Krefeld Großartiger Tanz mit dem Tod

Krefeld · Von Leben und Tod erzählt Robert Norths opulenter dreiteiliger Ballettabend. Das Publikum feierte die Premiere von "Sinfonie des Lebens" mit lange anhaltendem Applaus.

 Das Leben (Irene van Dijk im roten Kleid) und der Tod (Alessandro Borghesani) ringen miteinander um die Seelen. Die Choreografie "Der Schlaf der Vernunft" ist eine packende Inszenierung über die Gräuel des Kriegs und die Aussichtslosigkeit, dem Tod zu entkommen.

Das Leben (Irene van Dijk im roten Kleid) und der Tod (Alessandro Borghesani) ringen miteinander um die Seelen. Die Choreografie "Der Schlaf der Vernunft" ist eine packende Inszenierung über die Gräuel des Kriegs und die Aussichtslosigkeit, dem Tod zu entkommen.

Foto: Matthias Stutte

Der Tod ist kein smarter Verführer, der elegant und listig ins Jenseits leitet. Er macht keinen Hehl daraus, dass er nach Leben trachtet. Er lockt seine Opfer nicht, er bezwingt sie. Radikal. Gewaltsam. Brutal. Ein düsteres Bild zeichnet "Der Schlaf der Vernunft". Es ist der tief beeindruckende Mittelteil des dreiteiligen Ballettabends "Sinfonie des Lebens", den Chefchoreograf Robert North jetzt auf die Krefelder Theaterbühne brachte. Eingebettet in die lebensbejahenden Choreografien "Jugend" und "Farbenspiel" zielt dieser Part direkt in die Magengrube.

Ein Kupferstich von Goya mit dem Titel "Der Schlaf der Vernunft produziert Monster" hat North inspiriert, die dargestellte Grausamkeit des Krieges in Tanz zu übersetzen. North hat die todesschwere Sinfonie Nr. 14 von Dmitri Schostakowitsch dazu gewählt: düstere Klänge, die nicht dem klassischen Aufbau einer Sinfonie folgen. Statt dessen hat Schostakowitsch 1969 geprägt von einer schweren Krankheit Gedichte von Rilke und Apollinaire vertont, die Gräuel von Krieg und Gewalt im 20. Jahrhundert schildern. Aus jedem Ton klingt Verzweiflung und Todesangst. Janet Bartolova und Hayk Dèinyan singen die sperrigen, rezitationsartigen Passagen, deren schwer verständliche Texte man sich als Begleitzettel im Programmheft gewünscht hätte.

Alessandro Borghesani ist als "Der Tod" ein machtbewusster Fürst der Finsternis, der seine Opfer ohne Zögern in seine Gewalt bringt, kraftvoll und wieselflink. Als Frau in Rot bietet ihm einzig "Das Leben" die Stirn: Es ist Irene van Dijks erstes großes, dramatisches Solo auf der Krefelder Bühne, das sie voller Ausdruck meistert. Mit dem Mut der Verzweiflung umgarnt sie die Opfer, die der Tod ausgespäht hat, will sie im Diesseits halten. Das Ringen von Leben und Tod geht nahe. Dass das Leben auf verlorenem Posten steht, wird in jeder melancholietrunkenen Bewegung deutlich. Die Compagnie tanzt Schwermut; jede noch so anmutige Bewegung wirkt, als trügen die Tänzer Bleigewichte am Körper. Selbst wenn der Tod nicht auf der Bühne sichtbar wird, ist er allgegenwärtig. Wie Borghesani und van Dijk um "Loreley" (Elisa Rossignoli) kämpfen, trifft ins Mark. Takashi Kondo zeigt als Soldat vergebliches Aufbegehren gegen das Unausweichliche. - Vom Leben mit allen Möglichkeiten und Farben erzählen die beiden anderen Ballette: Sehr leich und frisch stellen die Tänzer zu Brittens heiterer Simple Symphonie in Blau gehaltene Szenen der "Jugend" dar. Die Leichtfüßigkeit und die aparten Gruppenbilder werden gekrönt von drei aparten Duetten: Irene van Dijk und Alessandro Borghesani, Elisa Rossignoli und Giuseppe Lazzara sowie Teresa Levrini und Marco A. Carlucci. Ein reines Vergnügen ist der mit "Farbenspiel" überschriebene dritte Teil, für den die Farb- und Kontrastbilder der britischen Künstlerin Bridget Riley Pate standen. Udo Hesse hat nach ihren Werken Farbwände geschaffen, vor denen die Tänzer in bunten Kostümen (auch von Hesse) wie Leuchtpartikel wirken, die ständig neue optische Verbindungen eingehen und die Sehnerven reizen: Blau und Türkis mischen sich zum Aquaton, Gelb und Korallenrot treffen auf Komplementärfarben, alles ist stetige Veränderung. Streifen und Flächen erhalten durch die rasanten Bewegungen der Tänzer eine Dynamik. Christopher Benstead hat für die Uraufführung, die 1983 in London unter dem Titel "Colour Moves" lief, eine unbeschwerte, flirrende Musik geschrieben, die er für die jetzige Aufführung überarbeitet und erweitert hat. Da fügt sich alles zusammen zu einem kleinen, leichtgängigen Gesamtkunstwerk mit reizvollen Wendungen. Ein fröhlicher Ausklang für einen erlesenen Abend. Der große Schlussbeifall galt auch den Niederrheinischen Sinfonikern, die Diego Martín-Etxebarria zu frischem, pointenreichem Klang anspornte. Brittens wenig bekannte Simple Symphonie wirkte fast, als sei sie für die Taps und Sprünge des Balletts komponiert worden. Nur Streicher und Schlagwerk begleiten Schostakowitschs Untergangsmusik - das ist so minutiös, dass es lange nachhallt.

Sinfonie des Lebens - Ballettabend von Robert North Aufführungsdauer ca. 2 Stunden, zwei Pausen Nächste Vorstellungen: heute, 22. Oktober, 1. , 11. , 17. und 28. November Kartentelefon 02151 805125.

(RP)
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