Krefeld Grandiose Puppen spielen Schachnovelle

Krefeld · Beim Figurentheater für Erwachsene begeisterte die Inszenierung von Stefan Zweigs Novelle mit Spiel und Musik.

 Puppenführer Sebastian Kautz verschmilzt mit der Puppe des greisen Dr. B. und deren Bewegungen (rechts). Die Musik dazu spiegelt die Gefühlswelt der gemarterten Figur. So ging dieser Theaterabend tief unter die Haut.

Puppenführer Sebastian Kautz verschmilzt mit der Puppe des greisen Dr. B. und deren Bewegungen (rechts). Die Musik dazu spiegelt die Gefühlswelt der gemarterten Figur. So ging dieser Theaterabend tief unter die Haut.

Foto: Frank Pusch

Ein entkerntes Bandoneon imitierte mit dem Blasebalg das Rauschen der See, während aus den Aufbauten eines Passagierschiffs eine mannsgroße weiße Ratte in exaltierter Sprache einen Prolog sprach, der von Sätzen wie dem folgenden geschmückt wurde: "Je mehr sich einer begrenzt, umso mehr ist er andererseits dem Unendlichen nahe." "Zuhause mal nachschlagen", empfahl sie dann listig und nicht zum letzten Mal an diesem Abend. So begann die geniale Inszenierung der Bremer Bühne Cipolla von Stefan Zweigs "Schachnovelle" im Rahmen des Figurentheater-Budenzaubers in der Fabrik Heeder.

Während Gero John, in wohl dosierten Maße von Elektronik unterstützt, zu einem intakten Bandoneon wechselte und später zu Cello und singender Säge griff, um der Dynamik der Aufführung weit mehr hinzuzufügen als bloße Untermalung, machte die Ratte, wie alle Figuren geführt von Sebastian Kautz, das Publikum mit Mirko Czentovic bekannt, dem 21-jährigen Schachweltmeister, dessen Begabung indes eine sehr einseitige zu sein schien und der von einer Schaufensterpuppe verkörpert wurde. Aus einem Rettungsring schälte sich sodann das dumm-feiste Gesicht eines neureichen amerikanischen Ölmagnaten mit "großkotzigem" Sprachduktus heraus. Das Schachduell der beiden an Bord des Dampfers bot aber nur die Rahmenhandlung für die Geschichte des greisen Anwalts Dr. B., der sich vom Rollstuhl aus in die Schachpartie einmischte.

Ihn hatte Figurenbauerin Melanie Kuhl als körperlich vollständige Puppe gestaltet, die Kautz hauptsächlich mit einem Griff ins Genick führte. Besonders kunstvoll war der Kopf gelungen. Das Gesicht sprach eindringlich von dem Gram, den er in sich trug seit dem Psychoterror monatelanger Gestapo-Verhöre, denen er als junger Mann ausgesetzt gewesen war. Die erste Verwandlung auf der Bühne erfuhr Dr. B. schon früh, indem Kauz ihm langsam Brille, Schnurrbart, den Hut und das schüttere schneeweiße Haar abnahm und ihn auf dessen eigenen Füße stellte. Die zweite an später Stelle im Stück, als Kautz den einen Kopf in zwei identische, einander anschauende Gesichter teilen konnte, um so die Schizophrenie des Mit-sich-selbst-Schach-spielen-Wollens ganz körperlich darzustellen.

Und auch die Führung dieser Figur war eine Meisterleistung. Kautz, stets vollständig sichtbar mit auf der Bühne, verschmolz oftmals mit der Figur und ihren Bewegungsabläufen, und wenn Dr. B. sich dann an der Wand des zur Isolationszelle umfunktionierten Hotelzimmers hochhangelte, um durch das Fenster Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen, und noch mehr, als er in einem halsbrecherischen Balanceakt auf dem Rollstuhl über sich nach dem Büchlein angelte, das ihm die Rettung seines Verstandes über die Haft hinweg ermöglichen sollte, dann packte die ganze Verzweiflung, in der sich beide Körper wie einer wanden, auch jeden im Publikum.

Hervorragend auch Gero Johns Beiträge auf den Musikinstrumenten und sein durch Verdichtung vermittels Loop in seiner Unentrinnbarkeit schmerzhaft spürbares Staccato der Verhörfragen gingen nachhaltig unter die Haut - insgesamt ein großartiges Theatererlebnis, das vom begeisterten Publikum stürmisch bejubelt wurde.

(RP)
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