Krefelder Behörde überlastet Beim Parken behindert

Krefeld · Das Ziel klingt simpel: die Erlaubnis zum Benutzen von Behindertenparkplätzen bekommen. Für die Betroffenen beginnt mitunter eine aberwitzige Reise durch die Bürokratie.

 „Wenn eine Behörde sich derart viel Zeit bei der Bearbeitung lässt, hat der Betroffene währenddessen einen großen Teil seiner Lebensqualität verloren“: Aussage eines Rechtsanwaltes über Probleme seiner Klienten in Krefeld bei der Zuerkennung einer „außergewöhnlichen Gehbehinderung“ (Merkzeichen aG)“.

„Wenn eine Behörde sich derart viel Zeit bei der Bearbeitung lässt, hat der Betroffene währenddessen einen großen Teil seiner Lebensqualität verloren“: Aussage eines Rechtsanwaltes über Probleme seiner Klienten in Krefeld bei der Zuerkennung einer „außergewöhnlichen Gehbehinderung“ (Merkzeichen aG)“.

Foto: Jens Voss

(RP) Vorweg: Wir nennen in diesem Artikel keine Namen - auf Bitten der Betroffenen und um alle Beteiligten zu schützen; auch Sachbearbeiter, die die Personalnot bei der Stadtverwaltung nicht zu verantworten haben. Dennoch meinen wir, dass man diese Geschichte erzählen muss. Es geht nicht um Einzelfälle; die Probleme sind offenbar verbreitet. Grundlage des Berichts sind Gespräche mit den Angehörigen in drei Fällen, einem Anwalt, der mit solchen Fällen befasst ist, und Unterlagen aus den Schriftverkehren.

In der aktuellen Auflage des Ratgebers „Krefeld barrierefrei – Wegweiser für Menschen mit Behinderung“ wünscht im Grußwort „Gregor Kathstede, Oberbürgermeister der Stadt Krefeld“ viel Freude bei der Lektüre. Für den Einen lediglich eine Broschüre, in der man seit 2015 vergessen hat das Grußwort zu aktualisieren; für Betroffene Sinnbild für die Situation in einer Behörde, die ihren Arbeitsauftrag zwar im Namen trägt, der das Bewusstsein dafür im Arbeitsalltag jedoch in einigen Fällen abhanden gekommen zu sein scheint. „Versorgungsamt: Abteilung Hilfen für Menschen mit Behinderung“.

Geduld, hartnäckig unterstützende Angehörige und ein Anwalt sind beim Kontakt mit dem Krefelder Versorgungsamt immer wieder nötig, wenn es Schwerbehinderten bei der Antragstellung um die Zuerkennung einer „außergewöhnlichen Gehbehinderung“ (Merkzeichen aG) und dem damit verbundenen „Anspruch auf Parkerleichterung“ geht. Gemeint ist die Erlaubnis, einen Behindertenparkplatz zu nutzen. Fachliche Mängel bei der medizinischen Begutachtung nach Aktenlage, ungerechtfertigte Ablehnungsbescheide, wechselnde Sachbearbeiter und lange Bearbeitungszeiten sorgen für Frust. „Man macht es den Leuten unendlich schwer“, berichtet eine Angehörige. Erfolgreich abgeschlossen sei im Namen ihres Vaters nun ein Rechtsstreit, der auch sie viel Kraft gekostet habe, und in dessen Verlauf ihr schwerbehinderter Vater sie irgendwann aufgefordert habe „Lass es einfach. Ich kann nicht mehr“.

Um einen Einzelfall handelt es sich dabei nicht, erklärt ein Rechtsanwalt; er selber vertrete gleich mehrere Kläger in ähnlicher Streitsache. Schon die langen Bearbeitungszeiten seien eine Katastrophe und gefährdeten das Funktionieren eines sowieso schon schwierigen Alltages. „Bei Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 und mehr, geht`s um was. Wenn eine Behörde sich derart viel Zeit bei der Bearbeitung lässt, hat der Betroffene währenddessen einen großen Teil seiner Lebensqualität verloren“. Die Gründe für die Missstände in der Behörde, die nach Aussage des Rechtsanwaltes auch das Sozialgericht Düsseldorf kritisiert, sind vielschichtig. Vorliegende Schriftverkehre zu Klageverfahren gegen die Stadt Krefeld, in denen sich Betroffene mit Hilfe des Sozialgerichts Düsseldorf gegen Ablehnungsbescheide wehren, dokumentieren das Bild einer Behörde, die unter anderem durch Personalmangel überfordert ist.

