Interview: Jürgen Hengst und Jürgen Wettingfeld Glück und Grenzerfahrungen von Planungspolitikern

Krefeld · Die Planungspolitiker Jürgen Wettingfeld (CDU) und Jürgen Hengst (SPD) geben Einblicke in die planungspolitischen Prozesse in der Stadt.

 Jürgen Hengst (SPD, links) und Jürgen Wettingfeld (CDU) sind in Planungspolitiker im Rat.

Jürgen Hengst (SPD, links) und Jürgen Wettingfeld (CDU) sind in Planungspolitiker im Rat.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Wir sitzen hier mit den beiden wichtigsten Planungspolitikern Krefelds. Beginnen wir nicht mit Problemen, sondern mit dem Gegenteil: Gibt es auch so etwas wie das Glück des Planungspolitikers?

Wettingfeld Für mich ist ein Beispiel die Herbertzstraße in Oppum. Das ist ein sehr anspruchsvolles Projekt in einem Gebiet, das in der Vergangenheit als schwierig verschrien war und sich mittlerweile hochgerappelt hat. Ich bin sehr froh, dass ich daran mitgearbeitet habe.

Hengst Für mich ist es ein Highlight, dass wir am Theaterplatz ein paar Pflöcke eingerammt haben. Wir haben zweitens nach mehr als 20 Jahren Fischeln-Südwest auf den Weg gebracht, und drittens würde ich das Handlungskonzept Uerdingen nennen, wo auch schon ein paar Dinge auf den Weg gebracht wurden. Das sind Dinge, die bei allen Schwierigkeiten Zufriedenheit über das Erreichte bewirken.

Man kann den Eindruck haben, dass deutsches Planungsrecht mittlerweile so kompliziert ist, dass die Prozesse immer länger werden. War das früher einfacher?

Wettingfeld Fakt ist, dass das Bau- und Planungsrecht immer anspruchsvoller geworden ist. Es kommt aber auch darauf an, dass man Prozesse so optimiert, dass man zeitnah zu Entscheidungen kommt. Die Zusammenarbeit über Fraktionsgrenzen hinweg, wie sie CDU und SPD seit einiger Zeit praktizieren, ist da hilfreich.

Die Ursache für Verzögerungen sehen Sie also weniger im Planungsrecht als bei politischen Auseinandersetzungen?

Wettingfeld Beides.

Hengst Auf der rechtlichen Seite hat sich allein bei der EU-Gesetzgebung vieles verkompliziert. Der Bebauungsplan für Fischeln-Südwest umfasst heute 250 Seiten; davon umfasst die Hälfte allein den Umweltbericht.

Sie erwähnten, es habe 25 Jahre gedauert, Fischeln-Südwest auf den Weg zu bringen. Ist das nicht zu lange? Das umfasst ja ein ganzes Politikerleben.

Hengst Das ist einfach zu erklären. Es hat auf der Strecke zwischendurch nicht das gemeinsame Verständnis zwischen den großen Fraktionen gegeben, dieses Gebiet zu entwickeln. Wenn man ehrlich ist, arbeiten CDU und SPD erst seit wenigen Jahren miteinander und nicht gegeneinander. Fischeln-Südwest haben wir 2015 nach mehr als zehn Jahren Stillstand gemeinsam auf den Weg gebracht.

Wettingfeld Teil dieser Zusammenarbeit ist auch die Übereinkunft, dass ein Dissens wie beim Kasernengelände in Forstwald nicht zu gegenseitiger Blockade führt. Wir sind mit den CDU-Kollegen in Forstwald der Meinung, das Gelände nicht zum Baugebiet zu machen. Diese Art der Zusammenarbeit begann im Grunde schon ein halbes Jahr vor der Kommunalwahl, als wir uns beim Regionalplan auf eine gemeinsame Position verständigt haben. Es gab Differenzen, die wir ausgehalten haben, um das große Ganze zu verabschieden.

Hengst Der Flächennutzungsplan war 2008 für sieben Jahre auf Eis gelegt worden, weil man sich in einem einzigen Punkt verkämpft hat.

Welcher Punkt war das?

Hengst Die Umgehungsstraße für Fischen-Südwest.

War es das wert?

Hengst Nein. Wir haben es ja auch jetzt hinbekommen. Das hängt sicher auch mit den handelnden Personen im Rat zusammen. Der Blick auf die Gesamtstadt ist eben wichtig.

