Wolfram Gottschalk "Es gibt keine Kapazität mehr"

Krefeld · Wolfram Gottschalk, Leiter des Fachbereichs Soziales, spricht im Interview über Sporthallen als Flüchtlingsheime, die Bereitschaft zur Vermietung an Flüchtlinge an private Eigentümer und das Engagement der städtischen Töchter.

Herr Gottschalk, der Vorsitzende des Stadtsportbundes kritisiert, dass die Stadt erneut eine Turnhalle zum Flüchtlingsheim umfunktioniert. Er sagt, dies würde die Akzeptanz von Flüchtlingen gefährden. Hat er Recht mit dieser Kritik?

Wolfram Gottschalk Es gibt keine Alternative. Wir müssen in der kommenden Woche wieder mit 60 ankommenden Flüchtlingen rechnen. Es gibt aber keine Kapazität mehr. Wir sind also zu dem Schritt gezwungen, Sporthallen umzufunktionieren. Derzeit prüfen wir, ob wir danach die Sporthalle am Lübecker Weg zum Flüchtlingsquartier umfunktionieren. Wir hoffen darauf, dass die Kaserne Kempener Allee bald zur Zeltstadt wird und wir Sporthallen wieder freigeben können. Das ist meiner Einschätzung nach aber noch eine Frage von Wochen.

Der Rat hat das Konzept der dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen beschlossen. Als die Flüchtlingszahlen niedrig waren, wurden alte Wohnanlagen abgerissen, stattdessen sollten die Flüchtlinge privat unterkommen. War das Konzept stimmig? Die Zahl der angebotenen Wohnungen reicht offenbar nicht.

Gottschalk Man darf nicht vergessen, dass rund die Hälfte unserer Flüchtlinge immer noch in Wohnungen untergebracht ist. Und mit unserem letzten Aufruf im Sommer an die Krefelder, privaten Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, haben sich überraschend viele gemeldet, darunter nicht nur Vermieter von größeren Komplexen, sondern auch solche, die nur eine Wohnung vermieten und jetzt mit Flüchtlingen in einem Haus wohnen.

In Wohnungen werden viele unterkommen wollen. Nach welchen Kriterien wird in Wohnungen beherbergt?

Gottschalk Wir haben bisher darauf geachtet, dass in den Wohnungen Familien, Senioren oder solche Menschen, bei denen es medizinische Notwendigkeit gab, untergebracht wurden. Aufgrund der Vielzahl von Flüchtlingen jetzt lässt sich das nicht mehr aufrecht erhalten. Mitunter müssen auch solche Personen in Großunterkünfte.

Vereinzelt melden sich Leser bei uns, die nach der Rolle der Wohnstätte fragen - die müsse doch ausreichend Wohnungen haben, wird argumentiert.

Gottschalk Die Wohnstätte leistet schon jetzt einen großen Anteil. Drei Viertel der Wohnungen, die wir angemietet haben, stammen von der Wohnstätte. Der Wohnstätte also einen Vorwurf zu machen, wäre sehr unfair.

Vor Monaten war davon die Rede, dass auf Bundesebene geplant ist, auch in Gewerbegebieten eine Unterbringung möglich zu machen.

Gottschalk Wir sind da im Gespräch, es gibt auch Angebote. Aber solche Komplexe müssen aufwendig hergerichtet werden, während normale Wohnhäuser einfacher vorzubereiten sind.

Wie entwickeln sich die Flüchtlingszahlen in Krefeld in diesem Jahr? Lagen Sie mit Ihrer Prognose Anfang des Jahres richtig?

Gottschalk Zum Ende des Jahres 2015 werden wir bei rund 2000 Flüchtlingen sein. Wir sind derzeit bei 1700 Flüchtlingen, und somit in etwa noch bei der Zahl, die wir Anfang des Jahres vorhergesagt haben. Dazu muss man aber bedenken, dass seit Jahresbeginn 1000 neue Flüchtlinge gekommen sind, die anderen sind teilweise mittlerweile in Deutschland anerkannt beziehungsweise wieder in ihrem Heimatland, weil sie kein Anrecht auf Asyl haben.

Sie sprechen zum Beispiel von Flüchtlingen vom Balkan.

Gottschalk Die Nationalitätenauswertung macht deutlich, dass die Balkanstaaten am Anteil der Flüchtlinge in Krefeld über 50 Prozent ausmachen. Diese Tendenz gibt es hier schon über einen längeren Zeitraum. Zum Vergleich: Aus dem Kriegsgebiet Syrien sind es derzeit nur 74 Flüchtlinge. Bei ihnen ist die Anerkennungsquote wesentlich höher. Bei allem Verständnis aus menschlicher Sicht für die Flüchtlinge vom Westbalkan: In den meisten Fällen ist unser Asylrecht für diese Menschen nicht geschaffen. Gerade die Roma werden zwar in ihren Heimatländern ausgegrenzt, leben in Armut. Aber Armut ist kein Grund für Asyl. Bund und Länder müssen die Asylverfahren beschleunigen - sonst macht man diesen Flüchtlingen falsche Hoffnung.

SEBASTIAN PETERS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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