Fahrrad-Serie in Krefeld Ein Airbag für Radfahrer

Krefeld · Innovativ, schlicht und teuer – aber vor allem ist er sicher: Der Fahrrad-Airbag ist der jüngste Trend in der Fahrradwelt. Doch kann er sich auch in einer Stadt wie Krefeld behaupten?

 Der Fahrradairbag wird um den Nacken geschnallt.

Der Fahrradairbag wird um den Nacken geschnallt.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Carola Puvogel steigt nicht mehr ohne Airbag auf das Fahrrad. Als sie eine Geschichte über jemanden geschrieben hat, der nach einem Fahrradunfall im Wachkoma lag, hat das bei ihr einen Schalter umgelegt. Täglich fährt sie mit dem Fahrrad durch die Krefelder Innenstadt zur Arbeit, seit 2019 nur noch mit Airbag. Mittlerweile fühlt sie sich unwohl, wenn sie vergisst den Fahrrad-Airbag anzulegen. „Es ist so, als würde man Auto fahren, ohne sich anzuschnallen“, beschreibt die RP-Autorin das Gefühl.

Einsteigen, anschnallen und losfahren – was für Autofahrer zum Automatismus einer jeden Spritztour gehört, gilt noch nicht für jeden Verkehrsteilnehmer. Die meisten Fahrradfahrer sind weitestgehend ungeschützt – ohne Sicherheitsgurt oder Antiblockiersystem. Lediglich ein Helm auf dem Kopf soll vor all den Verletzungsgefahren schützen, die auf zwei Rädern lauern. Und der wird kaum getragen, weil er unbequem und unattraktiv ist. Puvogel trägt aus beruflichen Gründen keinen Fahrradhelm. Mit Helm-Frisur auf Terminen zu erscheinen sei unprofessionell, sagt sie.

Die Lösung des Schönheitsproblems bei der Fahrradsicherheit könnte bereits 2006 geboren worden sein. Damals entwickelten zwei Schwedinnen in der Fahrradstadt Malmö den Hövding. Was für ein Ding? Eine Art Schal oder Kragen mit integriertem Airbag, der sich im Falle eines Sturzes früh genug zu einem schützenden Helm aufplustert.

Und so funktioniert’s: Den Kragen mit Kreuz an den Nacken mittig anlegen, um den Hals wickeln und den Reißverschluss vorne schließen. Dann kann der Druckknopf aktiviert werden. Der Fahrer hört drei bestätigende Töne – das Startsignal zum sicheren Losradeln. Ein integrierter Chip misst die Bewegung auf dem Rad. Bei Erschütterung wird der Airbag sofort ausgelöst – ob auf dem Rad oder zu Fuß. Deshalb ist es wichtig den Druckknopf sofort zu lösen, sobald man vom Sattel steigt. Sonst kann es zu Fehlauslösungen kommen.

„In Kopenhagen fährt fast niemand mehr mit Helm, überall sieht man die Airbags“, erinnert sich Puvogel bei an ihren letzten Besuch in der Fahrradmetropole. Doch taugt der Fahrrad-Airbag auch etwas auf Krefelds Straßen? Renate Hommen, Mitarbeiterin beim Fahrradhaus Mücke, ist skeptisch. „In den zehn Jahren, die ich hier bin, hat noch niemand danach gefragt“, sagt sie entschieden. Das läge am hohen Preis. Denn der Hövding kostet 300 Euro. „Es ist eine futuristische Idee, aber einfach zu teuer. Bläht sich der Airbag einmal auf, ist er später unbrauchbar“, sagt Hommen.

Tim Weyers vom Radsportgeschäft Weyers am Bockumer Platz spricht sich hingegen entschieden für den mit Luft gefüllten Not-Helm aus. „Es geht nicht um das Geld, sondern um den bestmöglichen Schutz“, findet er. Denn anders als bei einem Helm, schützt dieser Airbag nicht nur den Schädel, sondern auch die Hals- und Nackenwirbel und das Gesicht. „Das Produkt wird von den Krefelder Kunden angenommen, viele kommen zu uns und fragen gezielt nach dem Hövding. Wer modern denkt, gibt dann auch das nötige Kleingeld dafür aus“, sagt Weyers. Der Markt dafür sei da, besonders in einer Stadt wie Krefeld, findet Weyers. Neben seinem Radgeschäft ist das skandinavische Schmuckstück auch bei Rückenwind Radsport auf der Dreikönigenstraße zu erwerben.

Fahrradfahrer haben es in Krefeld nicht leicht. Es gibt nur wenige Fahrradwege, Baustellen auf den Fahrbahnen versperren die Radwege und die Innenstadt ist mit Autos verstopft. Das Risiko sich zu verletzen ist hoch, das zeigt auch die polizeiliche Unfallstatistik 2018. Die Zahl der Unfälle stieg demnach um 2,2 Prozent auf 8677. Zudem bewerteten 170.000 Krefelder die Fahrradfreundlichkeit ihrer Heimatstadt mit der Note 4,2. Das ergab eine Befragung des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs. Besonders schlecht beurteilten die Interviewten den Zustand der Fahrbahnoberflächen.

„Viele Kunden sagen, sie bräuchten den Hövding nicht, weil sie so oft dann doch nicht mit dem Fahrrad unterwegs seien, nur mal eben schnell zum Einkaufen. Aber genau da ist die Gefahr“, sagt Fahrradhändler Weyers. Sicherheit muss an erster Stelle stehen, nicht nur auf vier Rädern, auch auf zweien. „Niemand kauft ein Auto ohne Airbag, warum dann nicht auch so beim Fahrrad?“, meint Weyers.

Aber das Modell hat auch Einschränkungen. Denn der Hövding ist nur für Aufrechtfahrer geeignet – also Radfahrer, die mit Elektro- oder Holland-Rad auf normalen Landstraßen und innerorts unterwegs sind. Bei Mountainbikes oder Rennrädern ist die Fahrtposition zu tief und die starke Erschütterung vom Grund kann den Airbag fälschlich auslösen.

Foto: RP/Podtschaske , Alicia

Und auch an den Tragekomfort müsse man sich erst gewöhnen, findet RP-Autorin Carola Puvogel. „Anfangs fühlt er sich etwas unangenehm am Hals an und im Winter ist es schwierig, den Kragen über den Schal anzulegen“, sagt sie. Nach einiger Zeit arrangiere man sich aber und dann merke man den schwarzen Kragen kaum noch. Es sei denn, man wird darauf angesprochen. Das komme häufiger, als man denke, weiß Puvogel aus Erfahrung. „Die Leute sind sehr interessiert und wollen wissen, was man um den Hals trägt“, sagt Puvogel. Dann erklärt sie ihren Schutzschal, der sich zu einem mit Luft gefüllten Helm aufplustert und legt ihn den Leuten zur Probe um, damit sie ein Gefühl für den Fahrrad-Airbag bekommen.

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