Stichwort Schnelligkeit. Warum ist es so schwierig, etwa für die Oberstraße in Uerdingen einfach mal ein, zwei Jahre auszuprobieren, ob man dieses Stück Fußgängerzone für den Autoverkehr öffnet, um den Leerstand zu beheben?

Hengst Das ist ein gutes Beispiel, wie sich die Realität ändern kann. Die Diskussion gab es, doch gibt es mittlerweile die Interessengemeinschaft Oberstraße, die bewusst die Fußgängerzone erhalten will. Es gibt da eine Dynamik, die die Ausgangslage verändert hat.

Muss nicht Politik manchmal auch vorangehen?

Hengst Das ist eben schwierig. Nehmen Sie die Entscheidungen zum Seidenweberhaus. Christoph Borgmann (Vorsitzender der Werbegemeinschaft, die Red.) hat in Ihrer Zeitung gesagt, diese Entscheidung hätte man auch schon vor fünf Jahren haben können. Da kann ich nur sagen: Falsch. Vor fünf Jahren hätte man diese Entscheidung gegen den massivsten Widerstand von mindestens der Hälfte der Bürgerschaft durchdrücken müssen. Solche Entscheidungen müssen auch reifen.

Dennoch: Muss Politik nicht auch mal vorangehen?

Wettingfeld Das haben wir im Fall Theaterplatz ja immer noch gemacht. Solche Entscheidungen können aber auch erst dann fallen, wenn alle Fakten bekannt sind. Und das hat bei der Doppelentscheidung Stadthaus/ Theaterplatz eben auch gedauert, die Denkmaldebatte eingeschlossen.

Hengst Dazu kommen auch Klärungsprozesse innerhalb der Fraktionen. Es ist ja nicht so, dass in einer 20 Mann starken Gruppe – CDU und SPD haben je 20 Ratsmitglieder – alle von Anfang an auf einer Linie sind.

Wettingfeld Zu den erfreulichen Effekten der Grundsatzentscheidung zum Theaterplatz, dort ein neues Stadthaus zu bauen, gehört es, dass frischer Wind durch die Stadt ging und wir praktisch einen Tag später fundierte Gesprächsangebote auch zum Thema Veranstaltungshalle in der Innenstadt bekommen haben.

Immer wieder kann man den Vorwurf hören, in Krefeld herrsche Gutachteritis. Motto: Bevor die Politik den Mut zu einer Entscheidung aufbringt, gibt sie lieber nach ein Gutachten in Auftrag.

Wettingfeld Das stimmt nicht. Gutachten wie das zum Stadthaus, das eine Sanierung nach dem PPP-Modell empfahl, sind unabdingbare Voraussetzung, um den Entscheidungsprozess in Gang zu setzen.

Überblicken Sie, ob ein Gutachten wirklich objektiv und realitätshaltig ist? Beim Gutachten zum Thema Standort einer Veranstaltungshalle, wie Theaterplatz oder Kesselhaus, konnte man den Vorwurf hören: Das Gutachten ist gefärbt, weil der Beigeordnete Linne das Kesselhaus favorisiert.

Hengst Die Kunst der Politik liegt darin, solche Überlegungen auch anzustellen und zu schauen, ob auch die Verwaltung bestimmte Vorstellungen in ein Gutachten mit einpreist. Natürlich sitzen auch in der Verwaltung hochkarätige Fachleute mit eigenen Auffassungen. Es ist unser Job einzuschätzen, ob ein Gutachten überzeugt.

Heißt: Im Laufe der Jahre entwickelt man einen Blick, ob man einem Gutachten trauen kann.

Hengst Natürlich.

Wettingfeld Und dann muss sich ein Gutachten auch Kritik gefallen lassen. Nehmen Sie das zweite Junker-und-Kruse-Gutachten zur City. Da gab es heftige Kritik im Planungsausschuss, das sei viel zu unkonkret und wischiwaschi. Das Gleiche gilt für die Neugestaltung des Dionysiusplatzes. Es gab ein Wettbewerbsergebnis, das aus Sicht meiner Fraktion nicht optimal war.

Wie schätzen Sie Stimmungen in der Bevölkerung ab? Eigentlich bekommen Sie ja immer nur Momentaufnahmen mit.

Wettingfeld Das ist ein Problem. Sie kriegen heute kein Bauvorhaben durch, ohne dass es Einsprüche hagelt. Und immer werden Maximalbefürchtungen benannt: maximale Verkehrsbelastung, maximale Umweltbelastung.