Im Falle ein schwer gehbehinderten Frau sind seit ihrer Antragstellung vierzehn Monate vergangen; inzwischen läuft ein Klageverfahren. Mehrfach hat die Krefelder Versorgungsbehörde gerichtliche Aufforderungen zur Stellungnahme erst verspätet beantwortet. In einem Schreiben an das Sozialgericht schildert ein Sachbearbeiter detailreich die Gründe: „Die deutlich verzögerte Beantwortung Ihrer Anforderung bitte ich zu entschuldigen. Frau Dr. Court vom Fachbereich Gesundheit stellt seit 2008 als einzige Ärztin mit einer halben Stelle die Erfüllung der Aufgaben des versorgungsmedizinischen Dienstes im Feststellungsverfahren des Schwerbehindertenrechtes für die Stadt Krefeld sicher.“ Im Jahr 2014 habe man ihr als zusätzliche Aufgaben „nunmehr auch die Leitung des Fachbereiches Gesundheit (Gesundheitsamt) übertragen“, welche sie „insbesondere in dieser neuen Leitungsfunktion ausnehmend in Anspruch nimmt und bindet“. Eingeleitete Personalmaßnahmen mit dem Ziel der Entlastung und zur Verbesserung der Bearbeitung von „gerichtlichen Anforderungen von Stellungnahmen“ seien bisher gescheitert. Die Stadt Krefeld sei bemüht die Situation zu verbessern.

Doch nicht nur die Bearbeitungszeiten auch die Qualität der behördlichen Arbeit steht in Frage. Nach Angaben aus dem Presseamt in der Regel rein nach Aktenlage durch neun medizinische Honorarkräfte im Auftrag der Stadt beurteilt, kommt es bei der Begutachtung nach Auffassung von Fachärzten im Falle komplexer Krankheitszustände zu Fehlentscheidungen und nicht angemessenen Ablehnungsbescheiden. So urteilt in einem Fall ein vom Sozialgericht Düsseldorf beauftragter Gutachter: „Zu betonen ist, dass die Versorgungsbehörde zu keinem Zeitpunkt die Antragstellerin durch eigene Ärzte hat untersuchen lassen. Ansonsten wäre nämlich aus gutachterlicher Sicht dieses Gerichtsverfahren nicht erforderlich gewesen“. Die Gehstörung der Klägerin sei so erheblich, dass die Zuerkennung des Zusatzmerkmals aG „nahezu als Blickdiagnose“ möglich gewesen sei. So eindeutig das Urteil des Gutachters in diesem Falle zugunsten der Klägerin, so ein verheerendes Zeugnis für ihre Arbeitsweise bietet die Krefelder Behörde im Umgang mit Zweifelsfällen.

Obwohl zur aktiven Klärung von unklaren Gesundheitszuständen von Amts wegen verpflichtet, bemüht sich die Krefelder Behörde statt dessen gelegentlich auch vom Schreibtisch aus um frühzeitige Ablehnung von Klagen. „In der Streitsache X gegen die Stadt Krefeld, beantrage ich, die Klage abzuweisen.(..)“ schrieb jüngst ein Sachbearbeiter des Versorgungsamtes an das Sozialgericht Düsseldorf im Falle einer Frau, deren GdB bei 100 liegt und die bislang noch nie vom versorgungsmedizinischen Dienst untersucht worden ist.

Verunsicherte Antragsteller, die sich mit der Frage an das Versorgungsamt wenden, ob ihr Widerspruch gegen einen Ablehnungsbescheid Aussicht auf Erfolg haben könne, werden, nach Aussagen Betroffener, frühzeitig abgeschreckt. Da bestehe wenig Hoffnung auf Erfolg, erfuhr eine Antragstellerin, die sich, auf Grund der Schwere der Beeinträchtigung ihrer neurologischen Erkrankung, nur mit fremder Hilfe bewegen kann. „Da müssen Sie schon querschnittsgelähmt oder beidseitig Oberschenkelamputiert sein, bevor Ihnen das Merkzeichen zuerkannt wird“.

Eine Recherche der Frau unter rentenbescheid24.de zum Thema „Neues Merkzeichen aG 2017. Erweiterter Zugang zum Behindertenparkplatz“ ergab, dass Behörde und Mitarbeiter jedoch offenbar irrten. Durch das Bundesteilhabegesetz vom 23.12.2016 wurden Änderungen im Recht der Schwerbehinderung umgesetzt. Beim Merkzeichen aG, das seine Rechtsgrundlage in Paragraph 146 SGB lX hat, gab es 2017 weitreichende Änderungen; die Zugangsvoraussetzungen zu dem Merkzeichen wurden deutlich erweitert.

Während die Versorgungsämter bis 2016 nur rein orthopädische Leiden als Voraussetzungen annahmen, gilt seit 2017 der „Funktionsverlust der Beine“ auch ohne Amputation. Entscheidend ist bei einem GdB von 80 die „Unfähigkeit ohne Unterstützung zu gehen“; im Falle der Frau „die Gangstörung mit neurologischen Ursachen“. Die Frau hat ihren Rechtsanwalt gefragt, warum die Behörde ihr diese Informationen vorenthalten habe. Warum sie ihren Ablehnungsbescheiden ein Erläuterungsblatt beifüge, das der Gesetzgeber in dieser Form bereits 2016 aufgehoben hat. Warum sie unter diesen Voraussetzungen seit über einem Jahr auf einen Entscheid warten muss. „So was dauert, bis es bei der Stadt ankommt“, glaubt der Rechtsanwalt.

Eine schriftliche Anfrage der Betroffenen nach dem Sachstand der seit Juni 2017 laufenden Angelegenheit ist seit geraumer Zeit von der Behörde unbeantwortet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort