Kommentar Fußangeln im Integrationskonzept

Krefeld · Analyse Der Entwurf für das  Integrationskonzept stößt wegen einer allgemeinpolitischen Forderung auf Kritik. Der Vorfall zeigt, dass Konzepte kaum gelesen werden. Wie effizient sind sie eigentlich?

 Deckblatt der Broschüre für das Integrationskonzept.

Deckblatt der Broschüre für das Integrationskonzept.

Foto: stadt

In einem Punkt war die Verwunderung von Dezernent Markus Schön in der jüngsten Sitzung des Integrationsrates nachvollziehbar: Die Forderung nach Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatler im Entwurf des neuen Integrationskonzeptes war nicht neu; sie sollte nur fortgeschrieben werden. Jetzt ist  der Punkt aufgefallen, und prompt rumorte es bei CDU und FDP.

Das Erste, was man daraus lernen kann, ist: Konzepte werden kaum gelesen. Das hat Gründe: Die verschachtelte Sprache ist nicht vergnügungssteuerpflichtig, durchsetzt mit Selbstverständlichkeiten (man wolle ein „friedliches und gutes Zusammenleben aller Menschen in NRW“, klar, was sonst) und Doppelungen.  Das Kommunale Integrationszentrum, so heißt es an einer Stelle,  arbeite „vernetzend“; alle Aktivitäten, so heißt es weiter,  seien erfolgreich, weil sich Dienste und Bürger vernetzen. Kurzum: Vernetzung ist erfolgreich, wenn sich alle vernetzen. Macht im Konzept acht Zeilen Text. Kein Wunder, dass mancher beim Lesen dieser aufgeblähten Strukturebenen-Analysesprache sanft wegschlummert.

Doch das Konzept hat es an manchen Stellen in sich. Es ist immer dann überzeugend, wenn es konkret wird. Es beschleicht einen aber Unbehagen, wenn einem Akzente, Gewichtung und Weglassungen bewusst werden. Will sagen: In diesem Konzept wird sehr einseitig die Bringschuld der Einwanderergesellschaft für die Integration von Einwanderern betont.

Integration, so heißt es etwa, will „keinesfalls die Nivellierung individueller Eigenarten, sondern ein Zusammenleben in Respekt für den Anderen und in Anerkennung von Differenz“.  Diese Formulierung ist seltsam unscharf und geht eigentlich an dem vorbei, was ein Staat, der Integration fördert, wollen darf. „Individuelle Eigenarten“ sind ja wohl Sache jedes Einzelnen, nicht aber bestimmte kulturelle und natürlich rechtliche Eigenarten. Hier ist „Nivellierung“ sehr wohl angezeigt, und zwar im Sinne einer Anerkennung  von Grundwerten und Gesetzen der Aufnahmegesellschaft.

Dieser Punkt taucht in dem Konzept auch auf, und zwar als eine von vier Dimensionen, von denen Integration abhängt. Wörtlich heißt es über eine Dimension: Integration sei abhängig „von den kognitiven Verhaltens- und Einstellungsänderungen der Gesellschaft wie Zulassung von Bikulturalität, Anerkennung von Werten und Normen der Aufnahmegesellschaft, interreligiösen Dialogen“.  Selbst in dieser „Dimension“ ist die Anerkennung von Werten der Aufnahmegesellschaft nur einer von drei Unterpunkten, die wiederum eher eine Bringschuld der Aufnahmegesellschaft formulieren.

Resümierend heißt es noch: Integration sei „ein dauerhafter Prozess des Aushandelns der Regeln im Zusammenleben“. Integration als endlose Verhandlungssache? Hier darf man widersprechen: Nein, bestimmte Regeln sind keine Verhandlungssache; „Offenheit“ und „Veränderungsbereitschaft“ (beliebte Konzeptbegriffe) haben Grenzen. Wer einwandert, sollte diese Grenzen akzeptieren – und nicht suggeriert bekommen, alles sei endlos verhandelbar.

Man kann es so zuspitzen: Dieses Konzept spricht an keine Stelle klar und herausgehoben davon, dass auch  Einwanderer Pflichten wahren und Anstrengungen unternehmen müssen, damit ihre Integration gelingt.

Die Frage ist, ob man eine solche Grundsatzdebatte lostreten soll. Was im Alltag wirklich hilft bei  Integration, ist Schulbildung und Berufsförderung. Nun muss man leider sagen, dass Integrationsbemühungen  oft genug nicht vorankommen, weil Einwanderer die Sprache ihre neuen Heimatlandes einfach nicht ordentlich lernen. Mit allen bekannten Folgen. Integrationsakteure müssen sich fragen lassen: Woran liegt das?

In Deutschland neigen wir dazu, aus jedem Problem von Migranten eine Bringschuld der Aufnahmegesellschaft zu machen. Sie sprechen schlecht Deutsch? Dann müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, damit Sie Deutsch lernen. Dieser Mechanismus hat aber Grenzen. Man kann jemanden 100 Jahre in Deutschkurse stecken – wenn er nicht lernen will, lernt er nicht. Auf dieses Dilemma haben wir als „Aufnahmegesellschaft“ bei vielen radebrechenden Migranten  keine Antwort. Deutschkenntnisse werden auch nicht besser, wenn man Einwanderern mehr politische Rechte gibt.  Wenn das so einfach wäre, müsste man jedem Einwanderer an der Grenze die deutsche Staatsbürgerschaft schenken, und alles wäre gut.

Vielleicht sollte man Integrationskonzepte entschlacken. Sprache, Ziele, Maßnahmen und auch Forderungen konkreter und einfacher fassen. Integration darf kein endloser, sie muss ein endlicher Prozess sein: Jemand wandert ein, lernt die Sprache, akzeptiert die Grundregeln und ernährt sich und seine Familie selbst. Diese Erwartungen muss man Einwanderern gegenüber auch formulieren.

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