Bereitschaftspflegefamilie in Krefeld Eine Familie auf Zeit

Krefeld · Wenn Kinder in Krisensituationen aus ihren Familien genommen werden müssen, brauchen sie schnell eine Unterkunft. In solchen Momenten sind Bereitschaftseltern da. Eine Mutter spricht über Erfahrungen und Abschiede.

 Der Aufenthalt ist zeitlich begrenzt: Die Kinder bleiben so lange in der Bereitschaftspflegefamilie bis über den weiteren Weg des Kindes entscheiden. Einige von ihnen können unter bestimmten Auflagen zurück zu ihren leiblichen Eltern, andere werden in eine Dauerpflegefamilie vermittelt. 

Der Aufenthalt ist zeitlich begrenzt: Die Kinder bleiben so lange in der Bereitschaftspflegefamilie bis über den weiteren Weg des Kindes entscheiden. Einige von ihnen können unter bestimmten Auflagen zurück zu ihren leiblichen Eltern, andere werden in eine Dauerpflegefamilie vermittelt. 

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Es ist ein trüber, grauer Morgen – doch im Esszimmer von Susanne* wirkt es gemütlich: Ein selbstgemachter Kranz steht auf dem gedeckten Tisch. „Den haben Mia* und ich gebastelt“, erzählt die 53-Jährige und dreht sich zu dem Mädchen um, das vergnügt im Zimmer hüpft. Einige Monate wird das Kleinkind in Susannes Familie leben.

Seit drei Jahren ist Susanne Bereitschaftspflegemutter. Sie nimmt Kinder auf, die in krisenhaften Situationen kurzfristig eine Unterkunft brauchen. Meistens, weil sie akut aus ihrer Familie genommen werden mussten. Eine Inobhutnahme erfolgt immer dann, wenn eine „dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder Jugendlichen“ besteht – mal spielen Gewalt und Missbrauch eine Rolle, in anderen Fällen sind die Eltern drogenabhängig, überfordert oder haben eine psychische Erkrankung, die sie nicht erziehungsfähig macht.

Die Kinder und Jugendlichen werden in solchen Fällen in ein Heim oder eine Pflegefamilie untergebracht. „Vor allem Kinder zwischen null und drei Jahren sind in einem familiären Umfeld besser aufgenommen. Sie sind in einem Alter, das wichtig für das Bindungsverhalten ist“, erklärt Lisa Gradischnik, Sozialarbeiterin im Kinderheim Kastanienhof und zuständig für den Bereich Bereitschaftspflege.

 Um auf alles vorbereitet zu sein, hat Susanne ein Kinderzimmer eingerichtet. Das ist aber kein Muss, die Familien erhalten eine Grundausstattung.

Um auf alles vorbereitet zu sein, hat Susanne ein Kinderzimmer eingerichtet. Das ist aber kein Muss, die Familien erhalten eine Grundausstattung.

Foto: Natalie Urbig

Anders als bei einer Dauerpflege ist die Bereitschaftspflege zeitlich begrenzt. Die Kinder sollen nur drei bis sechs Monate in der Familie bleiben. „Oft dauert es aber länger, weil die Gerichtsverfahren noch laufen, die über den weiteren Weg des Kindes entscheiden. Einige von ihnen können unter bestimmten Auflagen zurück zu ihren leiblichen Eltern, andere werden in eine Dauerpflegefamilie vermittelt. Am besten ist es, wenn eine Weitervermittlung so früh wie möglich erfolgt“, sagt die Sozialarbeiterin, „im Endeffekt sind die Kinder die Leidtragenden.“

Der Kastanienhof kann auf einen Stamm von 38 Eltern zurückgreifen, die kurzfristig ein Kind aufnehmen würden. Weitere werden dringend gesucht. Susanne ist eine davon. Als sie auf einen Artikel gestoßen ist, in dem es hieß, dass noch Bereitschaftspflegefamilien gesucht werden, hat sie sich kurzerhand beworben. Es folgte eine Prüfung durch das Jugendamt, es gab Hausbesuche von Mitarbeiterinnen des Kastanienhofs, viele Gespräche und Fortbildungen.

