Der liebe Jung Krefelds letzter Büttenredner

Krefeld · Andreas Dams steht seit 1979 auf der Bühne, seit 1997 als „Der liebe Jung“. Er berichtet, wie sich die Büttenrednerszene, der Karneval und auch das Publikum verändert haben. Und er ist überzeugt: Manche Rituale sind ein Problem.

„Plumpe Witze über Ehefrauen und Beamte funktionieren nicht mehr“: Andreas Dams als „Der liebe Jung“. Er ist mit der Gitarre und seinen Musikparodien erfolgreich.

Foto: Jens Voss

Er ist der Letzte seiner Art in Krefeld. Vielleicht gibt es noch Eigengewächse in den  Vereinen, die in die Bütt steigen, aber „der“ Büttenredner, der durch die Säle tingelt und dies seit vielen Jahren: Den gibt es nicht mehr. Bis auf Andreas Dams. Sein Lebensweg zeigt auch, wie der Karneval sich verändert, wie bestimmte Traditionen abbrechen, was nicht nur schlecht ist: „Plumpe Witze über Ehefrauen und Beamte funktionieren nicht mehr“, sagt Dams etwa. Er sagt aber auch irgendwann: „Das Gemütliche geht verloren.“ Ein bisschen Wehmut ist auch dabei. Denn Dams wurde in einer Zeit groß, in der viele Karnevalsgesellschaften gleich mehrere Büttenredner hatten. Wo sind sie geblieben?

Dams‘ Geschichte ist auch die Geschichte von jemandem, der beinahe Profi geworden wäre. Er ist heute 57 Jahre alt. Er war Kinderprinz,  seine erste Bühnenerfahrung machte er als Büttenredner bei einer Kindersitzung. Seit dieser Zeit war er quasi infiziert. Auf der Bühne fühlte er sich wohl, sie war sein Element,  dort konnte er aus sich herausgehen, viel mehr als im normalen Leben. Privat sei er eher zurückhaltend, berichtet er: „Ich trete liebe vor 500 Leuten auf als vor fünf Leuten.“  Auch beruflich – er arbeitet bei einer Bank – ist er nicht draußen im Kundenkontakt, sondern hat andere Aufgaben.

Aktiv im Karneval ist er seit 1979. Erste Auftrittserfahrungen machte er zusammen mit seiner Mutter Ellen, die mit ihrem Sohn das Duo „Kuddel und Muddel“ bildete. Ein Jahrzehnt – von 1982 bis 1991 – traten beide erfolgreich zusammen auf, 1986 gewannen sie den „Goldenen Seidenweber“ für die beste karnevalistische Darbietung der Stadt.

„Sie leidet sowieso“: Andreas Dams als „Der liebe Jung“ mit seiner Ehefrau Claudia. Beide haben sich bei einer Prinzenproklamation kennengelernt.

Foto: Jens Voss

Es war die Hochphase der Büttenredner. „Allein in meiner Gesellschaft gab es vier Redner“, berichtet Dams, „man ist gegenseitig bei anderen Gesellschaften aufgetreten“, mal in Gaststätten, mal in den größeren Prunksitzungen.  Der Kneipensitzungskarneval ist so ein Punkt, bei dem Dams wehmütig wird: Diese Art der kleinen Sitzungen gibt es kaum noch; der Sitzungskarneval ist größer und auch teurer geworden; die Gesellschaften bemühen sich, ihr Programm mit überregional bekannten Namen zu schmücken. Die Nähe zum Publikum, die Gemütlichkeit, wie sie sich in Gaststätten schon wegen der kleineren Räume ergibt, geht dabei verloren.

Sein erstes Soloprogramm absolvierte er als „Dä Lällbeck“. Dieser Krieewelsch-Begriff meint einen albernen Jüngling. 1997 wechselte er die Figur und wurde „Der liebe Jung“, der er bis heute ist. Ein Erkennungsmerkmal: die Gitarre; Dams nahm Musikparodien ins Programm. Und hatte richtig Erfolg, trat auch in Düsseldorf, Köln und Bonn auf. Ende der 90er Jahre wurde er über Agenturen vermittelt, „es wurde sehr professionell.“ Es war die Phase, in der Dams drauf und dran war, zum Vollprofi zu werden.

Doch irgendwann erkannte er – und er spricht freimütig darüber – dass es dazu wohl doch nicht reicht. „Ich hatte sehr viele gute Auftritte, dann wurden es aber auch mehr nicht so gute Auftritte, und irgendwann fragt man sich dann eben: Liegt es an der Platzierung deines Auftritts, liegt es am Publikum – oder liegt es an dir?“ Dams spürte, dass die Kreativität für die ganz große Profi-Karriere nicht reichte.

Dennoch hielt er sich als gefragter Büttenredner. Seine Frau Claudia wurde ihm zur wichtigen Beraterin. „Sie leidet sowieso“, sagt er lächelnd, denn sie müsse sich seine Reden anhören und ist die erste Richterin: Gut oder schlecht, zündend oder nicht? Sie lächelt: „Ab und zu darf ich auch einen Witz beisteuern.“ Beide haben sich 1989 bei einer Prinzenproklamation kennengelernt. Sie hatte mit Karneval wenig am Hut, doch der Mann ihrer Wahl war nun mal schwer aktiv. „Mir blieb nichts anderes übrig“, sagt sie, „die Wahl war: Entweder sehen wir uns nach der Session wieder – oder du gehst mit.“ Sie ging mit. Liebe eben.

Dams ist auch jenseits der Bühne im Karneval aktiv. 2019 bildete er mit seiner Frau das Prinzenpaar, er ist in einigen Vereinen aktiv und gründete 2001 den „Freundeskreis Die Labersäcke“. Als Präsident organisiert er Sitzungen im Stadtwaldhaus, die regelmäßig ausverkauft sind, für bis zu 400 Menschen – bis heute. Andere Gesellschaften haben Absatzschwierigkeiten – was machen die Labersäcke richtig? „Bei uns gibt es keine Ordensverleihungen und keine Begrüßungen von Ehrengästen“, sagt Dams. Dadurch behalten die Sitzungen Tempo. Es gibt ein Saalprinzenpaar, das unter großem Hallo bestimmt wird, es gibt auch Phasen des Zuhörens , aber bestimme Rituale  fallen eben weg. Dams ist überzeugt, dass es dem Sitzungskarneval guttun würde,  die Abläufe zu überprüfen. Denn auch das Publikum hat sich verändert. „Wenn die Leute sich langweilen, fangen sie an zu reden, es kommt Unruhe auf. Einfach zuzuhören ist nicht mehr selbstverständlich“, berichtet er. Auch das Geld sitzt nicht mehr so locker.

Trotz aller Veränderungen: Ans Aufhören denkt Dams nicht. Der Karnevalsbühnenvirus ist noch da  „Ganz ohne“, sagt er,  „kann ich nicht.“ Der „liebe Jung“ wird also noch eine Weile lieb bleiben.