Kommentar zu Debatten im Rat Die Luft anhalten im Krefelder Rat
Krefeld · In der jüngsten Ratssitzung gab es gleich zweimal einen Ritt auf der Rasierklinge. Im einen Fall ging es um sozialistische Dialektik, im anderen um eine Beinahekatastrophe des guten Geschmacks.
Dialektik also: Der Linke-Ratsherr Basri Cakir hat den Eindruck erweckt, die Linke wolle die Ukraine-Flüchtlinge in Krefeld Hunger und Obdachlosigkeit preisgeben, indem sie erst auf Geld von Bund und Land zum Helfen warten wolle. Das hat die Linke am Tag danach so haarscharf geradegerückt: Man habe erst protestieren und dann der Versorgung auch ohne Zuschüsse zustimmen wollen. Nehmen wir also zugunsten der Linken an, sie habe sich nicht klar ausgedrückt. Was nicht ausgeräumt ist, ist das Weltbild einer Partei, der beim Stichwort Eskalation die Nato einfällt und exakt ein Aggressor: Erdogan. Putin? Kommt nicht vor, außer indirekt als Opfer der Eskalation, die von der Nato ausgeht.
Diese Logik in den Krefelder Rat zu tragen, ist auch deshalb perfide, weil die Linke damit dort, wo die Flüchtlinge ankommen und leben, mit Ressentiments gegen Menschen spielt, die vor dem von Putin entfesselten Grauen in ihrer Heimat geflohen sind. Natürlich werden die Krefelder Linken diesen Vorwurf mit Abscheu und Empörung zurückweisen – sie spielen aber doch im Kern mit Fremdenhass. Jawohl.
Man fragt sich, wie Leute, die sich hier in Krefeld immer als Sprachrohr der Schwachen gerieren, diese intellektuellen und moralischen Verrenkungen hinkriegen, bei denen am Ende Erdogan als Bösewicht übrigbleibt, Putin sanft verschlafen und die Eskalation im Ukraine-Krieg der Nato in die Schuhe geschoben wird – und nicht etwa dem Überfall von Putins Russland. Atemberaubende Akrobatik.
Rasier-Ritt Nummer zwei hat Freie-Wähler-Ratsherr Ralf Krings im Zusammenhang mit dem Beitritt Krefelds zum Netzwerk „Memory Cities“ hingelegt. Er sagte erst, es sei schwierig, Leid gegeneinander aufzuwiegen – hörte dann aber nicht auf sich und wog doch ab: das Leid der Krefelder Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg gegen das Leid in Städten wie Hiroshima. Hätte Krings auf Krings gehört, hätte er geschwiegen. Die Abgründe in dieser Frage sind einfach zu groß. Krefeld hat sich ja nicht vorgedrängelt, sondern ist eingeladen worden – von einer Stadt, die unter den Deutschen gelitten hat. Was wäre das für ein Affront, diese Einladung abzulehnen? Oberbürgermeister Frank Meyer hat mit Engelszungen auf Krings eingeredet, diese Einladung nicht mit einem Nein auszuschlagen – und eine Enthaltung erwirkt. Reife Leistung. Krings sollte ihm dankbar sein und öfter auf sich selbst hören.