Spaziergang durch Linn Erinnerungen an die alte Rheinbabenstraße

Krefeld · Früher war nicht alles besser, aber anders als heute. Das war das Resümee einer Gruppe zugewanderter Linner, die mit zwei Alt­ein­ge­ses­se­nen eine Reise in die Vergangenheit der ehemaligen Haupteinkaufsstraße im Stadtteil machten.

 Peter Liesefeld und Karl-Hermann Horster erzählen 40 meist zugezogenen Linnern Geschichten aus der früheren Rheinbabenstraße.

Peter Liesefeld und Karl-Hermann Horster erzählen 40 meist zugezogenen Linnern Geschichten aus der früheren Rheinbabenstraße.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Schiffsschnabelförmig bildet das ansehnliche Haus die Einmündung der Rheinbabenstraße in die Hafenstraße gegenüber dem Museum Burg Linn. „Alte Linner sagen immer noch ,Radio Schemkes’ zu der Ecke, auch wenn das dortige Geschäftslokal heute gehobenes Wohnambiente bietet“, erzählt Peter Liesefeld. Er ist – wie auch sein Mitstreiter Karl-Hermann Horster – in Linn geboren. Etwa 40 meist zugezogenen Mitgliedern des Linner Radfahrer-Clubs und der mit ihm verbundenen Historischen Gruppe der Biedermeier wollen die beiden Hobby-Stadtführer am Beispiel der Rheinbabenstraße das Leben im Burgstädtchen der fünfziger und sechziger Jahre näherbringen. „Damals bot das Elektrogeschäft Schemkes in seinem Schaufenster den einzigen öffentlich zugänglichen Fernseher“, fuhr Liesefeld fort, „die Linner besaßen selber meist noch kein eigenes Gerät. Also rückten sie mit Tischen und Stühlen und flüssiger Verpflegung bei wichtigen Fußballspielen heran und blickten einträchtig vom Bürgersteig aus auf das kleine Fernsehgerät im Innern mit seinem milchigen Schwarz-Weiß-Bild, das im  allgemeinen Sprachgebrauch nur Starenkasten genannt wurde.“

Im Haus Rheinbabenstraße 76  residierte der Frisör Hans Winkmann, allgemein nur „Figaro“ genannt, ein Vertreter nur maßvollen Fleißes, der Kunden nach kurzer optischer Überprüfung des damals üblichen Facon-Schnittes riet, in zwei Wochen wiederzukommen, wenn der Kunde einen Tag vor Urlaubsantritt im Salon erschien. So verlangten die meisten Kunden einen Haarschnitt durch Hans Köhnen, den einzigen Angestellten des Figaro. So auch der damals neunjährige Karl-Hermann Horster: „Ich will zu Köhnen!“ So kam es, dass der angestellte Geselle die Haare schnitt, während der Meister das wegkehrte, was zu Boden fiel.

Horster und Liesefeld beschreiben die damalige Situation aus der Perspektive der Kinder, die neugierig und auf naive Weise reflektierend das Treiben der Erwachsenen beobachten. Sie staunen in der Metzgerei Winkmann, deren hochwertiges Angebot viele Kunden anzog und oft brechend voll war, über die Tricks der Erwachsenen, die lange Schlange der Wartenden zu umgehen. So diejenige ungeduldige Dame, die ganz von hinten schrie: „Jemmich schnell drei Schieve van de Blottwoosch. Ech han de Milch opstonn!“ und so umgehend bedient wurde.

Für den damals neunjährigen Peter Liesefeld, der gerade das Märchen „Zwerg Nase“ mit dem Schauspieler Hans Clarin gesehen hatte, erinnerte Auguste Leven stark an die Hexe in der Geschichte. So weigerte er sich, in Levens Wäscheladen Namenssticker abzuholen, mit denen Liesefelds Mutter die Familienwäsche unterscheidbar machen wollte.

Im Haus Nr. 129 eröffnete die Familie Lenzen eine Kneipe, nachdem das Lederwarengeschäft Fink schloss. Manchmal konnten sich die Heranwachsenden dort ein Bier und eine Frikadelle genehmigen, weil der Wirt nicht nach dem Alter fragte. Wenn der Hunger nicht gestillt werden konnte, machten sie auch noch das Senffass leer. Sie beobachteten, wie ein angetrunkener Gast den Wirt Lenzen ärgern wollte: „Haben sie Käse am Stiel?“ „Nee, ich wasch mich jeden Tag“, war die trockene Antwort.

Horster und Liesefeld hatten beinahe zu jedem Haus der knapp 300 Meter langen Rheinbabenstraße eine Anekdote mit meist lustiger und skurriler  Pointe zu erzählen. Es war ein dichtes soziales Miteinander damals, anders als heute, wo es inzwischen die Leute aus dem Stadtkern heraus ins Grüne zieht. „Früher waren die Linner kommunikativer“, befindet Liesefeld. „Kühlschränke gab es noch nicht, so dass jeden Tag eingekauft werden musste. Allein dadurch kamen die Leute viel häufiger in der Öffentlichkeit zusammen.“

Damals wies die Linner Altstadt noch insgesamt elf Kneipen und zwei Hausbrauereien auf, von denen nur „Op de Trapp“ in der Rheinbabenstraße überlebt hat. Einschließlich der Sparkasse verfügte die Rheinbabenstraße mal über 51 Geschäfte, die nacheinander verschwanden, da sie mit ihren kleinen Geschäftsräumen nicht konkurrenzfähig waren. Heute sind dort Künstler und Antiquariate eingezogen, oder sie wurden in den denkmalgeschützten Häusern in Wohnungen umgewandelt.

Mit der Eingemeindung Linns nach Krefeld im Jahre 1901 wurde auch die Straßenbahn mit einer Doppelspur durch die Rheinbabenstraße verlegt, mit der die Arbeiter schnell zu ihren Arbeitsplätzen in dem durch den Rheinhafen aufstrebendem Gewerbe gelangen sollten, ein Fluch für das im Haus Nr. 106 untergebrachten Möbelgeschäft Roeske. Bald fuhren die Straßenbahnen im Viertelstundentakt die Rheinbabenstraße hinauf und hinunter. Immer, wenn ein Lastwagen dabei war, Roeske mit Möbelnachschub zu versorgen, kam eine Straßenbahn, die den Fahrer zwang, die Türen zu schließen und eine Runde um den Block zu fahren, um die Straßenbahn durchzulassen. Dann konnte er wieder vorfahren, bis das Spiel von neuem begann.

In den Fünfzigern und Sechzigern hatte die Rheinbabenstraße aber noch ihren Rang als Versorgungsstraße. Wenn Mittagspause in den umliegenden Werken wie Philips und Phrix war, drängelten sich die Menschen, die schnell ihre Besorgungen machten, darunter viele Werksangehörige, die bei Horsters „Op de Trapp“ ihr Abo-Essen einnahmen.

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