Krefeld Justizirrtum: Unschuldig in Haft

Krefeld · Fast ein halbes Jahr musste ein Mann unschuldig im Krefelder Gefängnis sitzen. Bekannte hatten ihn des schweren Raubes bezichtigt. In zwei Wochen wird ihnen der Prozess gemacht – wegen Falschaussage.

 Justizvollzugsanstalt an der Nordstraße — hier saß der Häftling unschuldig ein.

Justizvollzugsanstalt an der Nordstraße — hier saß der Häftling unschuldig ein.

Foto: Lammertz, Thomas

Fast ein halbes Jahr musste ein Mann unschuldig im Krefelder Gefängnis sitzen. Bekannte hatten ihn des schweren Raubes bezichtigt. In zwei Wochen wird ihnen der Prozess gemacht — wegen Falschaussage.

Das Schicksal hat es mit Manfred S. selten gut gemeint: Die Hauptschule verließ er nach der neunten Klasse ohne Abschluss, dann schlug er sich als Aushilfe auf niederrheinischen Jahrmärkten durch. S. wurde Vater: einmal, zweimal, dreimal. Und verdiente als "junger Mann zum Mitreisen" wenig Geld, um seine drei Kinder zu ernähren. Mit der Mutter seiner Kinder stritt er sich häufig. Abends ging S. in Kneipen, ertränkte seinen Kummer und kiffte. Dann der Hoffnungsschimmer: S. bekommt einen Platz in einer Qualifizierungsmaßnahme der Arbeitsagentur. An der nimmt er regelmäßig teil, hat Hoffnung auf einen festen Job, ein regelmäßiges Einkommen.

Bis zu jenem 6. Februar 2010, an dem das Schicksal eine besondere Überraschung für den damals 27-Jährigen bereithielt: An dem Tag gingen zwei Frauen und ein Mann zur Kreispolizeibehörde an der Lindenstraße in Viersen. Im Erdgeschoss des dreigeschossigen Backsteinbaus mit dem roten Dach erstatteten sie Anzeige gegen Manfred S., schilderten dem wachhabenden Beamten glaubhaft, dass Manfred S. einen schweren Raub verübt habe. Mit einem Revolver. Den habe er seinem Kumpel Timmy an den Kopf gehalten, so dicht, dass der im Patronenlager die Projektile habe erkennen können. Dann habe sich S. ein Portemonnaie mit mehr als 1200 Euro Bargeld gegriffen und sei abgehauen. Das bestätigen seine Freundin und seine Schwester.

Die Anzeige wird aufgenommen, das Ermittlungsverfahren läuft an. Den Kriminalbeamten erklärt S. bei der Vernehmung, er habe keinen Raub begangen. Er sei unschuldig, betont der Beschuldigte. Doch die vermeintlichen Opfer bleiben bei ihrer Aussage. Im Mai beantragt die Staatsanwaltschaft Krefeld Haftbefehl. Am 5. Juni 2010 verkünden Polizisten Manfred S., dass er ins Gefängnis muss. Ein Samstag. Der 27-Jährige kommt in die Justizvollzugsanstalt Krefeld an der Steinstraße. Untersuchungshaft. Wie lange muss er bleiben? Bis zum Prozessbeginn.

Der Sommer ist lange vorbei, als in Saal 70 des Krefelder Landgerichts am Nordwall sein Fall verhandelt wird. 136 Tage sitzt Manfred S. da bereits in Untersuchungshaft. Es ist der 19. Oktober 2010. Manfred S. hofft auf die Wahrheit. Die Hauptbelastungszeugen lassen sich aber entschuldigen. Sie haben Bauchschmerzen. Wieder muss Manfred S., mittlerweile 28 Jahre alt, ins Gefängnis. Am 8. November soll erneut verhandelt werden. Und erneut bleiben die Hauptbelastungszeugen der Verhandlung fern, diesmal unentschuldigt. Manfred S. muss erneut zurück in Haft. Der Richter ordnet an, dass beim nächsten Verhandlungstermin die Polizei die Zeugen zu Hause abholen soll.

Am 15. November dann erneut ein Verhandlungstermin. 163 Tage sitzt Manfred S. bereits in U-Haft. Saal 70 wird er am Ende der Verhandlung verlassen dürfen, ohne ins Gefängnis geleitet zu werden: Die Schwester von Timmy erklärt, sie habe gar keinen Revolver gesehen. Und in dem Portemonnaie seien keineswegs 1250 Euro gewesen, sondern vielleicht 20 oder 30. Der Richter setzt den Haftbefehl daraufhin sofort außer Kraft.

Am 1. Februar wird Manfred S. freigesprochen. Im Urteil wird festgesetzt, dass S. wegen der "erlittenen Untersuchungshaft" eine Entschädigung zusteht. Der Tagessatz liegt unter 25 Euro. Das Geld hat Manfred S. auch mehr als ein Jahr nach seinem Freispruch noch nicht erhalten. Gestern war er nicht zu erreichen. Ein guter Grund: S. war bei der Arbeit.

(RP/url)
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