Hengst Dazu kommt, dass sich in der Regel die Leute vor Ort melden, die direkt betroffen sind. Die Frage, ob ein Projekt vielleicht im Gesamtinteresse der Stadt liegt, wird dann nicht gestellt. Hier muss man oft dicke Bretter bohren, und man muss glaubwürdig vertreten, dass man die Folgen für die Anwohner gering hält. Einfach vorpreschen hat wenig Sinn.

Wettingfeld Insofern ist es wichtig, Bürger in Diskussionsprozesse einzubinden und möglichst Einvernehmen herzustellen.

Gelingt doch selten, alle an Bord zu holen.

Hengst Ja, und irgendwann muss eine Fraktion sich entscheiden, ob der Widerstand gegen ein Vorhaben nur von einer sehr kleinen Gruppe kommt und die Politik ein Projekt im Interesse der Gesamtstadt durchsetzt.

Wettingfeld Auch das ist Politik: Abzuschätzen, ob Widerstand breit oder nur schmal ist.

Haben wir in Krefeld ein Umsetzungsproblem in der Verwaltung?

Hengst Ich glaube ja, aber das kann man nicht der Verwaltung vorwerfen. Ich glaube, wir müssen der Verwaltung an der einen oder anderen Stelle noch mehr Leute geben, damit sie umsetzen kann, was Politik beschließt.

Wettingfeld Der Rat hat die Weichen dafür auch gestellt und zusätzliche Stellen bewilligt.

Sie sehen also schon objektive Probleme und fühlen sich nicht genasführt von eine Verwaltung, die schlicht behäbig ist? Kann man auch manchmal hören: Die Verwaltung führt die Politik am Nasenring durch die Arena, und die merkt es nicht einmal.

Hengst (lacht) Wenn wir es nicht merken würden, wäre es gut gemacht, aber ich glaube, wir merken vieles. Wir haben immer die Möglichkeit, durch Anträge in den Ausschüssen genau nachzufragen. Manchmal reicht auch ein Telefonat oder eine Mail.

Wettingfeld (lächelt) Planungsdezernent Linne hat ja manchmal eine rustikale Art der Argumentation, aber ich muss sagen: Das beherrschen wir auch ganz gut. Ich muss auch sagen: Wir brauchen auch keinen Planungsdezernenten, der als Ja-Sager durch Krefeld rennt. Insofern finde ich es normal, dass man mit einem Planungsdezernenten um Lösungen ringt.

Muss man nicht auch sagen, dass die Möglichkeiten der Politik, was die Verschönerung der Innenstadt geht, sehr begrenzt sind? Sie können ja keine Fassaden schönmachen.

Wettingfeld Das stimmt. Das ist Aufgabe der Privatwirtschaft und von Immobilienbesitzern. Was da versäumt wurde, kann eine Stadtgemeinschaft nicht nachholen und bezahlen. Wir können nur Rahmenbedingungen setzen.

Hengst Ich glaube aber, dass die Debatte und punktuelle Projekte Dynamik entfalten und dafür sorgen wird, dass mehr passiert.

Warum wurde nichts in die Verschönerung der Seidenweberhaustiefgarage investiert? Hatten Sie das nicht auf dem Schirm?

Hengst Doch. Ich kenne die Problematik seit mindestens fünf Jahren. Die Kernfrage war aber immer: Soll man in ein Gebäude investieren, das mittelfristig abgerissen wird? Vielleicht war es ein Versäumnis, nicht wenigstens am Äußeren der Tiefgarage etwas zu tun.

Wettingfeld Mein Eindruck ist, dass das Problem eskaliert ist. Die Drogenszene ist größer und härter geworden.

Wo sehen Sie  Zukunftsaufgaben?

Hengst Wichtig ist die Priorisierung von Projekten, die wir hier eingeführt haben und an die wir uns auch halten. Dann ist es wichtig, dass die Stadt Land aufkauft und selbst entwickelt. Zentral ist auch die Verkehrsentwicklung. Der Innenstadtverkehr wird in 20 Jahren ganz anders sein als heute. Ich sehe immer mehr junge Familien, die in der Stadt mit dem Rad unterwegs sind. Das müssen wir fördern.

Wettingfeld Die Entwicklung eines Mobilitätskonzeptes halte ich auch für eminent wichtig. Dazu kommt das Thema Digitalisierung, das mit darüber entscheiden wird, wie erfolgreich eine Kommune ist.

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