David Grossman in Krefeld Kämpfer gegen die Schwerkraft der Trauer

Krefeld · David Grossman ist der wichtigste zeitgenössische Schriftsteller Israels. Am 24. Mai hat sein Stück "Aus der Zeit fallen" Premiere in der Fabrik Heeder. Grossman kommt nach Krefeld - und spricht am 25. Mai in der Mediothek. Weltweites Aufsehen erregte er mit dem Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht".

 Szene aus dem Theaterstück "Aus der Zeit fallen" mit Vera Maria Schmidt (vorn), Eva Spott und Joachim Henschke.

Szene aus dem Theaterstück "Aus der Zeit fallen" mit Vera Maria Schmidt (vorn), Eva Spott und Joachim Henschke.

Foto: Matthias Stutte

David Grossman ist der wichtigste zeitgenös-sische Schriftsteller Israels. Am 24. Mai hat sein Stück "Aus der Zeit fallen" Premiere in der Fabrik Heeder. Grossman kommt nach Krefeld - und spricht am 25. Mai in der Mediothek. Weltweites Aufsehen erregte er mit dem Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht".

Seine Stimme erhebt sich niemals laut, aber sie wird gehört: In Israel, weil er den schlimmsten Schmerz selber aushalten muss - im Rest der Welt, weil er davon schreiben kann, wie niemand sonst: einfühlsam und ergreifend, zugleich sanft und kraftvoll und mit einem Herzen voller Trauer. David Grossman zählt zu den wichtigsten Intellektuellen Israels. Als Friedensaktivist und als Literat tritt er für den israelisch-palästinensischen Dialog ein. Trotz Hass und Gewalt glaubt er an Versöhnung im Nahen Osten. Dafür ist er 2010 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden.

Als Grossman vor wenigen Wochen den Israel-Preis für Literatur erhielt, die höchste Auszeichnung des Staates, da nannte Staatspräsident Reuven Rivlin ihn einen "Zauberer des Hebräischen" und das Preiskomitee lobte seine "bemerkenswerte Vorstellungskraft, tiefe Wahrheit, moralische Haltung sowie einzigartige Sprache". Grossman kann mit leisen Tönen Gefühlslawinen auslösen. Denn er befindet sich selbst "im Herzen des Schmerzes", wie er es formuliert. Ums Trauern geht es auch in "Aus der Zeit fallen". Das einfühlsame und so schwer erträgliche Buch um Menschen, die ein Kind verloren haben, kommt ab Donnerstag, 24. Mai, auf die Studiobühne der Fabrik Heeder, inszeniert von der israelischen Regisseurin Dedi Baron.

Dass das Theater Grossman im Rahmen der Premiere und zu einem Podiumsgespräch am folgenden Tag in der Mediothek nach Krefeld holen konnte, ist ein Coup. Denn es ist Grossmans persönlichstes Buch, in dem die eigene Trauer um den jüngsten Sohn mithallt.

Sein Schicksal ist 2006 in enger Verbindung mit Grossmanns bekanntestem Buch "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" um die Welt gegangen. Ein halbes Jahr bevor sein erstgeborener Sohn Jonathan seinen Militärdienst beendete und ein halbes Jahr bevor sein jüngster Sohn Uri einberufen wurde, hat Grossman begonnen mit dem Roman über eine Frau, deren Sohn im Krieg ist. Der Angst vor der Nachricht, dass er gefallen sei, will sie sich entziehen und wandert durch die Gebirge Israels. Irgendwie habe er die Hoffnung gehegt, das Buch würde den Sohn schützen, schreibt Grossman ins Nachwort. Es kommt anders. Der größte Teil des Manuskripts ist fertig, als Grossman im August 2006 gemeinsam mit seinen Schriftstellerkollegen Amos Oz und Abraham Jehoshua von Israels Regierungschef Ehud Olmert das sofortige Ende der Kämpfe im Libanon fordert. Zwei Tage vor der Waffenruhe, am 12. August, stirbt Uri im Südlibanon, als sein Panzer von einer Panzerabwehrrakete getroffen wird. Nach der siebentägigen Trauerwoche kehrt der Schriftsteller an seinen Roman zurück.

Aber jetzt ist nichts mehr so wie zuvor. Die Stille der Leere durch den Verlust hat ihn im Griff - auch noch nach zwölf Jahren, sagte er jetzt in einer Rede vor Israelis und Palästinensern zum Gedenktag für gefallene Soldaten und Terroropfer in Tel Aviv. "Es ist schwierig und anstrengend, dauernd gegen das Gewicht des Verlustes anzukämpfen." Sich zu erinnern sei schmerzvoll, "aber zu vergessen ist noch fürchterlicher." Doch Wut und Hass dürften nicht die Oberhand gewinnen, denn "Trauer isoliert nicht, sie verbindet und stärkt. Hier können selbst alte Feinde - Israelis und Palästinenser - sich in ihrer Trauer verbinden, ja sogar durch sie."

Immer wieder - auch in seiner Ansprache anlässlich des Friedensnobelpreises für Jitzhak Rabin im November 2006 - hat Grossman dazu aufgefordert, auf die Palästinenser zuzugehen. Was hierzulande als Mahnung für den Frieden geschätzt wird, ruft in Israel rechtsnationale Kritiker auf den Plan, die gar Landesverrat wittern. Grossman selbst sehnt sich nur nach einem Zuhause, wie er jetzt anlässlich der 70-Jahr-Feier Israels betonte. Ein Zuhause als Ort, dessen Wände oder Grenzen eindeutig und anerkannt seien, damit sich die Bewohner sicher fühlen und die Beziehungen zu den Nachbarn beständig sein könnten: "Wir sind noch nicht zu Hause. Israel wurde gegründet, damit das jüdische Volk, das sich so gut wie nie in der Welt zu Hause gefühlt hat, endlich ein Zuhause habe. Doch heute, 70 Jahre später, mag das starke Israel eine Festung sein - ein Zuhause ist es noch nicht." Grossman ist ein Pessimist, der sich nicht gestattet, die Hoffnung zu verlieren. Denn er ist Nationalist, einer der sein Land nicht verlassen will und möchte, dass seine Kinder und Enkel in Israel bleiben - und dort ein Land im Frieden erleben.

David Grossman ist 1954 in Jerusalem geboren. Seine Mutter wurde in Palästina geboren, der Vater kam als Kind mit seiner zionistisch geprägten Mutter von Polen nach Israel. Schon als Zehnjähriger hat David Grossman für Radio Israel eine Kindersendung moderiert. Während des Studiums der Philosophie und Theaterwissenschaften arbeitete er weiter fürs Radio - bis 1988. Er sollte die Nachricht unterdrücken, dass die Palästinenser einen eigenen Staat ausgerufen haben. Grossman weigerte sich. Und wurde gefeuert.

Zum Glück. Denn Grossman begann zu schreiben. Das Schreiben ist sein Leben. Als Atheist glaubt er nicht an ein Wiedersehen nach dem Tod. Nicht das Leben biete eine zweite Chance, nur die Literatur erklärte er in einem Interview mit der "Zeit". "Der Ort, an dem Tod und Leben einander für mich am nächsten sind, ist die Kunst.", sagte er. "Die Kunst ist der Ort, an dem wir die Leere, die Nichtigkeit und den Schrecken des Todes und zugleich die Ganzheit des Lebens denken und fühlen könne. Ich fühle mich viel lebendiger, wenn ich schreibe."

(RP)
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