Ostern 2016 Krankheit und die Kunst des Hoffens

Krefeld · Jörg Baltzer, früherer Leiter der Frauenklinik, hat an einem Buch mitgewirkt, in dem Mediziner, Theologen wie Karl Kardinal Lehmann, Ethiker und Philosophen über Hoffnung im Angesicht schwerer, auch tödlicher, Krankheit nachdenken.

 Früher, schreibt Jörg Baltzer, sei im Falle einer Schwangerschaft die Rede davon gewesen, eine Frau sei guter Hoffnung; heute heiße es, sie erwarte ein Kind: "Die Erwartung hat der Hoffnung Platz gemacht."

Früher, schreibt Jörg Baltzer, sei im Falle einer Schwangerschaft die Rede davon gewesen, eine Frau sei guter Hoffnung; heute heiße es, sie erwarte ein Kind: "Die Erwartung hat der Hoffnung Platz gemacht."

Foto: Lothar Strücken

Am Ende dieses Buches über die "Kunst des Hoffens" denkt man an Nina Zacher. Sie ist an der tödlichen Nervenkrankheit ALS erkrankt und wird bald sterben. Sie hat vielfach öffentlich über ihre Krankheit gesprochen, unter anderem bei Markus Lanz im ZDF, in Interviews mit Zeitungen und immer wieder bei Facebook. Eine tapfere Frau. Sie hat keine Hoffnung zu überleben, aber ohne Hoffnung ist sie nicht. Ihr Schicksal führt auf bewegende Weise ins Herz dieses Buches, auch wenn sie in dem Buch direkt gar nicht vorkommt. Seine größte Stärke: Es ist nicht abgehoben vom Leben. Man liest es gebannt, denn die Frage, der es nachgeht, ist unser Schicksal: Worauf dürfen wir hoffen im Angesicht einer tödlichen Krankheit wie des Todes überhaupt?

Ein Krefelder Arzt ist in diesem Sammelband vertreten, in dem Vorträge für das "3. Freiburger Symposium zu den Grundfragen des Menschseins in der Medizin" dokumentiert sind: Prof. Jörg Baltzer, ehemaliger Leiter der Frauenklinik. Der bekannteste Name unter den Autoren dürfte der von Karl Kardinal Lehmann sein, in dessen Beitrag pastorale Wärme und Gelehrsamkeit beeindruckend verbunden sind. Wir kommen darauf zurück.

Baltzer ist der einzige Medizin-Praktiker in einem Kreis von Ethikern, Philosophen und Theologen. Anders als seine Mitautoren schreibt er nicht über Hoffnung am Ende, sondern am Anfang des Lebens - bei Schwangerschaft und Geburt. Sein Beitrag glückt als ebenso lebensnahe wie theoretisch wache Meditation über die Grenzen medizinischen Handelns. Früher, schreibt er etwa, sei im Falle einer Schwangerschaft die Rede davon gewesen, eine Frau sei guter Hoffnung; heute heiße es, sie erwarte ein Kind: "Die Erwartung hat der Hoffnung Platz gemacht." Baltzer sieht die sprachliche Verschiebung als Reflex auf Veränderungen im Medizinbetrieb: Der Patient werde "zunehmend nicht als Leidender und Hilfesuchender, sondern als Kunde und Konsument angesehen". Man darf in Baltzers Sinn ergänzen: Auch Patienten sehen sich zunehmend selbst so, etwa dann, wenn Gesundheit zum Anspruch an sich selbst wird.

Baltzer weist zur Erläuterung auf die mittlerweile gängige Redensart hin, jemand habe den Kampf gegen Krebs verloren - als sei der Tod Zeichen von Unvermögen. Der Gynäkologe berichtet auch, dass kinderlose Paare unter regelrechten Leistungsdruck geraten, weil Kinderlosigkeit nicht wie früher als Schicksal gesehen wird, sondern als Makel: Paare stehen plötzlich als Versager da. "Jedes Nichterreichen selbstgesetzter Ziele wird als narzisstische Kränkung erfahren", schreibt Baltzer dazu.

Er plädiert im Gegenzug für Selbstbescheidung. "Therapie heißt nicht nur Behandlung, sondern auch Begleitung", schreibt er und meint dies: Es gibt Gefilde, in denen Arzt und Patient sich nicht mehr medizinisch-therapeutisch, sondern nur existenziell begegnen als Geschöpfe, denen ein Schicksal widerfährt. Man kann es gemeinsam tragen, aber nicht ändern. Kommt also die Kunst des Hoffens doch irgendwann an ein Ende? In christlicher Perspektive, auf die Kardinal Lehmann eingeht, nicht. Christen hoffen, dass sie nie tiefer fallen als in Gottes Hand; Lehmann zitiert zur Verdeutlichung Augustinus - vielleicht der schönste Satz des Buches: "Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir."

Lehmann betont aber auch, dass dies keine billige Vertröstung auf das Jenseits sein darf; er plädiert eindringlich dafür, Gefühle von Angst und Ausweglosigkeit im Angesicht einer tödlichen Krankheit ernst zu nehmen. Es geht um "Mut in der Hoffnungslosigkeit". Daraus spricht tiefer pastoraler Realismus: Menschen können in schwerer Krankheit eben auch von Verzweiflung erfüllt sein, denn Hoffnung lässt sich nicht verordnen, nicht beschließen, nicht klerikal befehlen. Lehmann betont weiter, dass es neben der einen, großen Hoffnung auf Gott im Prozess des Sterbens auch viele kleine Hoffnungen gibt, viele kleine Schritte, für die man das Beste, Beistand und Trost erhofft: Auch ohne Hoffnung auf Genesung, schärft Lehmann uns ein, hofft der Kranke "auf einen treuen Begleiter".

Nun ist vielen der Weg des Glaubens verschlossen. Gibt es Hoffnung auch ohne Gott? In einem der bewegendsten Beiträge des Buches weist die Medizinethikerin Claudia Bozzaro einen Weg: Vielleicht bleibt, so kann man sie verstehen, am Ende die Hoffnung, an der Fülle des Lebens Anteil zu haben. Bozzaro geht auf den Camus-Roman "Die Pest" ein, in dem der Arzt Dr. Rieux dem Sterben ohnmächtig gegenübersteht. Er will den Kranken auch keine falschen Hoffnungen machen und lebt so in der "Einsamkeit des Wahrhaftigen". Doch in dieser Einsamkeit, schreibt Bozzaro, "blitzt dennoch der Funke der Liebe auf"; der Liebe zum einzelnen Menschen wie zum Menschengeschlecht. Hier schließt sich der Bogen auf wundersame, tröstliche Weise zum Schicksal der todkranken Nina Zacher: Auch sie spricht am Ende ihres Lebens nicht von Hoffnungslosigkeit, sondern von Liebe und dem Wunsch, dass ihr Schicksal Ansporn im Kampf gegen ihre Krankheit ist. Das ist im Camusschen Sinne Hoffnung für das Menschengeschlecht.

Über sich selbst schreibt sie: "Was bleiben wird, ist, meine ganze Liebe und Erinnerungen an gute Zeiten." So geht die Hoffnung der Nina Zacher für sich selbst nicht mehr in die Zukunft; ihre Hoffnung geht auch zurück, umfasst ihr ganzes Leben: Sie hofft, dass ihre Zeit erfüllt war, auch die des Leidens, bis zum letzten Atemzug.

(RP)
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