Serie: Ende des II. Weltkriegs in Krefeld Gehilfe des Bösen im Krefelder Rathaus

Krefeld · Alois Heuyng war Oberbürgermeister in Krefeld von 1933 bis 1945. Nach dem Krieg erkämpfte er gerichtlich eine Pension für diese Zeit. Die Urteilsbegründung dazu liest sich wie ein Krimi.

 Alois Heuyng, zweiter von rechts, in Uniform mit Oberbürgermeisterkette beim Hitlergruß. Er war von 1933 bis 1945 Oberbürgermeister von Krefeld

Alois Heuyng, zweiter von rechts, in Uniform mit Oberbürgermeisterkette beim Hitlergruß. Er war von 1933 bis 1945 Oberbürgermeister von Krefeld

Foto: Stadtarchiv

Alois Heuyng ist nach dem Krieg bei der Entnazifizierung unter die Kategorie IV eingestuft worden: als Mitläufer. Er war von 1933 bis 1945 Oberbürgermeister von Krefeld und hat später nie Schuldgefühle erkennen lassen, weil er an herausgehobener Stelle einem verbrecherischen Regime gedient hat.

Im Gegenteil: 1957 beklagte er sich über seine Inhaftierung: Er sei, so schrieb Heuyng, "vom 28.7.1945 bis zum 24.6.1947 zunächst in mehreren Gefängnissen und dann in englischen Konzentrationslagern interniert gewesen. Eine Begründung für diese den Gesetzen der Menschlichkeit widersprechende Freiheitsberaubung wurde nie gebeben." Er berief sich tatsächlich auf die Gesetze der Menschlichkeit.

Heuyng hatte offenbar viel Mitleid mit sich und wenig mit den Opfern des Hitler-Regimes. Die Einstufung als Nazi der Kategorie IV überrascht heute. Es gab fünf Kategorien, Nr. 5 bedeutete Entlastung. Heuyng wurde also als relativ schwach belastet eingestuft. In seiner Geschichte bündeln sich historische und ethische Fragen: Kann jemand nur Mitläufer gewesen sein, wenn er in so hoher Funktion Hitlers Reich mitverwaltet hat?

Er ging auch deshalb in die Geschichte Krefelds ein, weil er nach dem Krieg erfolgreich seine Pension einklagte: Die Stadt hatte sie ihm mit der Begründung gestrichen, er sei ja nur in dieses Amt gelangt, weil er Nazi gewesen war. Heuyng siegte mit seiner Klage dagegen vor Gericht: Ab 1956 musste die Stadt ihm 1400 Mark Pension bezahlen. Ein Batzen Geld: Das Durchschnittseinkommen lag damals bei 450 Mark.

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Foto: Stadtarchiv

Die Urteilsbegründung des Oberverwaltungsgerichts Düsseldorf liest sich wie ein politisches Profil dieses Mannes, der sich als glühender Judenhasser hervorgetan hat und doch als gemäßigter Nazi galt. Das Gericht geht ausführlich auf die Umstände seiner Nominierung ein. Demnach hatte der Krefelder NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Becker (1891-1957) Ambitionen auf das Amt des Oberbürgermeisters angemeldet.

Becker galt als "politischer Fanatiker", so die Richter. Insbesondere die Wirtschaft hatte Vorbehalte gegen ihn. Die Industrie, so heißt es in der Urteilsbegründung, hatte "ein dringendes Interesse daran, daß die Leitung der Stadt einer Persönlichkeit übertragen wurde, die in der Lage war, die wirtschaftlichen Belange zu beurteilen und zu fördern". Die Wirtschaft wollte einen Verwaltungsfachmann als Partner im Rathaus, keinen Ideologen.

 In einer Zangenbewegung drängten Amerikaner, Briten und Kanadier im Februar und März 1945 die Deutschen über den Rhein zurück. Der Vormarsch ist vorbereitet und begleitet von schweren Luftangriffen: 12. Juni 1943 Düsseldorf; 21./22. Juni 1943 Krefeld; 31. August 1943 Mönchengladbach; 7. Oktober 1944 Kleve; 7. Februar 1945 Goch, 16. Februar 1945 Wesel, 23. März 1945 Dinslaken.