Dennoch ist die Bereitschaftspflege eine besondere Herausforderung. Häufig sind Inobhutnahmen nicht planbar, entsprechend kurzfristig muss eine Familie gefunden werden. Das kann man sich etwa so vorstellen: „Ich werde vom Kastanienhof angerufen, erfahre die wichtigen Eckdaten und wenn es passt, kann ich das Kind wenig später aufnehmen“, erzählt Susanne. „Für mich ist es immer aufregend. Ich mache mir Gedanken und hoffe, dass alles klappen wird.“ Informationen hat sie bis dahin kaum, kennt nicht den Rucksack, den ein Kind mitbringen wird. „Ich bin immer wieder überrascht, wie positiv und reinen Herzens die Kinder mir entgegen treten und das obwohl einige von ihnen eine schlimme Geschichte hatten.“

Vier „lange“ Pflegekinder wohnten nun schon bei Susanne. Andere blieben nur einige Tagen oder Wochen. Bisher hatte sie immer Glück. Die Familien werden vom Kastanienhof begleitet, auch gibt es regelmäßige Fortbildungen zu verschiedenen Themen – „Starke Eltern, starke Kinder“ heißt ein Kurs, ein anderer beschäftigt sich mit der Biographie Arbeit.“ Darin geht es immer wieder um die Fragen der Kinder, wo sie herkommen, wo sie hinkommen.

Susanne will den Kindern neben Ruhe und Struktur auch Sicherheit und eine konsequente Erziehung mit auf den Weg geben. „Es heißt oft nicht, dass sie von ihren Eltern nicht geliebt wurden. Im Gegenteil Liebe war reichlich da, aber keine Erziehung.“

Darüber hinaus gibt es regelmäßig Besuchskontakte zwischen den Kindern und ihren leiblichen Eltern. Die Treffen finden im Kastanienhof statt.

Wie oft, das variiert. Wenn klar ist, dass die Kinder zurückkommen, gibt es häufigere Besuchszeiten. Die Treffen sind anonymisiert, von Susanne erfahren die Eltern nur den Vornamen. „Wichtig ist, dass man ihnen offen entgegentritt. Man muss nicht alles gut finden, was passiert ist.“ Oft erlebe sie, dass die Eltern selbst eine schwierige Zeit durchgemacht haben und es nicht besser gelernt haben. „Ich glaube ich wirke auf sie oft, wie eine Tante oder Mutter“, erzählt Susanne. Ein guter Kontakt zu den Eltern sei auch für die Kinder wichtig. „Kinder spüren, wenn etwas nicht in Ordnung ist“, sagt Lisa Gradischnik, „für sie wird es leichter, wenn sie wissen, für Mama und Papa ist es ok, wenn ich bei Susanne bin.“

Susanne hat den Eindruck, dass viele das Konzept der Bereitschaftspflege nicht kennen. „Ich habe schon von vielen gehört, dass ich ja kaltherzig sein muss, weil ich die Kinder einfach so wieder gehen lassen kann.“ Einen Vorwurf den Lisa Gradischnik direkt von der Hand weist. „Es ist genau das Gegenteil der Fall. Die Mütter haben ein riesiges Herz.“ Denn auch für sie ist der Abschied nicht leicht. „Zum Glück passiert es in kleinen Schritten. Es gibt zunächst eine Anbahnung mit der neuen Pflegefamilie oder den leiblichen Eltern“, erzählt Susanne. Außerdem hat ihre Familie ein eigenes Ritual. Sie unternehmen mit dem Kind etwas, kochen das Lieblingsessen und schauen sich zusammen ein Erinnerungsalbum an. „Das Album nehmen die Kinder mit.“ Und auch Susanne hat Bilder von ihren Pflegekindern in der Wohnung. „Ein Stück Herz geht immer mit. Ich freue mich aber auch für das Kind, dass es endlich ankommen kann.“

*Namen von der Redaktion geändert

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