Krefelder Persönlichkeiten Tanz-Performance zur Gespensterstunde

Krefeld · Der Krefelder Choreograf Andreas Simon nimmt den erneuten Lockdown zum Anlass für eine Tanzperformance im Dunkeln. Eine Corona-konforme nächtliche Spurensuche nach Krefelds Stadt-Geistern.

 Ein freundliches kleines Gespenst hockt auf der Schulter von Marianne Rhodius. Die Performance erweckt Krefelder Stadt-Geister zum Leben.

Ein freundliches kleines Gespenst hockt auf der Schulter von Marianne Rhodius. Die Performance erweckt Krefelder Stadt-Geister zum Leben.

Foto: LFJS/Ludger F. J. Schneider

Wie fühlt sich eine Performance ohne Publikum an? Der Krefelder Choreograf, Tänzer und Tanzpädagoge Andreas Simon weiß es. Er ist empört über die bundesweiten Schließungen der Kultureinrichtungen und dass er trotz individualisierter Hygienekonzepte und Neuausrichtung seiner künstlerischen Inhalte weder unterrichten, noch öffentlich proben darf. Simon ist Künstler und nimmt das Rückzugsgebot zum Anlass für eine neue Produktion: „Geister-Tanz“ ist eine Kinderstück-Serie. In vier Nächten erforscht Simon, was es heißt, Geist zu sein.

Dabei wirft der Choreograf den Blick auf bedeutende Krefelder Persönlichkeiten. „Ich beschäftige mich mit Persönlichkeiten wie Thierry Hermès und Marianne Rhodius, weil ich glaube, dass ihr Geist in der Stadt immer noch verhaftet ist“, sagt Simon. Außerdem sei das ein gutes Mittel, um sich einer Stadt zu nähern, findet der Künstler, der Wahl-Krefelder ist.

Immer freitags um Mitternacht begibt sich der Tänzer in seinem alten Gewölbekeller an der Blumenstraße auf Spurensuche nach Krefelds Geistern. Doch bevor der Geister-Tanz beginnt, bittet er Krefelder Kinder und Jugendliche um Mithilfe: Wer Spaß daran hat, sich zu gruseln, kann sich bei Simon eine Nachtsicht-Kamera ausleihen. Die Aufnahmen baut der Künstler dann in seine Mitternachtsperformance ein. Die Gruselfilme der Kinder „tanzen“ dann mit Simon – oder mit den Geistern. Wenn es beim Profifußball Geisterspiele gibt, warum dann nicht auch Geister-Tänze veranstalten, meint Simon.

 Mit der Nachtsichtkamera nehmen Kinder Bilder fürs Projekt auf.

Mit der Nachtsichtkamera nehmen Kinder Bilder fürs Projekt auf.

Foto: LFJS/Ludger F. J. Schneider

Der Lockdown zwinge die Kulturbranche dazu, sich „zu verkriechen, erneut zurückzutreten und sich unsichtbar zu machen“, beschreibt Simon seine angespannte Situation. Als Choreograf ist ihm das Mittel der Be- und Eingrenzung nicht fremd – ganz im Gegenteil: „Wenn ich neue Wege für Bewegungsmuster suche, lege ich mir eine Limitierung und schaue, wie sich meine gewohnten Schritte verändern.“ Der Lockdown ist eine drastische Limitierung, die Simon in seine Geisterperformances aufgreift und erlebbar macht.

Typisch für seine Arbeit ist die Neugier auf das Unbekannte: „Ich beschäftige mich im Vorfeld mit diesen Krefelder Persönlichkeiten und Biografien, um Mitternacht lasse ich ihren Geschichten dann freien Lauf und schaue, was passiert.“

In der Nacht von Freitag, 6. auf Samstag, 7. November, findet der erste Geistertanz statt. Hier hat sich Simon die Krefelder Bildhauerin und Malerin Helene von Beckerath (1872 - 1946) ausgesucht. Sie war Tochter eines Krefelder Seidenwarenfabrikanten und studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie. In Paris wechselte sie schließlich zur Bildhauerei. Anders als ihre Kolleginnen schuf Beckerath Damenbildnisse, die wegen ihres „männlich kräftigen“ Ausdrucks für Aufsehen sorgten. Eine Arbeit von Beckerath befindet sich in der sogenannten Ehrenhalle des Museums Burg Linn und wird an diesem Novemberabend im Fokus stehen.

Weiter geht es in der Nacht vom 13. auf den 14. November. Hier widmet sich Simon dem Geist des Modeunternehmers Thierry Hermès (1801 - 1878) unter dem Titel „Geisterspiele Thierry. Ein Tanz um den Geist von Thierry Hermès, würgenden Seidentüchern und Trensen.“ Hermès’ Geburtsstadt war damals von Frankreich annektiertes Territorium, hier absolvierte der junge Thierry eine Sattlerlehre und lernte seine zukünftige Frau kennen, mit der er 1828 nach Paris zog.

150 Jahre früher lebte Abraham Isacks op den Graeff in Krefeld (1649 - 1731). Ihm ist der dritte Geister-Abend (20. auf 21. November) „Ein Tanz um den Geist von Abraham Isacks op den Graeff, einer der Original 13“ gewidmet. Der Leinenweber und frühe Auswanderer zählt zu den  „Original 13“, der ersten geschlossenen Gruppe deutscher Auswanderer nach Amerika. 1688 initiierte Isacks op den Graeff den ersten Protest gegen die Sklaverei in Amerika und ging in die Geschichtsbücher ein.

Die vierte und letzte Gespenster-Nacht am 27. November blickt auf den Geist der Bürgerin Marianne Rhodius (1814 - 1902), Tochter des Seidenfabrikanten Philipp de Greiff und Marianne de Greiff, geborene ter Meer. Ihnen gehörte fast ganz Linn, einschließlich Burg und Jagdschloss. Ihr Leben und Wirken hatte großen Einfluss auf Krefeld. Rhodius blieb kinderlos und hinterließ nahezu ihr gesamtes Privatvermögen der Stadt Krefeld für wohltätige und gemeinnützige Zwecke.

Dem Erforschen neuer Darstellungsformen sind scheinbar keine Grenzen gesetzt, immerhin bewirkt der Lockdown in dieser Hinsicht etwas Positives für den kreativen Austausch. Dass Simon die Kinder in seine Performance miteinbezieht, eröffnet denen die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln: Wie erfassen, begreifen und stellen wir uns in der Dunkelheit dar? Wie verhält sich der eigene Körper im Dunkeln und welche Rolle spielt dabei der Raum? Auf diese und viele andere Fragen können sich die Mitspieler freuen, wenn ihre Filme Teil der Geisterperformance werden.

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