Foto-Ausstellung des Kunstvereins Auch Atatürk residierte in Bauhaus-Stil-Villa

Bauhaus-Architektur findet sich nicht nur in Weimar, Dessau und Krefeld, sondern auch im Kongo, auf Kuba und in der Ukraine. Der Fotograf Jean Molitor entdeckt überall auf der Welt europäische Einflüsse in der Architektur. Der Kunstverein zeigt seine Bilder. Auch die Villa von Atatürk

 Kurator Peter Josteit in der Ausstellung. Links oben ist das Steiff-Gebäude zu sehen, obere Reihe Mitte das Haus Leuwen aus Krefeld.

Kurator Peter Josteit in der Ausstellung. Links oben ist das Steiff-Gebäude zu sehen, obere Reihe Mitte das Haus Leuwen aus Krefeld.

Foto: Fabian Kamp

Walter Gropius’ Lehre und das Bauhaus in Weimar waren noch Zukunftsmusik, als in Giengen an der Brenz ein Gebäude entstand, das die Bewohner der baden-württembergischen Stadt scheusslich modern fanden. „Jungfrauenaquarium“ nannten sie die Produktionshalle der Firma Steiff, denn sie bestand aus einem Stahlskelett, vor das große Glaswände gesetzt waren, durch die man die überwiegend jungen Mitarbeiterinnen von draußen beobachten konnte: 1903 eine spektakulär neue Form des Bauens. Und ein Vorgriff auf die Lehre des späteren Bauhauses.

Eine Fotografie der Steiff-Halle hängt gleich am Eingang des Buschhüterhauses: Der Krefelder Kunstverein zeigt ab Freitag, 22. November, die Ausstellung „Bauhaus und architektonische Moderen. Fotografien von Jean Molitor“. Es ist ein erfrischend anderer Beitrag zum ausklingenden Bauhaus-Jubiläumsjahr. Denn Kurator Peter T. Josteit hat nicht die bekannten Motive aus Weimar oder Krefeld gewählt, sondern sich für Aufnahmen entschieden,  die an Orten entstanden, wo „Bauhaus“ überraschend auftaucht: im Kongo, auf Kuba, in der Ukraine.

Auch Kemal Atatürk, der begründer der Republik Türkei, hat im Bauhaus-Stil residiert. 1935 ließ er sich in Istanbul die Seevilla Florya errichten. Die Architekur des weißen Gebäudes, das ins Meer hineingebaut ist, zeigt die klare Ästhetik der europäischen Moderne. Diese Kohärenzen faszinieren Molitor.

Der 1960 in Ost-Berlin geborene Fotograf hat an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert. Beruflich ist er in alle  Welt gereist. Josteit, der Molitor persönlich kennt, erzählt von einem Zufall: „Bei einem Auftrag in Kambodscha hat Molitor ein ausgebombtes Haus entdeckt. Die Architektur hatte eindeutig ihre Wurzeln in Europa. Das Foto hat Furore gemacht und Molitor die Augen geöffnet.“ Seit zehn Jahren reist der Fotograf in aller Herren Länder und füllt sein Archiv mit Fotos von Bauten der Moderne, die belegen, dass der Einfluss der Bauhäusler selbst in entlegenste Winkel strahlte.

Das ist kein Zufall. Die Ideen des Bauhauses erregten durch Weltausstellungen in allen Ländern Aufsehen. Während des Nationalsozialismus gingen viele Künstler der Moderne ins Exil, oft nach Übersee. Und auch gut Betuchte, die in den Kolonien eine neue Heimat gefunden hatten, ließen nach Vorbildern aus der alten Heimat bauen.

Anfangs hat Molitor solche Entdeckungen per Zufall gemacht; inzwischen hat er mehr als 300 Motive dokumentiert und ein großes Netzwerk von Architekten und Wissenschaftlern, die ihn auf Standorte aufmerksam machen. Sein Ziel ist es, die Gebäude zu bewahren. Denn vielfach ist den Menschen nicht bewusst, dass sie mit Architekturgeschichte leben. Einige Gebäude wurden umfunktioniert zu Kaufhäusern, Kliniken, Heimen – und entsprechend umgestaltet. Andere verfallen ganz einfach.

Molitor inszeniert seine Motive. Fast immer bildet ein hoher Giebel die Mitte seines Bildes. Seine Kamera folgt der Linienstrenge der Architektur. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen weder Menschen, noch Tiere und so gut wie nie das regional-typische Umfeld. Sie sind wie aus Raum und Zeit genommen und damit in eine künstliche und künstlerische Ewigkeit erhoben.

Molitor fotografiert deshalb zu ganz ruhigen Zeiten, sonntags oder in den ganz frühen Morgenstunden. Er retuschiert alles weg, was im Foto von der Architektur ablenken kann. Einfach ist seine Mission nicht immer. Josteit erzählt, dass Molitor im Kongo zweimal im Gefängnis gelandet sei, weil er fotografiert habe. „In Krisengebieten ist das gefährlich. Molitor ist dort ohne Stativ unterwegs und immer ganz schnell. Er verhält sich oft wie ein Tourist und fotografiert alles, damit er bei Polizeikontrollen keinen Verdacht erregt. Manchmal meldet er sich offiziell an. Dann bekommt er Schutzgeleit. Aber wohl nur, um ihn zu überwachen.“

In 30 Ländern hat Molitor Architektur-Moderne entdeckt. 110 weitere Länder, schätzt er, hätten noch ausstellungswürdige Bauten. Das ist Stoff für eine Folgeausstellung.

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