Corona Pandemie Erstmals Muezzin-Rufe über Krefeld

Krefeld · Es ist ein historisches Datum: Im Zuge der Corona-Pandemie sind erstmals öffentlich Muezzin-Rufe in Krefeld zu hören. Noch vor zwei Jahrzehnten gab es in Deutschland erbitterte Auseinandersetzungen darum. Auch in Krefeld gab es dazu 2012 und 2014 Debatten.

 Bild von der Einweihung des ersten Minaretts Krefelds (2016; Yunus-Enre-Moschee Stahldorf): Es ist wie das Minarett der im Bau befindlichen  Moschee an der Gladbacher Straße als stilles Minarett ohne Muezzin-Ruf geplant. Der Ruf ist nun in der Zeit erlaubt, in der Gotteshäuser wegen Corona geschlossen bleiben müssen.

Bild von der Einweihung des ersten Minaretts Krefelds (2016; Yunus-Enre-Moschee Stahldorf): Es ist wie das Minarett der im Bau befindlichen  Moschee an der Gladbacher Straße als stilles Minarett ohne Muezzin-Ruf geplant. Der Ruf ist nun in der Zeit erlaubt, in der Gotteshäuser wegen Corona geschlossen bleiben müssen.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Ohne große Diskussion ist im Zuge der Corona-Pandemie in Krefeld (wie in anderen Kommunen) eine nachgerade historische Entscheidung gefallen. Erstmals ertönen öffentlich Muezzin-Rufe (wir berichteten). Die Genehmigung erteilte die Stadt im Einvernehmen mit den großen christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinde. Die Regelung gilt für die Dauer der Schließung von Moscheen, Kirchen und Synagogen und soll Zeichen der Toleranz und der Empathie sein: Mitgefühl mit Menschen, die ihren Glauben nicht mehr vereint  im Gottesdienst ausüben können. Corona hat damit einen Schub an Toleranz bewirkt, der alles andere als selbstverständlich ist. Bis heute spaltet der Muezzin-Ruf die Gemüter, vor zwei Jahrzehnten gab es dazu in Duisburg eine deutschlandweit beachtete, erbitterte Debatte.

Vorweg: Die Krefelder muslimische Gemeinschaft verfolgt bislang eine zurückhaltende Linie und setzt auf Konsens; sie will, wie es der frühere Vorsitzende der Türkischen Union, Mehmet Demir, im Jahr 2012 ausdrückte, nicht „mit der Brechstange“ für den Muezzin-Ruf eintreten; „wir setzen auf Dialog“, hatte Demir damals gesagt. Im Jahr 2012 war die Debatte darum aufgeflackert, nachdem die FDP gefordert hatte, das Glockenläuten und den Muezzin-Ruf gleichzusetzen.

Die muslimische Gemeinschaft bleibt bei ihrer zurückhaltenden Linie: Sowohl das erste Krefelder Minarett – 2016 eingeweiht und zur Yunus-Emre-Moschee in Stahldorf gehörend – als auch das Minarett der in Bau befindlichen Moschee an der Gladbacher Straße  sollen „stille Minarette“ ohne Muezzin-Ruf bleiben.

So kam es es zur Ausnahmeregelung: Die muslimischen Gemeinden hatten bei Krefelds Integrationsbeauftragter Tagrid Yousef nach einem gemeinsamen Kirchengeläut und Muezzin-Ruf angefragt. Yousef leitete die Bitte an die übrigen Religionsgemeinschaften weiter; Katholiken, Protestanten und Juden signalisierten Zustimmung.

Krefelds Muslime haben das „dankbar begrüßt“. Es sei „ein schönes Gefühl, den Gebetsruf, den wir Muslime ja nur innerhalb der Moschee bisher gehört haben, auch mit der Öffentlichkeit teilen“ zu dürfen, erklärt Halide Özkurt via Facebook; sie gehört zur Fatih-Gemeinde, die die neue Moschee baut. „Für uns ist das ein einmaliges Erlebnis, es rührt uns und zeigt, dass wir in Deutschland angenommen worden sind. Nicht mehr und nicht weniger“, so Özkurt weiter. Bei Facebook machen eine Reihe von Videos der Muezzin-Rufe die Runde.