In einer Zangenbewegung drängten Amerikaner, Briten und Kanadier im Februar und März 1945 die Deutschen über den Rhein zurück. Der Vormarsch ist vorbereitet und begleitet von schweren Luftangriffen: 12. Juni 1943 Düsseldorf; 21./22. Juni 1943 Krefeld; 31. August 1943 Mönchengladbach; 7. Oktober 1944 Kleve; 7. Februar 1945 Goch, 16. Februar 1945 Wesel, 23. März 1945 Dinslaken.

Foto: Furtwängler, Hella

Der Fanatiker Becker wurde in bester lokalpolitischer Manier ausgebootet: Bei einem Reitturnier in Krefeld im Juli 1933 haben Vertretern der Wirtschaft dem Staatssekretär Grauert den Wunsch übermittelt, Becker als OB zu verhindern. Grauert - vom Gericht als "maßgebender Mann im Innenministerium" beschrieben - zog mit und präsentierte schließlich Heuyng als Alternative.

 Blick über Krefelds zerbombte Innenstadt.

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Foto: Stadtarchiv

Der war in der Tat ein Mann der Wirtschaft: Der gebürtige Neusser war Jurist und Volkswirt und hatte als Geschäftsführer bei den Industrie- und Handwerksverbänden in Krefeld gearbeitet. In der NSDAP galt er als wirtschaftsfreundlich, gemäßigt, umgänglich - Antisemitismus allerdings inbegriffen. In der Krefelder Stadtgeschichte heißt es dazu: "Oberbürgermeister Heuyng erging sich in Reden und Artikeln in antijüdischen Hasstiraden" - vor allem nach dem Großangriff 1943, bei dem die Stadt zerstört wurde.

Für das Oberverwaltungsgericht waren später die Umstände der Nominierung Heuyngs entscheidend: Er sei eben nicht überwiegend aus parteipolitischen Gründen ins Amt gekommen: "Demnach ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, daß der maßgebende Grund (Anm. d. Red.: für die Berufung Heuyngs) der war, dadurch die Stadtverwaltung arbeitsfähig zu erhalten und vor einem radikalen politischen Fanatiker zu bewahren." Damit war die Wahl Heuyngs für die Richter beamtenrechtlich nicht zu beanstanden.

Zwar räumt das Gericht ein, dass Heuyng ohne seine NSDAP-Mitgliedschaft das Amt nicht bekommen hätte. Das reichte aber nach der bis dato erfolgten Rechtsprechung nicht zur Kappung der Pension. Dazu hatte vielmehr feststehen müssen, "daß eine enge Verbindung des Klägers zum Nationalsozialismus bestanden hat und daß er wegen dieser engen Verbindung berufen worden ist". Nur wenn die sachliche und persönliche Eignung stark vernachlässigt worden wäre, wäre der Schnitt bei der Pension aus Sicht der Richter rechtens gewesen.

Soweit deutsche Juristen 1956. Heuyng gewann seinen Prozess, erhielt seine Pension bis zu seinem Tod 1973 und hielt es nicht für nötig, sich in Krefeld nicht mehr blicken zu lassen. Er verlebte vielmehr in der Stadt seinen Lebensabend - was auch damit zusammenhängt, dass er bei aller Hitler-Treue nicht mit ihm untergehen wollte: Als es am 1. März 1945 mit dem 1000-jährigen Nazi-Reich in Krefeld zu Ende ging, weil die Amerikaner anrückten, setzte Heuyng sich ab - erst nach Wuppertal, dann nach Holstein. Zuvor hatte er zur weiteren Verwaltung der Stadt eine "Restbehörde" aus Untergebenen eingesetzt.

Ob sich seine Sicht auf Nationalsozialismus oder Judenhass irgendwann geändert hat, ist nicht bekannt. Nichts lässt erkennen, dass Alois Heuyng, der Mitläufer der Kategorie IV, sich je als Gehilfe des Bösen hinterfragt hat. Die Nachwelt hat ihr Urteil gesprochen: Im Rathaus fehlt sein Bild in der Galerie der Krefelder Oberbürgermeister.

(RP)
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