Krefeld „Hier wurde jemand erschossen“

Krefeld · Zwischen Fehlalarm und Verfolgungsjagd: Die Rheinische Post ging in der Nacht zu gestern auf Streife mit dem Nachtdienst der Hansawache und blickte den Polizeibeamten bei ihrer Arbeit über die Schulter.

Die Dienstbesprechung ist zu Ende, bevor sie überhaupt angefangen hat. Eine Polizistin stürzt in den Aufenthaltsraum der Hansawache. Die Alarmanlage einer Villa hat angeschlagen, den Anruf der Sicherheitsfirma nahm im Haus niemand an. Auch per Handy ist keiner der Eigentümer erreichbar. Eine Geiselnahme? Ein Einbruch? Ein Fehlalarm?

Vier Sekunden später sind die Stühle um den Konferenztisch leer. Einsam dampft ein heißer Kaffee vor sich hin. Die Beamten hasten an den beiden Zellen vorbei – in einer schlummert selig eine Hilo. So nennen Polizisten intern eine hilflose Person genannt. Oft handelt es sich dabei um jemanden, der mehr trank als er vertrug. Vom Zellen-trakt bis zum Hof, auf dem die Streifenwagen stehen, sind es gerade mal vier weitere Sekunden. Augenblicke später blinkt das erste Blaulicht, ertönen Martinshörner. Polizeihauptkommissar Marcus Holla ist in dieser Nacht Dienstgruppenleiter. Der 41-Jährige koordiniert den Einsatz. Er steuert seinen Passat mit hohem Tempo zu der Villa, dirigiert per Funk die Kollegen.

Vor 25 Jahren entschied sich Holla für den Polizeidienst und gegen das Abitur. „Ich war jung und abenteuerlustig.“ Die Abenteuerlust hielt nicht lang, die Lust am Polizeiberuf schon. An der Abendschule holte Holla sein Abi nach, studierte – Voraussetzung für den gehobenen Dienst. „Mein Beruf ist bunt und abwechslungsreich, das mag ich“, sagt der zweifache Familienvater.

Lautlos pirschen sich die Polizisten an das Haus an. Zwei Mitarbeiter des Wachdienstes treffen ein. Einen Schlüssel haben sie nicht. Die Tochter des Eigentümers wurde informiert. 15 Minuten später ist klar: Die Alarmanlage hat einen Defekt. Die Wagen rücken ab.

Hollas nächste Einsätze sind eine Ruhestörung, Nachbarschaftsstreitigkeiten, dann das Flottkriegen des eigenen Wagens: Die Batterie hat schlapp gemacht. „Das kommt häufiger vor, obwohl ein Relais das eigentlich verhindern sollte.“ Viel Elektronik an Bord – unter anderem eine digitale Videokamera und das AEG Teledux 9 Funkgerät – und viel Stadtverkehr, das setzt den Batterien der Streifenwagen zu.

„Hände hoch!“, rufen die Polizisten

Um 23.28 Uhr ist der Wagen wieder flott, zum Glück. Bei der Feuerwehr ist ein Notruf eingegangen. „Hier wurde jemand erschossen.“ Sämtliche Polizisten brechen unwichtigere Einsätze ab. Notarzt und Rettungswagen rücken aus. Holla macht das Blaulicht an, ist hoch konzentriert. In seinem Kopf spult das Programm ab, was an dem Tatort zu tun ist.

Vor Ort sichern Polizisten das Haus. Dann verschaffen sich weitere Beamte Zugang zu dem Gebäude. Mit gezogener Pistole nähern sie sich der Wohnung. „Hände hoch!“, rufen sie. „Macht die Funzel aus“, ruft eine Stimme von drinnen. Sie gehört dem vermeintlichen Opfer. Jemand hat sich einen äußerst makabren Scherz erlaubt, der diesen Jemand teuer zu stehen kommen wird. Polizisten sichern bei der Feuerwehr das Band mit dem Anruf. Die Telefonnummer wird zurückverfolgt. Der Täter wird die Kosten des Einsatzes bezahlen müssen. Ihn erwartet ein Verfahren wegen Missbrauchs von Notrufen.

Zurück in der Hansawache. Auf dem Konferenztisch steht eine Tasse kalter Kaffee. Sie aufzufüllen, lohnt nicht. Um 0.06 Uhr wird ein Auto mit Tempo 100 bei Rot über die Kreuzung vor einem Polizeiwagen flüchten, dessen Besatzung Verstärkung anfordern wird. Aber das weiß um 0.05 Uhr natürlich noch niemand.

(RP)
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