Krefeld Klassisch, nicht spießigMit strenger Etikette
Krefeld · Applaus, Blitzlichtgewitter und strahlende Eltern. Katharina Reusch (18) und Niklas Mertens (21) haben es endlich hinter sich: Hand in Hand sind sie mit den anderen Paaren in den großen Saal einmarschiert, um ihre ersten Tanzschritte vorzuführen. "Ich war so erleichtert, dass alles geklappt hat. Wir haben noch versucht, uns vor unseren Eltern zu verstecken, damit bloß keine peinlichen Bilder entstehen," erzählt Niklas lachend.
Mit dem Gruppenfoto ging alles los. Die Mädchen lächeln in ehrlicher Erleichterung darüber, dass der Partner sie nicht versetzt hat, in die Kamera – die Haltung ganz nach englischer Sitte mit einem Blumenstrauß auf dem Schoß und den Knien leicht nach links gedreht. "Das war so richtig klassisch. Nicht spießig aber eben ganz was Anderes, " erzählt Katharina. Für sie und die anderen Mädchen war die Zeit vor dem Abschlussball der reinste Marathon. In vier Städten hat sie nach dem perfekten Kleid gesucht, Friseurtermine gemacht und das Laufen auf hochhackigen Schuhen geübt. Beim Abschlussball war dann aber alles viel einfacher als gedacht: "In der letzten Tanzstunde vor dem Ball hat es noch einen kurzen Benimmkursus gegeben. Dadurch ist der Abend aber trotzdem nicht steif geworden. Es war ganz schön, die Jungs mal als Gentlemen zu erleben," schmunzelt Katharina.
"Hübsch lächeln, Schätzchen"
Einer der Höhepunkte des Abends war der Vater-Tochter-, beziehungsweise Mutter-Sohn-Tanz. Die Eltern, die ihre Kinder noch mit einem "Immer hübsch lächeln, Schätzchen" ermuntert hatten, wurden jetzt selber nervös; der letzte Tanzunterricht liegt ja doch schon ein paar Jahre zurück. Aber Niklas und Katharina sind sich einig: Ihre Eltern hatten es "noch richtig drauf".
Die Tanzserien wurden nur von professionellen Formationen unterbrochen. Ein Auftritt des Jugendtanzkreises gab schließlich den Anstoß, dass beide dabei geblieben sind. Niklas gesteht: "Das sah richtig gut aus. Eigentlich hatte ich angefangen zu tanzen, um Frauen kennen zu lernen, aber bei Katharina habe ich richtig Feuer gefangen."
Blumenschmuck, Tüllkleider und Walzerklänge: Helmut und Inge Faber, heute 73 und 68 Jahre alt, denken gerne an ihren Abschlussball 1958 zurück. Damals kamen die Paare dazu im Parkhotel Krefelder Hof zusammen. "Der Saal war wunderschön. Wir saßen alle mit unseren Eltern am Tisch, aber eigentlich haben wir nur darauf gewartet, aufgefordert zu werden – besonders von dem Einen, den man sich ausgeguckt hatte", erinnert sich Inge Faber lachend. Man hat sich zwar vorher mit einem festen Partner verabredet, aber da es immer mehr Mädchen als Jungen gab, mussten die ab und zu auch die Mädchen auffordern, die ohne Partner gekommen waren.
"Besonders Tanzlehrerin Ellen Haase hat ganz streng auf Etikette geachtet: Schuhabsätze durften nur eine bestimmte Höhe haben, der Blumenstrauß musste zum Kleid passen, Stühle durften von den Herren nicht angekippt, sondern vorsichtig untergeschoben werden und das Format der Abendhandtaschen war vorgegeben", erinnert sich Helmut Faber. Neben dem Tanzen freuten sich vor dem Ball alle Jugendlichen auf ein – und wenn die Eltern nicht hinschauten – auch ein zweites Glas von der Kalten Ente. "Der Cocktail aus Sekt und Wein stand in mit Zitronenschalen umschlungenen Karaffen auf dem Tisch und war für alle das Nonplusultra", sagte Inge Faber.
Mutter nähte das Tüllkleid
Die klassische Tanzmusik wurde nur hin und wieder von ein paar moderneren Takten abgelöst, und auch sofort wieder abgebrochen, wenn die Erwachsenen pikiert die Nase rümpften, erzählt Inge Faber. "Meine Eltern waren grundsätzlich nicht begeistert, dass ich zum Tanzen ausgegangen bin. Sie fanden das nicht sonderlich schicklich. Aber meine Mutter, Schneidermeisterin von Beruf, hat mir für den Abschlussball ein wunderschönes weißes Tüllkleid genäht."
Der Auftritt eines Showtanzpaares an diesem Abend hat Helmut und Inge Faber dazu angespornt, noch weitere Kurse zu belegen – und das mit viel Erfolg: Sie wurden Turniertänzer und freuen sich, dass nun auch ihr Enkel Carsten in die Tanzschule geht.