzt dauerhaft im Rollstuhl, da sie an einer neurologischen Störung leidet, die einer Epillepsie vergleichbar ist. Auch ihre Krankheit ist sehr selten. Nur 50 Fälle sind in Deutschland bekannt. Das äußert sich in Zuckungen und unkontrollierten Bewegungen. „Ich kann zwar laufen, aber nur ein paar Schritte und sehr unsicher“, erzählt sie. Auch schreiben geht kaum. In ihren Falle ist aber nicht der Computer mit Diktierprogramm das Mittel der Wahl. Die junge Frau ist stets in Begleitung einer Inklusionshelferin, die für sie schreibt. Nur in Klassenarbeiten muss das ein Lehrer übernehmen. „Das ist kein Misstrauen, aber aus rechtlichen Gründen müssen wir einen Manipulationsverdacht ausschließen“, erklärt Stockmann.

Übrigens: Auch bei Johanna Schablowski übernehmen im Klausurfall Lehrer die Schreibaufgaben. „Manchmal hilft das auch ein bisschen“, verrät die junge Frau grinsend. „Wenn man zu großen Blödsinn erzählt, dann reicht das Pokerface manchmal nicht, und es kommt eine Reaktion. Dann kann ich nochmal nachdenken“, erzählt sie lachend. Sie geht sehr positiv mit ihrer Situation um. Auch in Hinsicht auf spätere Berufsaussichten. „Gerade Kinder sind da sehr offen. Für sie ist es sehr schnell völlig normal, wenn man zwischendurch im Rollstuhl sitzt. Da sehe ich keine Probleme“, sagt sie selbstsicher. Auch im Unterricht wurde ihre Erkrankung bereits thematisiert. „In Bio haben wir versucht, zu ergründen, wo genau der Gendefekt liegen muss, damit er so vererbt wird, wie es der Fall ist. Aber weder wir, noch unser Lehrer hat eine wirklich zufriedenstellende Lösung gefunden“, sagt sie mit einem Grinsen.

Insgesamt fühlen sich alle drei am Vera Beckers wohl. Damit das so ist, muss die Schulleitung, besonders Barbara Stockmann viel Arbeit investieren. „Kein Fall ist wie der andere. Wir müssen uns auf jeden Schüler neu einstellen“, sagt sie. Das gelingt am Vera Beckers offenkundig.

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