Künstlerhaus in Krefeld Die Kreativen der „Im Brahm“
Viele Städte wünschen sich ein Künstlerhaus, in dem verschiedene Bereiche der Kreativität unter einem Dach gedeihen. In der „Im-Brahm“ ist es gewachsen.

So ist das Künstlerhaus in der „Im-Brahm“ in Krefeld
Das Reklamelächeln zieht immer noch. Der pausbäckige Junge an der Hauswand hat viele Jahre lang für frische Backwaren aus der Im-Brahm-Brotfabrik geworben. Und wenn an der Ritterstraße die Zeit der Großbäckerei den Achtzigern passé ist, so ist das Kindergesicht immer noch ein Markenzeichen. Es erzählt von einem Kapitel des imposanten Backsteingebäudes, das in seiner 111-jährigen Geschichte vieles erlebt hat: Konsumgenossenschaft, belgische Besatzer, Nationalsozialismus, Brotfabrik, Zirkus und aktuell eine Nutzung, die sich viele Städte wünschen: ein Haus der Kreativität. Was in Projekten anderswo künstlich gezüchtet wird, ist in Krefeld über Jahrzehnte gewachsen. Von vielen weitgehend unbemerkt. Aber wer den Innenhof durchquert, kann in unterschiedliche Welten eintauchen.
Brigitte Kistermann hat ihr Atelier im Vorderhaus. Die Grafik- und Webdesignerin teilt sich 75 Quadratmeter mit dem Porzellankünstler Herwart Frie. Früher waren hier die Umkleide- und Duschräume für die Bäckermeister. 13 der wundervollen dunklen Holzschränke mit Nummern sind erhalten. Sie stammen aus dem Jahr 1929. Dort, wo Frie seinen großen Brennofen hat, sind die Sanitärkacheln noch zu sehen. Dass ihre Räume Geschichte atmen, beflügelt sie, sagt Kistermann. Sie ist vor 32 Jahren hier eingezogen und damit am längsten Mieterin. Sie kann sich noch erinnern, dass hier in den 80ern ein Zirkus Winterquartier bezogen hatte. „Unten in den Lagerhallen. Da sah man dann morgens schon mal Elefanten beim Rundgang durch den Innenhof“, erzählt sie. Und wenn die Sonne die Backsteinfassaden goldrot färbt, kommt sie noch immer ins Schwärmen.
Die Gebäude sind architektonisch reizvoll. Den Teil zur Ritterstraße hin hat Rudolf Adrian aus Lüdenscheid entworfen, das Lagergebäude im Hof der Krefelder Karl Buschhüter. Am Portal fällt das helle Giebelrelief auf: In dem Dreieck sind drei Figuren zu erkennen: zwei nackte Männer, die einander die Hände reichen, symbolisieren die Genossenschaften „Fortschritt“ und „Solidarität“, eine Engelsfigur gibt dazu als Symbol der Gerechtigkeit ihren Segen.
Gebaut wurde der Komplex im Jahr 1908 als Sitz dieser beiden Konsumgenossenschaften. Krefeld war im 19. Jahrhundert zur Großstadt gewachsen. Damit die vielen zugezogenen Arbeiter vom Land nicht mit zu hohen Preisen oder minderwertiger Ware übervorteilt wurden, gründeten sich die Genossenschaften. Die Lage am Hauptbahnhof war damals ebenso wichtig, wie heute. Weil die Güter schnell transportiert werden konnten, entstand schon bald eine Großbäckerei mit zehn Öfen, später auch eine Limonadenfabrik. Es gab außerdem eine Bauhütte für die Arbeiter. Das funktionierte auch während des Ersten Weltkriegs – bis 1926 auch unter belgischer Besatzung. Dann gingen die Gebäude an die Genossenschaften zurück. 1933 verboten die Nationalsozialisten die Genossenschaften und beschlagnahmten deren Vermögen. 1934 kaufte ein Duisburger Brotfabrikant den Komplex: Im Brahm.
Bis 1983 wurde an der Ritterstraße Brot gebacken. Dann sollten die Gebäude abgerissen werden. Die Denkmalschützer intervenierten. Seit 1985 steht die Im Brahm unter Denkmalschutz. Die Krefelder Wohnstätte hat sie 1999 grundsaniert – und auch den Reklamejungen restauriert.
Mehr als zwei Dutzend Kreative haben sich inzwischen angesiedelt. Einige haben nur wenige Details aus den frühen Zeiten behalten, andere atmen noch den Geist von vor 100 Jahren. Heute werden hinter den Mauern Entwürfe für Marketing und Design entwickelt, entstehen Porzellan, Bilder, Skulpturen und Fotografien. Hier proben regelmäßig bis zu zwölf Krefelder Bands und produzieren CDs. Und hier wird Theater gespielt: Im Frühjahr 2006 haben Anuschka und Peter Gutowski mit einem Kinderstück über den Reisedichter Andersen das Theater hintenlinks eröffnet. 29 Premieren gab es bis heute. Nicht nur Kinder, auch Jugendliche und Erwachsene sind Stammzuschauer geworden. Aktuell geht es kritisch um Arbeitswelten, um Flucht und Vetriebensein. „Der Krefelder Süden mit seinen sozialistischen Wurzeln hat besondere Geschichten zu erzählen“, sagt Peter Gutowski.