Christentum Evangelische Kirche geht neue Wege: Ein Stadtseelsorger für Krefeld

Krefeld · Menschen beim Stadtbummel erreichen und ansprechen: Die evangelische Kirche hat die Stelle eines Cityseelsorgers geschaffen. Falk Schöller hat eine ungewöhnliche Biographie.

  „Was ich total gerne mache, ist Menschen anzusprechen, bei denen das Thema Kirche nicht obenauf liegt:“ Falk Schöller wird im Gottesdienst am Sonntag,  26. April, 17 Uhr, in der Alten Kirche in sein Amt als Stadtpfarrer eingeführt.

 „Was ich total gerne mache, ist Menschen anzusprechen, bei denen das Thema Kirche nicht obenauf liegt:“ Falk Schöller wird im Gottesdienst am Sonntag,  26. April, 17 Uhr, in der Alten Kirche in sein Amt als Stadtpfarrer eingeführt.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Es ist einer dieser Begriffe, der schlagartig erhellend ist: diskretes Christentum. Gemeint ist eine grundsätzliche Offenheit für christlich-religiöse Fragen und Antworten, aber eine Offenheit, die sich selbst nicht herausposaunt, sondern still bleibt. Falk Schöller ist überzeugt, dass man für dieses diskrete Christentum neue Formen der Ansprache finden muss; er spricht von „nachlaufender, aufsuchender, begegnender Arbeit“. Schöller ist Krefelds neuer Innenstadtpfarrer. Der evangelische Gemeindeverband hat eine Innenstadt-Pfarrstelle geschaffen, bei der es eben darum geht: Die Menschen dort anzusprechen, wo sie ihrem Leben und ihrer Arbeit nachgehen. Für Schöller ist das zum einen notwendig, zum anderen Neigung und Leidenschaft: „Was ich total gerne mache, ist Menschen anzusprechen, bei denen das Thema Kirche nicht obenauf liegt.“

Menschen da erreichen, wo sie sind: Für Schöller steckt in diesen Worten die Herausforderung für die Kirche heute. „Menschen begegnen Kirche als politischer Kirche in der Zeitung, wenn es um große Debatten geht, oder sie begegnen ihr zu Weihnachten, und da  werden sie oft leicht verächtlich gemacht.“ Schöller spielt auf Begriffe wie „U-Boot-Christen“ an. Gemeint sind Menschen, die zwei-, dreimal im Jahr in einer Kirche auftauchen und den Rest des Jahres wie weggetaucht bleiben und mit ihrem diskret gelebten Christentum abseits der Kirche unterwegs sind – im wahrsten Sinne des Wortes, in der Stadt zum Beispiel. Daraus erwächst für Schöller die Frage. „Wie erreicht man Menschen im Vorübergehen?“

Schöller hat eine ungewöhnliche Vita. Jahrgang ’69, studierte er Theologie in Tübingen, Heidelberg und München. Nach dem Studium wechselte er in die Wirtschaft, genauer: in den Personalbereich bei Bosch. Diese Phase hat ihn geprägt: Mit klischeehafter Globalisierungs- und Kapitalismuskritik kann er nichts anfangen; mit ihm kann man auch über die Vorteile weltweiter Handelsverflechtungen (als Friedensstabilisator) oder Globalisierung als Wohlstandsmotor für die Welt reden.

Typisch für ihn: Generell lehnt er es ab, „unterkomplex“ über Dinge zu reden. Wenn Gespräche gelingen sollen, müssen sie sich gleichsam in die Lebensrealität der Menschen schrauben. Schöller berichtet von einem eindringlichen Beispiel aus der Polizeiseelsorge: Eine Polizisten, selber Mutter, habe von ihrer Not berichtet, bei Fällen von Kindesmissbrauch Anzeige zu erstatten, wohl wissend, was das mit einer Familie, zumal mit dem Opfer, macht. Die Polizistin wollte rechtstreu sein, natürlich, aber sie sah eben auch die Folgen. Erst wenn man solche Konflikte wirklich wahrnimmt, erst wenn ein Mensch sie offenlegt, ist man für Schöller im Leben dieses Menschen angekommen, und nur dann lassen sich auch tragfähige Antworten erarbeiten.

Für Schöller blieb die Wirtschaft eine Station, Theologie und Gemeindearbeit haben ihn nicht losgelassen. Er machte parallel zur Arbeit bei Bosch ein Vikariat und wechselte danach als Studienleiter zur Evangelischen Akademie Bad Boll für die Bereiche Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsethik. Es folgte eine Phase als Pfarrer in Böblingen und Arbeit mit Leitungsaufgaben bei der Diakonie. Seit 2015 lebt er mit seiner Familie – Schöller ist verheiratet und Vater von drei Kindern – in Hüls. Parallel zu der neuen Innenstadt-Pfarrstelle, die er zu 50 Prozent ausfüllt, ist er auch Unternehmensberater und bietet Coaching an.

Schöller ist damit ein Mann, der Wirtschaft, kirchliche Arbeit und akademisch-theologische Intellektualität verbindet – eine Mischung, die sich so oft nicht findet. Seine Stelle ist  an die Alte Kirche und die Friedenskirche angedockt und entwickelt die Kulturpunkt-Tradition der Friedenskirche weiter. Krefeld geht damit einen Weg, der auch in anderen Städten begangen wird. In Hamburg, berichtet Schöller, habe eine Gemeinde „Wohnzimmergottesdienste“ erprobt; der Kirchenraum werde so verkleinert, dass ein Gottesdienstraum für 60 bis 80 Menschen entstehe; in diesem Kreis gehe es dann darum, über Gebete, Lieder und Texte ins Gespräch zu kommen. In Essen gibt es unter der Überschrift „Raumschiff Ruhr“ und dem Motto „Raum für Gemeinschaft, Schönheit, Glauben“ Angebote, die sich an junge Menschen richten; in Schweinfurth arbeitet die Kirche in der Innenstadt mit einer aufblasbaren Kirche, um Raum für Ansprache zu stiften.

Schöller denkt über Angebote nach, bei denen etwa im Zwei-Stunden-Rhythmus kurze Impuls-Andachten mit Gebeten, Liedern und Texten angeboten werden, als Einladung innezuhalten, still zu werden und einen Gedanken mitzunehmen. Darum geht es Schöller im Kern: um diskrete christliche Botschaften als unverhoffte Möglichkeit für Menschen, auffindbar in ihrem Alltag – und mitgenommen in ihr Leben.

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