Krefeld Ideen-Fabrik sichert Unternehmens-Zukunft

Krefeld · Große Ideen beginnen bisweilen ganz klein: Für den weltweit tätigen Industriegasehersteller Messer tüfteln zahlreiche Experten im Krefelder Kompetenzzentrum an neuen Lösungen.

 Nina von Gellecom zeigt eine Entwicklung, die für weniger Schwefelsemission bei der Herstellung von Salpetersäure sorgt und darüber hinaus die Produktionskapaziät um zehn Prozent erhöht.

Nina von Gellecom zeigt eine Entwicklung, die für weniger Schwefelsemission bei der Herstellung von Salpetersäure sorgt und darüber hinaus die Produktionskapaziät um zehn Prozent erhöht.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Plötzlich stand ein Kunde aus Polen vor der Tür des Industriegaseproduzenten Messer in Krefeld am Gahlingspfad mit einem Sack voll Reststücken von Gartenschläuchen vor der Tür. Das Problem: Der Kunde suchte nach einem Weg, um die imSchlauch verarbeitenden Fasern und das Polyvinylchlorid (PVC) voneinander zu trennen.

Was so unspektakulär begann, hat sich für die Messer-Unternehmensgruppe zu einem tollen Geschäft entwickelt. „Ich ahnte damals nicht, dass es sich um tausende Tonnen von Gartenschlauchabfällen handelt“, sagt Oliver Dietrich, der das Projekt betreut hat. Das Material wird mit Stickstoff gekühlt und anschließend mit 230 Metern pro Sekunde Geschwindigkeit in einem Prallkessel beschleunigt. Der Gartenschlauch zerspringt in unzählige kleine Teile und die Bestandteile können dann separiert werden. Die Maschinen dazu entstehen mit Partnern von Messer zunächst als Prototyp. In diesem Fall war es die bekannte österreichische Firma Voest Alpine. Bislang wurden die Gartenschläuche überwiegend verbrannt. Dabei entsteht Salzsäure, die die Anlagen angreifen. Die Betreiber der Müllverbrennungen hatten also nachvollziehbarer Weise kein Interesse daran, PVC thermisch zu verwerten wie es in der Recyclingbranche beschönigend heißt.

Ähnlich funktioniert das Mahlen von Gewürzen in Vietnam. Weil dabei durch Reibung Wärme entsteht, verliert das Gewürz seine ätherischen Öle. Das ist natürlich nicht gewollt. Messer liefert den Stickstoff und die mit Partner die Maschinen, um die kostbaren Gewürze kalt zu mahlen.

Das neue Kompetenzzentrum am K2 Tower mit Industriepark von Kleinewefers in Inrath bietet in den zunächst für einen Zeitraum von fünf Jahren gemieteten Hallen (plus fünf Jahre Option) genügend Platz, um die Forschungs- und Entwicklungsarbeit der Messer-Gruppe unter einem Dach zu vereinen (wir berichteten).Die spezialisierte Ideen-Fabrik bildet die Stufe zwischen Forschung und Entwicklung unter Laborbedingungen auf der einen und der industriellen Anwendung auf der anderen Seite. Es dient der detaillierten Analyse technischer Abläufe, der praktischen Erprobung neu entwickelter Anwendungstechnik sowie der Ausarbeitung spezifischer Lösungen für einzelne industrielle Anwendungen, welche in enger Zusammenarbeit mit Universitäten und Kooperationspartnern durchgeführt werden.

Gase werden in vielen Industriebranchen und in ganz unterschiedlichen Prozessen genutzt. Ihr Einsatz hat in den letzten Jahrzehnten eine starke Ausweitung erfahren. Ständig entstehen neue gasegestützte Verfahren, bestehende Verfahren werden fortlaufend weiterentwickelt.

Im Bereich Schneiden und Schweißen geht es hauptsächlich – aber nicht nur – um die Bearbeitung von Metallen. Hier haben sich unter anderem aus der rasanten Entwicklung der Lasertechnologie viele neue Anforderungen an Schneid- und Schweißgase ergeben. Spezifische Gasgemische können Effizienz und Qualität von Schweißverfahren deutlich steigern. Zu diesem Bereich gehören auch additive Fertigung und 3D-Druck mit metallischem Material, wobei Schutzgase unverzichtbar sind.

Das gilt ebenso für den Bereich Chemie und Umwelt, wo sie für Sicherheit in den Prozessen sorgen und die Qualität der Produkte bewahren helfen. In der Regel geht es dabei um das Verhindern von Oxidationsreaktionen und damit auch um das Eindämmen von Brand- und Explosionsgefahr. Auf der anderen Seite wird Sauerstoff aber auch gezielt zur Prozessoptimierung eingesetzt, nicht zuletzt bei der Aufbereitung von Trinkwasser, Abwasser und Prozesswasser.

Die Lebensmittelindustrie nutzt Gase wegen ihrer chemischen und physikalischen Eigenschaften. Als modifizierte Atmosphäre in der Lebensmittelverpackung tragen sie zur Verlängerung der Produkthaltbarkeit bei; als Kältelieferant werden sie in zunehmendem Maß sowohl in der Verarbeitung als auch beim Transport eingesetzt. So werden kryogene Gase in der Lebensmittelproduktion zum schnellen Einfrieren, zum Oberflächenanhärten oder als Kältequelle während diverser Mischvorgänge eingesetzt. Für den Transport von Lebensmitteln können entweder ganze Lkw-Laderäume oder einzelne Isoliercontainer auf der gewünschten Temperatur gehalten werden.

 Frank Gockel zeigt extrem kalte Kühlkissen, die mit bloßer Hand angefasst werden können und somit das Arbeiten erleichtern.

Frank Gockel zeigt extrem kalte Kühlkissen, die mit bloßer Hand angefasst werden können und somit das Arbeiten erleichtern.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)
 Schweißen mit weniger Spritzern, die dann auch noch leichter zu entfernen sind

Schweißen mit weniger Spritzern, die dann auch noch leichter zu entfernen sind

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)
 Oliver Dietrich zeigt mit dem Gummihammer, wie sich flexibles Material dank Stickstoff zerschlagen lässt.

Oliver Dietrich zeigt mit dem Gummihammer, wie sich flexibles Material dank Stickstoff zerschlagen lässt.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Ein anderes Einsatzgebiet für Kälte - sprich Stickstoff - ist das Einfrieren von Erdreich. In Amsterdam kam die Technologie zum Einsatz, um im Van-Gogh-Museum im eigentlichen Grundwasserbereich Tiefbauarbeiten durchzuführen. Abpumpen der Wassermassen war dort keine Option. Ferner sind auch exotische Anwendungen möglich. Musiker und Instrumentenbauer legen ihre Blech- oder Holzinstrumente bei minus 180 Grad in eine Kühlkammer, um Spannungen des Materials zu beseitigen und dadurch einen besseren Klang zu ermöglichen.

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