Serie Kleine Geschichte der Stadt Krefeld (15) Wie die Perle Krefeld Nazis und Kommunisten verfiel

Krefeld · Der Kollaps der Wirtschaft war ein Sargnagel für die erste deutsche Demokratie. Krefeld zeigt, wie eine Stadt katholisch und wohlhabend war und dennoch den linken und rechten Extremisten in der Stadt verfiel.

Oberbürgermeister Johannes Johansen vermittelte in den 20er Jahren in einem Generalstreik und trug mit dazu bei, dass Krefeld einigermaßen stabil in die kurze Phase der „Golden Twenties“ ging.

Foto: Stadtarchiv Krefeld

Das Jahr 1923 war ein Krisenjahr, ein Jahr der Inflation. Viele haben die Bilder von Schubkarren voller wertloser Papiermarkscheine im Kopf. Die Währungsreform vom November 1923 stabilisierte die Lage: Eine neue Rentenmark war nun eine Billion Papiermark. Das hatte für die Stadt Krefeld durchaus positive Folgen: Aus den Schulden von 678 Billionen Mark im Jahre 1923 wurde durch die Währungsreform eine tragbare Schuld von 678.000 Rentenmark. Positiv für den Staat (auch für Großindustrielle, die schuldenfinanziert kleinere Unternehmen aufkauften), negativ jedoch für die Bürger, die Sparguthaben besaßen. Vor allem für die Menschen, die durch Kriegsanleihen den Weltkrieg finanziert hatten. Der hatte die Deut-schen 98 Milliarden Mark gekostet. Die Anleihen waren 1923 wertlos geworden.

Die Enttäuschung über diese Verluste findet ihren Niederschlag in den Wahlergebnissen vom Mai 1924. Die Weimarer Koalition (SPD, Z, Linksliberale) hatte im Januar 1919 zusammen 76,2 Prozent der Stimmen bekommen. Im Mai 24 sank dieser Anteil auf 39,6 Prozent. Interessant die Wahlen in Krefeld im Mai 1924 – Kommunalwahl: Zentrum 24 Sitze, Liberale (National- und Linksliberale, zusammen in der Bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft) 13, SPD sechs, KPD sieben und USPD ein Sitz. Reichstagswahl: Zentrum 42,9 Prozent, SPD 10,9 Prozent, KPD 13 Prozent, USPD 2,2 Prozent, DVP 13,1 Prozent, DDP 5,4 Prozent, DNVP 6,5 Prozent, Wirtschaftspartei 2,7 Prozent, NSDAP (Völkische) 2,1 Prozent. Krefeld blieb eine Bastion des katholischen Zentrums. Aber auch hier gab es links wie rechts Wählerbewegungen zu Gruppen, die republikfeindlich waren.

Auch die sozialen Konflikte gingen nach 1923 weiter. Die Arbeiterbewegung zeigte ihre Stärke in einem siebenwöchigen Streik im Januar 1924. Die Arbeitgeber der Textil- und Metallindustrie hatten im Zuge der Währungsreform die Tarifvereinbarungen gekündigt und niedrigere Löhne festgelegt. Auch wurde die 48-Stunden-Woche infrage gestellt. Die Gewerkschaften riefen den Generalstreik aus, erst nach sieben Wochen konnte man sich durch Vermittlung von Oberbürgermeister Johannes Johansen einigen: Die Arbeitszeit blieb grundsätzlich bei 48 Stunden, Mehrarbeit von bis zu sechs Stunden war legitim.

Insgesamt ging Krefeld einigermaßen stabil in die kurze Phase der „Golden Twenties“. Im Bereich der Industrie bestimmten Firmenzusammenschlüsse und umfangreiche Rationalisierungsmaßnahmen, zum Teil mit Verlust von Arbeitsplätzen, das Bild: Die Vereinigte Seidenweberei Aktiengesellschaft (Verseidag) entstand als Kooperation der Webereien von unter anderem Hermann Lange und Josef Esters. Die Textil-Ausrüstungs-Gesellschaft (TAG) fasste Färbereien und Appreturbetriebe zusammen. Die Seidenindustrie insgesamt blieb führend.

