Krefeld: Eröffnung des Festivals Move!-Auftakt zum Gruseln

Krefeld · Die Schweizer Kompanie Cie Nicole Seiler hat das 17. Move!-Tanzfestival eröffnet. Das Stück „Shiver“ setzte sich aus Horrorfilm-Elementen zusammen, die die Grenze zwischen Realität und Fiktion suchen.

 Die Move Company Nicole Seiler sorgte mit dem Stück Shiver für Gruseleffekte.

Die Move Company Nicole Seiler sorgte mit dem Stück Shiver für Gruseleffekte.

Foto: Seiler, Nicole

Zum bereits 17. Mal findet Move! – das Festival für modernen Tanz in diesem Jahr statt. Die diesjährige Eröffnung stand unter ganz besonderen Vorzeichen. Für Kulturamtsleiter Jürgen Sauerland-Freer ist es die letzte Eröffnung der von ihm begründeten Festivalreihe: Altersbedingt wird er zum Ende des Jahres seinen Posten als Kulturamtsleiter räumen. Grund genug, um noch einmal zurück zu blicken, auf die Anfänge von Move!

Sauerland Freer erinnert an den Herbst 1989 und das bewegende Stück der Wuppertaler Compagnie „mind the gap“ – eine tänzerische Adaption von Elfriede Jelineks „Die Klavierspielerin“. Die Aufführung sorgte für viel Gesprächsstoff und ermunterte den damals neuen Kulturamtsleiter, weitere Schritte in Richtung modernen Tanz zu wagen. Damals wie heute ist Tanz für ihn die Kunstform, die dem Menschen am nächsten verbunden ist, „in der Reduktion des eigenen Körpers und der Hinzunahme weiterer Künste entsteht ein Gesamtkunstwerk“, beschreibt Sauerland-Freer in sehr persönlichen Worten seine Leidenschaft für die flüchtige Kunstform und dankt allen Unterstützern, Ministerien, Kommunalverwaltung und nicht zuletzt dem Publikum als wichtigsten Rezipienten.

Dem treuen Festivalpublikum wurde mit „Shiver“ ein aufrüttelndes Stück präsentiert, das sich mit Fragen zu Realität und Fiktion beschäftigt. Wo liegen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion? Kann das menschliche Auge diese wahrnehmen? Und wo ist Unterscheidung nicht mehr möglich? Die Schweizer Kompanie Cie Nicole Seiler hat diese Fragestellungen in ein Setting aus Film Noir und Horrorfilmen gepackt. Eine dubiose Männerstimme aus dem Off führt den Zuschauer in diesen mysteriösen Kosmos ein: „it always begins the same way…the curtain is closing…can you see it?“ (zu deutsch: Es beginnt immer auf die gleiche Weise. Der Vorgang ist geschlossen. Kannst du es sehen?) Noch kann der Zuschauer nichts sehen, außer einem schwarzen Loch, das sich öffnet, als der gräulich schimmernde Vorhang sich am Bühnenhintergrund öffnet. Dann fordert die Stimme den Betrachter auf, sich umzudrehen, doch keiner möchte der Bühne den Rücken kehren – die Spannung im Raum ist hoch und die Möglichkeit, etwas zu verpassen, hoch.

Unbemerkt haben die vier Tänzer die Bühne im Halbdunkel betreten, die Musik ist dumpf, und ihre schwarzen Körper bewegen sich langsam. Mit Infrarotlicht werden ihre Bewegungen angestrahlt, sie stehen dicht zusammen, halten die Positionen lang, gehen dann auf die Knie und kriechen über den Boden. In Konturen sind Körper erkennbar, vieles bleibt im Dunkeln. Plötzlich beginnt alles zu wackeln – ein Beben lässt die Tänzerkörper erschaudern. Ist es das projizierte Bild oder der physische Körper, der sich schüttelt? Unter den lauten Geräuschteppich mischt sich ein Rauschen aus Wind, Sirenen und Hupsignalen. Vor wem oder was möchten sie die Tänzer warnen?

Die Choreografin Nicole Seiler hat bereits eine Trilogie zum Thema Dekonstruktion, Bewegung und Geräusch gemacht, diese Anfangssequenz erinnert stark daran und ergänzt das Bühnengeschehen um einen neuen Aspekt: Spannung. Eine interessante Kombination, die sich nicht allzu oft im zeitgenössischen Tanz findet. Elemente des Film Noir der 1950er Jahre und Horrormovies nutzt Seiler gekonnt als Quelle. Das Zitieren urbaner Schauplätze über die Geräuscheinspielung und die starken Hell-Dunkel-Kontraste auf den Körpern der Tänzer machen dies deutlich.

Damit das Publikum vor Spannung nicht der Atem stockt, gibt es immer wieder Sequenzen, die mit Ironie arbeiten. Da ist zum Beispiel ein neon-pink leuchtender Teppich, der gefährlich brodelt und sich immer mehr dem Publikum zu nähern droht, doch so weit kommt es nicht, denn schon findet sich das wabernde Stück auf den Körpern der Tänzer wieder.

Ein wunderbar sinnliches Bild gelingt den vier Tänzern am Ende des Stücks: Hände und Füße schieben sich langsam unter dem flimmernden Vorhang hervor. Erst nach einigen Minuten bemerkt man die unbekleideten Körper, die sich schüttelnd zum lauten Bass bewegen. Das projizierte Licht bringt ihre Haut zum Leuchten: Gesichter, Arme und Beine sind mit farbigen Pinselstrichen bemalt. In minutenlangen, schüttelnden Bewegungen streifen sie sich das virtuelle Bild ab und stehen ganz zum Schluss mit nacktem farbverschmiertem Körper da.

Ehe das Publikum begeistert applaudiert, geht ein hörbares Aufatmen durch den Raum.

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