Krefeld Gemalte Erinnerungen an die Heimat Syrien

Krefeld · Damaskus - Berlin - Krefeld: Welche Hoffnungen und Ängste treiben Künstler um? Das zeigt ab heute eine Ausstellung an der Hochstraße 22. Zwei syrische Künstler, die erst kurz in Deutschland leben, zeigen ihre Bilder gemeinsam mit dem Krefelder Arvid Hagedorn. Es geht um Sehnsucht und um sehr viel Zukunft.

 Firas Sheik Mohamad hängt seine Bilder auf. Es ist seine allererste Ausstellung. Er malt, seit er Deutsch lernt - seit etwa einem Jahr.

Firas Sheik Mohamad hängt seine Bilder auf. Es ist seine allererste Ausstellung. Er malt, seit er Deutsch lernt - seit etwa einem Jahr.

Foto: Lothar Strücken

Langeweile ist ein deutsches Wort, mit dem Firas Sheik Mohamad nichts anfangen kann. Er hält es mehr mit dem Sprichwort "Wer rastet, der rostet". Das ist bildhaft, griffig. Da muss man nicht viel erklären. An Sprichwörtern und Redewendungen hat er seine Freude, denn in seiner alten Heimat Syrien sind Geschichten und bildhafte Sprache Kulturgut. "Vieles im Arabischen ist im Deutschen ähnlich", erzählt Firas Mohamad. "Hier sagt man: in einen sauren Apfel beißen; dort heißt es: ich muss auf eine Zwiebel beißen." In einem kleinen Heft sammelt er deutsche Sprichwörter, die er gern benutzt. 75 sind es bis jetzt. Denn Deutsch lernt er erst seit wenigen Monaten: "Als ich im August kam, konnte ich nur zwei Wörter: gerne und danke." Inzwischen spricht er flüssig. "Ich sehne mich danach, die deutsche Sprache zu können", sagt er. Hier ist jetzt seine Heimat - und ein Neuanfang. Dazu gehört auch die Entdeckung der Kunst. "In Syrien hatte ich keine Zeit und kein Geld, um zu malen." In Deutschland hat er sich zeitgleich mit der Sprache auch Maltechniken angeeignet. Denn als Bauingenieur kann er noch nicht arbeiten. Der Hochschulabschluss in Syrien muss erst durch ein Aufbaustudium in Deutschland ergänzt werden. "Sobald ich fließend Deutsch kann, studiere ich weiter", erklärt er. Aber mit der Malerei will er auch weitermachen. Sein Vorbild ist sein langjähriger Freund Ali Johar. Der im Golan geborene Künstler hatte in Damaskus sein Atelier. Mit Ausstellungen in Syrien, Kuwait, dem Libanon, der Türkei, Holland und Dänemark hat er sich international einen Namen gemacht. Inzwischen lebt er in Berlin. "Aber ich wollte ihn gerne bei meiner ersten Ausstellung dabei haben", erzählt Firas Mohamad.

Die innige Verbindung der beiden Freunde ist auch an den Bildern ablesbar: viele Motive ähneln sich. Es sind die hochgewachsenen Gestalten ohne Gesichter, die Angst, Mühsal, Stolz und Anmut allein in ihrer Physiognomie ausdrücken können. Und es sind wunderschöne Ansichten der Altstadt von Damaskus. Bilder aus einer Sehnsucht gemalt, Erinnerungen in Farbe und in Grautönen gespachtelt. Diese Gassen, Höfe und Stadtpanoramen gibt so nicht. Sie wirken realistisch, sind aber nicht real. Es sind Traumwelten, improvisierte Wirklichkeiten. Verarbeitungen von Gefühlen, die mit der alten Heimat verbunden sind.

Firas Mohamad hört beim Malen Musik, jedem Bild kann er ein bestimmtes Lied zuordnen. Meist sind es Latino-Songs oder französische Chansons. Musik aus Syrien, sagt er, hört er nicht. Die wühle ihn zu sehr auf. "Dies ist hier jetzt meine Heimat. Ich fühle mich wohl. Ich würde gern noch mal nach Syrien - aber als Tourist." Seine Stimmungen spiegeln sich in sanften, erdigen Farben oder glühenden Rot-Orange-Tönen. Die Energie des Neubeginns strahlt auf den leinwänden. Bei Ali Johar liegt eine Melancholie im herbstlichen Braun-Orange, hat das Schwarz-Weiß einen nostalgischen Schimmer. Ganz erlesen sind seine Zeichnungen: Gesichter mit leerem, irritiertem oder in die Ferne gerichteten Blick. Immer taucht eine Sonne auf - als Ziel einer Sehnsucht - und ein Vogel, eine Erinnerung aus der Kindheit. Sie ist Freiheitssymbol, steht aber auch für die Verwurzelung mit einem Leben, das es nicht mehr gibt. Leitern weisen den Weg in eine Freiheit, die zeichnerisch kaum angedeutet ist. Johar hat diese poetischen Szenen mit Kugelschreiber auf Papier gebracht, als er in Deutschland angekommen war - auf seinem Bett in der Flüchtlingsunterkunft, nicht wissend, was der neue Lebensabschnitt bringen würde.

Der Krefelder Arvid Hagedorn stellt in seinen "Traumwelten improvisiert" Fragen der westlichen Welt: Klimaveränderungen, der Umgang mit Rohstoffen und die Einsamkeit in einer technisierten und auf Konsum ausgerichteten Gesellschaft thematisiert er in surrealer Malerei, die auf scheinbar beliebigen Untergrund gebracht ist. Aber Holz, Pappe oder die Rückseite eines Langspielplatten-Covers haben System. Ebenso die Nutzung eines leer stehenden Ladenlokals für die Ausstellung. "Wir wollen individuell begeistern, aber auch das Stadtbild bereichern", so Hagedorn. - Hier begegnen sich Orient und Okzident, vor allem aber drei Künstlerkosmen.

Ausstellung "Traumwelten improvisiert", Hochstraße 22. Heute und morgen ab 15 geöffnet, eine Woche lang zu sehen.

(RP)
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