Ende der 20-er Jahre waren etwa 90.000 Menschen in Deutschland in der Seidenproduktion und Seidenverarbeitung tätig, davon 30.000 in Krefeld. Man setzte hier vermehrt auf Kunstseide, hatte auch den Modetrend der Zeit – leichte, moderne Gewebe für Kleidung, Krawatten, Schirme – erkannt. Die Verseidag war ein Erfolgsmodell. So konnte man den Bauhaus-Direktor Mies van der Rohe gewinnen, der im Krefelder Nordwesten ein großes Produktions- und Verwal-tungsgelände plante (heute Mies van der Rohe Campus an der Girmesgath). Die Fabrikgebäude stellten einen radikalen Bruch mit der vorherigen Industriearchitektur dar.

Bevor er das Industriegelände plante, hatte der Architekt für die Freunde Lange und Esters jeweils ein avantgardistisches Wohnhaus errichtet (heute Museen Lange Esters auf der Wilhelmshofallee). Kein Wunder, dass Heinrich Brauns, ehemals Kaplan an St. Josef in Krefeld, dann Zentrumspolitiker und von 1920 bis 1928 Reichsarbeitsminister, Krefeld als „Perle des Niederrheins“ rühmte. Er war mit Reichspräsident Hindenburg im März 1926 gekommen, um den Abzug der belgischen Besatzung zu feiern.

Wie konnte diese Perle des Niederrheins sechs Jahre später ohne großen Widerstand der Diktatur verfallen? Es fehlt eine hinreichende Forschung über die republikanischen Kräfte der Zeit, vor allem gibt es keine Monografie über die SPD. Bekannt ist auch wenig über den republikanischen Kampfverband, das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, in Krefeld. Bekannt ist allerdings, dass das Bild der Musterstadt Krefeld schon in den 20-er Jahren dunkle Flecken aufwies.

Die Kulturszene hatte sich seit 1919 positiv entwickelt, vor allem durch die Gründung einer Volkshochschule, aber auch durch eine blühende Literatur- und Theaterlandschaft. Die Theaterszene geriet in die Schlagzeilen, als 1927 eine „Black People Truppe“ in Krefeld Halt machte und auftrat. Die Rechte (Stahlhelm und NSDAP) mobilisierte, Störungen der Vorführungen und Pöbeleien gegen Besucher zeigten die kulturelle Engstirnigkeit und den Rassismus dieser Kreise.

Dass Rassisten sich hervorwagten und Tumulte provozierten, stört das Bild des beschaulichen Krefeld beträchtlich. Am 10. Jahrestag der Unterzeichnung des Versailler Vertrages gab es 1929 eine „Trauer“-Kundgebung auf dem Dionysiusplatz, organisiert unter anderem von Karl Rembert, dem bekannten Heimatforscher. Auf dieser Kundgebung polemisierten Vertreter von NSDAP und Stahlhelm, aber auch Zentrums-Sprecher gegen die „Kriegsschuldlüge“ und die repub-likanischen Parteien, die den Frieden akzeptiert hatten. Dass ausgerechnet Gregor Schwamborn, Dechant von Krefeld, hier demagogische und nationalistische Töne anschlug, zeigt, dass auch Zentrumsleute sich radikalen Parteien und Positionen anbiederten.

Auch der Antisemitismus war zumindest latent in Krefeld vorhanden. Dies beweisen die Worte des neuen Oberrabbiners Dr. Bluhms bei seiner Einführung im Februar 1928. Er sagte in der Synagoge Marktstraße/Peterstraße vor Vertretern der Stadt und anderer Religionsgemeinschaften: „Gegen einen Vorwurf müssen wir uns entschieden wehren; dass man uns wegen der Zugehörigkeit zum Judentum die Zugehörigkeit zum deutschen Volk abspricht. Wir fühlen mit unserem deutschen Vaterlande. Seine Not ist unsere Not.“

Ablehnung der Demokratie, strammer Nationalismus, Antisemitismus, Agitation gegen die internationalen Verträge, die eine europäische Friedensepoche gebracht hätten, dieser toxische Mix war auch in Krefeld vorhanden. Und er trug Früchte, als die Weltwirtschaftskrise die Stadt Krefeld-Uerdingen traf: Zwischen 30.000 und 40.000 Menschen, also fast ein Viertel, waren arbeitslos und zum größten Teil von der Wohlfahrt abhängig. Die Radikalen profitierten: Bei der letzten „freien“ Reichstagswahl in Krefeld im November 1932 blieb das Zentrum zwar relativ stabil, aber NSDAP und KPD hatten eine Massenbasis gewonnen.