Auszeichnung für Krefelderin Gerlinde Wientgen erhält Stadtsiegel
Krefeld · Sie engagiert sich seit 1976 für Menschen in aller Welt, führte lange den „Eine Welt Laden“. Für dieses Lebenswerk wurde Gerline Wientgen nun geehrt.
Seit fast 35 Jahren findet man am Westwall 62 in Krefeld den „Eine Welt Laden“ – das Ergebnis des Lebenswerks von Gerlinde Wientgen. Die Krefelderin hat sich über viele Jahrzehnte in hohem Maß für den fairen Handel in Krefeld eingesetzt. Oberbürgermeister Frank Meyer hat Wientgen für ihr Engagement nun mit dem Stadtsiegel der Stadt Krefeld ausgezeichnet.
Wientgen, 1935 in Stuttgart geboren und nach dem Studium in Tübingen, Göttingen, Hamburg und Freiburg wegen des Lehrberufs ihres Mannes schließlich nach Krefeld gezogen, war 1976 Mitbegründerin des Arbeitskreises „Dritte Welt“, der seinen Laden später in „Eine Welt Laden Krefeld“ umbenannte. Dass Wientgen sich diesem Engagement verschrieb, war aber nicht immer ersichtlich. Eine entscheidende Wende in ihrem Leben löste schließlich eine Nebentätigkeit aus, die Wientgen als dreifache Mutter annahm. Sie unterrichtete stundenweise Deutsch für Studierende der Textilingenieursschule, und die Lebensgeschichten ihrer Schüler aus Lateinamerika, Indonesien, Vietnam, dem Iran und aus verschiedenen afrikanischen Ländern faszinierten sie. Darunter waren ehemalige Soldaten des Vietcong oder Gegner des Schah im Iran, die von Folterungen berichteten.
Wientgen wurde für ihre Studierenden zur Vertrauensperson und gab Hilfestellungen bei Problemen, wie Behördengängen, der Suche nach einer Wohnung oder Vermittlung in einen Job. Ihre Gespräche führten sie nicht nur zu der Frage, wie man konkret dem Einzelnen helfen kann. Vielmehr sorgten sie dafür, dass Wientgen sich mit den globalen Strukturen, die für Armut, Hunger, Vertreibung und Flucht verantwortlich sind, beschäftigte.
Ab 1976 engagierte sich Wientgen daher im Arbeitskreis „Dritte Welt“, wurde dort schnell zur Vorsitzenden gewählt und blieb dies mehr als 40 Jahre lang. Die Vereinsarbeit begann am Südwall mit Informations- und Diskussionsveranstaltungen, die Mitglieder boten dort auch erste fair gehandelte Produkte an. Nach einer Tansania-Reise wurde das Konzept „Ujamaa“ – übersetzt: Dorfgemeinschaft, Gemeinschaftssinn – des damaligen Präsidenten Julius Nyerere für Wientgen und ihre Mitstreiter zum Ideal. Das Konzept unterstützt die Menschen in Entwicklungsländern dabei, vor Ort selbst Verantwortung für ihre Situation zu übernehmen, indem sie zum Beispiel ihre Felder für den eigenen Lebensunterhalt nutzen, anstatt sie als Teil großer Plantagen zu vermarkten.
Erst am Südwall, später an der Neue Linner Straße verkauften Wientgen und der Arbeitskreis „Dritte Welt“ Jute statt Plastik, Kaffee aus Nicaragua, Handwerk aus Afrika. Der Laden wurde zum Treffpunkt für Friedensbewegte, Umweltschützer, engagierte Menschen aller Art. Hinzu kam eine intensive Aufklärungsarbeit zum Thema.
Nach ihrem Ruhestand 2005 als Deutschlehrerin für Studierende der Fachhochschule widmete sich Wientgen noch ausgiebiger ihrem eigentlichen lebenslangen Hauptberuf, wechselweise am Westwall in Krefeld und bei verschiedenen Projekten in Indien. Erst 2018, im Alter von 83 Jahren, übergab sie die Verantwortung an ihre Nachfolgerin Christa Redeker.
„Dieses Stadtsiegel, das stets Aktivitäten für das Gemeinwesen in Krefeld würdigt, trägt in Ihrem Fall viele unterschiedliche Sprachen und Kulturen in sich eingeschrieben – es steht für die weltoffene Stadt, die wir verkörpern möchten“, sagte Oberbürgermeister Frank Meyer bei der Verleihung im Historischen Ratssaal des Rathauses. Seine Laudatio auf die neue Stadtsiegelträgerin schloss er mit einem Zitat von ihr: „Es klingt heute fast banal, aber die Reichen sind reicher geworden und die Armen ärmer. Wir sind ein Fliegengewicht gegen diese Zeitströmungen. Trotzdem wollen und müssen wir weitermachen.“
„Das klingt wie ein Appell, der an uns alle gerichtet ist und den wir gerade heute sehr ernst nehmen sollten“, sagte Frank Meyer und dankte Wientgen für ihr beeindruckendes Lebenswerk.