Kulturelle Vorbehalte sollen in Krefeld abgebaut werden Integrationsausschuss setzt auf Kooperation

Krefeld · Ein Ziel von Nil Cam, der neuen 29-jährigen Vorsitzenden des Ausschusses in Krefeld: „Ich will junge Menschen mit internationaler Geschichte dazu zu bewegen, sich politisch zu engagieren.“

 Die 29-jährige Nil Cam, Vorsitzende des Integrationsausschusses, Norbert Athen (l.),  der 56 Jahre alte Erzieher war zuvor schon im Flüchtlingsrat aktiv und  die stellvertretende Vorsitzende, die 25-jährige Taibe Akdeniz.

Die 29-jährige Nil Cam, Vorsitzende des Integrationsausschusses, Norbert Athen (l.),  der 56 Jahre alte Erzieher war zuvor schon im Flüchtlingsrat aktiv und  die stellvertretende Vorsitzende, die 25-jährige Taibe Akdeniz.

Foto: Sven Schalljo

Integration ist ein Wort, zu dem viele Menschen eine Meinung, von dem aber wenige ein wirklich konkretes Bild haben. Ähnlich ist es mit dem Integrationsausschuss der Stadt Krefeld. Dieser wurde im vergangenen Jahr, parallel zur Kommunalwahl, neu gewählt. Seitdem sind die Mitglieder dabei, sich in ihre neuen Ämter einzufinden und Probleme anzusprechen. „Wir haben keine eigenen Budgets, um wirklich Aktionen zu starten. Vielmehr sehen wir uns einerseits als Mittler zwischen Menschen mit internationaler Familiengeschichte und der Politik beziehungsweise Verwaltung. Auch sprechen wir Missstände an und legen den Finger in die Wunden“, erläutert Nil Cam. Die 29-Jährige ist neue Vorsitzende des Ausschusses und hat für sich vor allem drei Themen ausgemacht: „Ich halte besonders Bildung, Jugendarbeit und politische Teilhabe für besonders wichtig“, erläutert die gebürtige Krefelderin mit türkischen Wurzeln. „Ich denke, wir müssen uns als Gesellschaft politisch mehr für Menschen öffnen, die eben einen anderen kulturellen Hintergrund haben.“ Ihre Stellvertreterin Taibe Akdeniz pflichtet bei: „Für mich ist es ein Ziel, dass Menschen mit Migrationshintergrund viel mehr Stand in der politischen Landschaft haben, vor allem aber auch, dass die Kultur präsenter sind. Hier gilt es, Sprachhürden zu überwinden und kulturelle Vorbehalte abzubauen“, erklärt die 25-Jährige, die wie Cam in Krefeld zur Welt kam und aufwuchs, deren Eltern aber ebenfalls aus der Türkei kommen.

Dritter im Bunde der Vorsitzenden ist Norbert Athen. Der 56 Jahre alte Erzieher und pädagogische Diagnostiker ist fast von Beginn an Mitglied der Seebrücke und zuvor schon im Flüchtlingsrat aktiv. „Wir wollen zum Beispiel anstoßen, dass in Schulen mehr fremdsprachlicher Unterricht gegeben wird. Auch Elterninformationen müssen mehrsprachig herausgegeben werden. Es ist nun einmal eine Realität, dass viele Eltern nur bedingt Deutsch verstehen und spätestens beim Amtsdeutsch wird es dann ganz schwierig. Das betrifft rund ein Drittel der Krefelder Familien. Aber wo ist das Problem, bei Schreiben eben eine türkische, griechische oder russische Version dazuzulegen?“, fragt er. Das sei in der Pandemie deutlich zutage getreten. „Die Maßnahmen waren schon für gut gebildete Deutsche schwer zu verstehen. Für Menschen, die nur wenig oder gar kein Deutsch sprechen, war das ein Ding der Unmöglichkeit“, erläutert er. Außerdem sei ihm die Umsetzung der „sicherer Hafen“-Initiative äußerst wichtig, betont er.

Wichtig ist den Mitgliedern des Ausschusses auch, dafür zu werben, dass mehr Menschen sich aufstellen lassen. Bei der Wahl kam es zu dem Ergebnis, dass mehrere Gruppierungen Listen eingereicht hatten, die weniger Kandidaten enthielten, als sie nach Wählerstimmen hätten entsenden können. „Bei uns zum Beispiel hätten wir zwei Personen mehr entsenden können. So entsteht natürlich ein schiefes Bild und die Repräsentation der Wählerstimmen ist nur bedingt gegeben“, sagt Cam.

Überraschend war seinerzeit, dass auch zwei Kandidaten der AfD in den Ausschuss gewählt wurden. „Sie sind beide Russlanddeutsche, die vor allem von dieser Community gewählt wurden, so weit ich verstanden habe. Ich empfinde ihre Gegenwart im Ausschuss als irritierend“, sagt Athen. Cam möchte sich zu diesem Thema nicht äußern.

Ihr Ziel sei es auch, junge Menschen mit internationaler Geschichte dazu zu bewegen, sich politisch zu engagieren. „Hier muss man aber sagen: Es ist ein Ehrenamt und schon für viele gut gebildete und gut situierte Menschen rein Deutscher Herkunft oft nicht einfach darstellbar. Für viele Migranten ist es noch schwerer, weil schon eine Parteimitgliedschaft eine finanzielle Belastung ist. Vor allem aber kostet politische Arbeit viel Zeit, die zum Gelderwerb dann fehlt. Auch der zeitliche Aufwand ist ein Problem“, sagt Cam und Akdeniz fügt hinzu: „Hinzu kommt, dass es ohnehin fast nur auf Migranten der zweiten oder dritten Generation zutrifft. Ansonsten ist die Sprache oft schon eine zu große Hürde.“ Außerdem hätten die in Deutschland geborenen jungen Menschen einen anderen Blick auf Integration.

Hauptaufgabe sei aber, Probleme für die rund 30 Prozent Menschen mit internationaler Familiengeschichte in Krefeld anzusprechen. „Ein Beispiel ist der Stau in der Bearbeitung von Anträgen im Ausländeramt. Das muss viel besser werden“, sagt Cam. Dafür und auch für die anderen genannten Probleme, wollen die Drei mit ihren Mitstreitern eintreten, damit Integration besser gelingt. Die übrigens solle nicht zu einem vergessen der Herkunft führen. So antwortet Cam auf die Frage, für wen sie denn beispielsweise halte, wenn Deutschland gegen Türkei spiele: „Das ist eine gemeine Frage. Ich kann mich da eigentlich nicht entscheiden.“ Akdeniz kommt kurz zur Hilfe: „Diese Frage wird oft gestellt. Ich sage dann immer: Das ist wie die Frage, wenn Du lieber hast: Mama oder Papa. Es ist einfach nicht zu beantworten. Beide sind gleich wichtig.“ Diese positive Sichtweise auf Migration wollen sie vermitteln. Auch den Menschen, die dem Thema reserviert gegenüberstehen.

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