Unter der Oberfläche blieb das Thema heikel, das Meinungsspektrum nicht einhellig.  Die Evangelische Allianz Krefeld, die im Wesentlichen von evangelikal geprägten Freikirchen  getragen wird, hat sich gegen den Muezzin-Ruf ausgesprochen. Hauptgrund: Die Allianz sieht den Muezzin-Ruf als „eine Proklamation muslimischen Glaubens in der Öffentlichkeit“, wie es in einer Stellungnahme zu der muslimischen Bitte heißt. Der öffentliche Ruf werde „als herabwürdigend für Jesus Christus“ empfunden; Christus werde öffentlich unter den Propheten Mohammed gestellt: „Jesus ist nur Prophet und Mohammed das Siegel der Propheten.“ Insbesondere lehnen die Freikirchen die Gleichstellung von Glockenläuten und Muezzin-Ruf ab: Das Läuten sei „neutral einladend zum Gebet“ und „keine Proklamation für Jesus Christus in der Öffentlichkeit“, somit auch „kein Ärgernis für Andersgläubige“. Was würde geschehen, fragt die Allianz, „wenn Christen per Lautsprecher in islamisch geprägten Straßen ausrufen: ,Jesus ist Gottes Sohn. Er ist an Karfreitag gekreuzigt worden und vom Tod auferstanden. Jetzt thront er im Himmel an Gottes rechter Seite’?“.

Auch 2014 wurden beim Bau des ersten Minaretts von Krefeld Empfindlichkeiten deutlich:  So begrüßte der SPD-Politiker Michael Haas seinerzeit den Verzicht der muslimischen Gemeinde auf den Gebetsruf mit den Worten: „Dass in Krefeld die islamische Gemeinde von sich aus auf den Muezzin-Ruf verzichtet, sehe ich als ein klares Signal des Respektes und der Toleranz vor der christlichen Tradition in unserer Stadt.“

Bei der Debatte im Jahr 2012 im Zuge der FDP-Forderung nach einer Gleichstellung von Glockenläuten und Muezzin-Ruf kam Zustimmung von SPD und Grünen und eine differenzierte Ablehnung von der CDU. Sie lehnte den Ruf mit Lautsprecherverstärkung ab. Dies falle nicht unter die grundgesetzlich gewährleistete „ungestörte Religionsausübung“, hieß es; über einen Gebetsruf ohne Verstärker könne man nachdenken. „Beim Gebetsruf per Lautsprecher wird die jahrhundertelange christliche Prägung der deutschen Gesellschaft nicht mehr berücksichtigt“, erklärte der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Wilfrid Fabel.

Die Krefelder Debatten waren harmlos im Vergleich zu der Auseinandersetzung, die 1996 und 1997 in Duisburg geführt wurde. Dort sollten in den Stadtteilen Marxloh und Laar in der muslimischen Fastenzeit von Ende Dezember bis Ende Januar erstmals Muezzin-Rufe ertönen. Vor allem Pastor Dietrich Reuter erlangte seinerzeit bundesweit Berühmtheit. Sein Kernargument gegen den Muezzin-Ruf hob auch auf den Unterschied zum Glockenläuten ab: In einer Zeitungsanzeige seines Presbyterium vom November 1996 hieß es, der Anspruch auf Gleichbehandlung könne nicht das Recht auf regelmäßige lautsprecherverstärkte öffentliche Verkündigung außerhalb der eigenen Räume begründen; auch „von den christlichen Kirchtürmen her ergeht bisher noch keine lautsprecherverstärkte Predigt über den Stadtteil“.

Für den „Spiegel“ waren seinerzeit Fundamentalisten auf beiden Seiten aktiv: Das Blatt berichtete  im November 1997 von unterschwelligen Drohungen eines Moscheeverein-Sprechers: Wer sich gegen den Muezzin-Ruf wehre, müsse mit „unkontrollierbaren Aktionen“ rechnen, wird er zitiert.

Reuter wiederum wurde immer mehr zum Eiferer und hat sich in der evangelischen Kirche zunehmend isoliert, ja unmöglich gemacht. Schon die Zeitungsanzeige war von der Landeskirche scharf kritisiert worden, sie schüre „Ignoranz und Abgrenzung“, hieß es auf der Synode der Rheinischen Kirche 1997. Im Jahr 2000 hat Reuters dann von der Kanzel herab die Namen von Gemeindegliedern genannt, die sich angeblich unzüchtigen Verhaltens schuldig gemacht hatten, weil sie ein uneheliches Paar waren; Reuter schloss sie deshalb vom Abendmahl aus. Danach wurde er von der Landeskirche beurlaubt und  aus der Gemeinde abberufen.

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