Das Kaiser-Wilhelm-Museum Erst gehasst, dann geliebt: Wilhelm I.

Krefeld · Mit neun Jahren wurde er Leutnant, mit 17 zog er erstmals in den Krieg: Der Namenspatron des Kaiser-Wilhelm-Museums musste als "Kartätschenprinz" nach London ins Exil fliehen. Sein Leben war geprägt durch Kriege und Umwälzungen.

 Die Kaiser-Wilhelm-Statue soll auf dem noch zu schaffenden Joseph-Beuys-Platz unter Glas in einer Vitrine präsentiert werden.

Die Kaiser-Wilhelm-Statue soll auf dem noch zu schaffenden Joseph-Beuys-Platz unter Glas in einer Vitrine präsentiert werden.

Foto: Thomas lammertz

Vielleicht ist es hilfreich, an eine Szene aus dem Film "Master & Commander" zu erinnern, um sich dem Leben dieses Mannes anzunähern. Dort geht es um ein britisches Kriegsschiff im Jahr 1805. Zu den verstörenden Bildern gehört der Anblick eines Jungen, der etwa 15 Jahre alt ist und als Offiziersanwärter in die Schlacht ziehen muss. Er wird wie ein Erwachsener behandelt, er muss wie ein Erwachsener kämpfen, er verliert wie ein Erwachsener einen Arm. So war das in einer Zeit, in der Kinder ohne Übergang ins Erwachsenenalter stürzten. Und so erging es auch Kaiser Wilhelm I., dem Namenspatron des Kaiser-Wilhelm-Museums, der 1797 in Berlin als Wilhelm Friedrich Ludwig von Preußen geboren wurde.

Der Junge wurde 1807 als Neunjähriger Leutnant und hat zu diesem Zeitpunkt gelernt, dass seine Welt wankte. Als er geboren wurde, ging ein Jahrzehnt Französische Revolution (Start: 1789) zu Ende. Das Zeitalter Napoleons brach an: 1806 erlitt die Großmacht Preußen durch ihn bei Jena und Auerstedt vernichtende Niederlagen. 1814 kämpfte Wilhelm als 17-jähriger an der Seite seines Vaters Friedrich Wilhelm von Preußen im Krieg gegen Frankreich; 1815 wurde er Befehlshaber eines Bataillons. In einem Alter, in dem heute Jungen ihr Abitur machen, hatte er schon Jahre des Krieges hinter sich. Realen Krieg mit Kanonen und einen Krieg im übertragenen Sinne: gegen eine neue Zeit. Denn darum ging es: Frankreichs Revolution einzudämmen.

Vor diesem Hintergrund wird es nachvollziehbar, warum diesem Prinzen 1848, als die Bürger Berlins auf die Barrikaden gingen, nichts anderes einfiel als die Mittel des Krieges. Er setzte sich dafür ein, Preußens Militär nicht im Straßenkampf zu zermürben, sondern die Stadt von außen mit Kanonen - "Kartätschen" - sturmreif zu schießen. Es wäre ein Massaker geworden. Wilhelm war daraufhin so verhasst beim Volk, dass er nach London ins Exil gehen musste. Eine Deeskalationsmaßnahme. So blieb es in Berlin bei einigen hundert Toten, immerhin.

Das Kaiser-Wilhelm-Museum: Erst gehasst, dann geliebt: Wilhelm I.
Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Wilhelm war 51 Jahre alt, als die Revolution Berlin erreichte. Bis dahin hatte er das Leben eines Adeligen geführt, als habe es nie eine Französische Revolution gegeben. 1829 vermählte er sich auf Betreiben seines Vaters mit Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach. Es war ein klassisches dynastisches Ehebündnis, in dem wie damals üblich persönliche Befindlichkeiten keine Rolle spielten. Heiraten war Staatsräson. Die Ehe, so heißt es, soll nicht sonderlich glücklich gewesen sein.

Das mag auch daran gelegen haben, dass Augusta politisch wach und ihrem Mann intellektuell überlegen war. Sie war liberal gestimmt und versuchte, ihren Mann auch dahingehend zu beeinflussen.

Das Kaiser-Wilhelm-Museum: Erst gehasst, dann geliebt: Wilhelm I.
Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Ob es auf sie zurückzuführen ist oder ob das 1848-er Trauma bei ihm ein Umdenken ausgelöst hat: Wilhelm galt plötzlich als Hoffnung der Liberalen. Er folgte nach seiner Rückkehr aus London einer Deeskalationsstrategie, zumal in Berlin 10.000 Menschen gegen seine Rückkehr demonstrierten. So bekannte er sich zur konstitutionellen Monarchie für Preußen und wurde - wenn auch nur für kurze Zeit - Abgeordneter in der preußischen Nationalversammlung. Bürgerliche Übungen eines Prinzen.

Danach beruhigte sich sein Leben. Er siedelte mit seiner Frau und den zwei Kindern nach Koblenz über, wo sich für die Familie die Annehmlichkeiten eines stilvollen Hoflebens entfalteten. Wilhelm rückte erst ein Jahrzehnt später wieder in den Zirkel der Macht, als er seit 1857 den erkrankten König vertrat und 1861 selbst König von Preußen wurde. Sein Regierungsprogramm war moderat fortschrittlich, auf Ausgleich angelegt, auf Zurückhaltung nach außen und so etwas wie sittliches Bescheiden nach innen. Da zeigte sich kein Mann mit Blut und Eisen, sondern ein Staatsführer. Das ließ hoffen und kam an.

Der Keim des guten Rufs konnte sich auch deshalb ungehindert entfalten, weil ab 1862 Bismarck als Ministerpräsident faktisch die Richtlinien der Politik bestimmte. Und immerhin: Unter Bismarck konsolidierte sich die deutsche Nation; die umstürzlerische Unruhe der ersten Hälfte des Jahrhunderts ebbte ab; Deutschland wurde zu einer technisch führenden Industrienation.

Die verpasste politische Modernisierung war erst langfristig verheerend - es waren in Europa stets die Länder, die nicht zu modernen Bürgerstaaten mutierten, in denen im 20. Jahrhundert faschistische und faschistoide Regime gediehen.

Als Wilhelm 1871 zum deutschen Kaiser proklamiert wurde, war er 73 Jahre alt. So hatten ihn seine Untertanen noch lange vor Augen: Er starb 1888, hochverehrt und zum Inbegriff preußisch-bescheidener Pflichterfüllung geworden. Eine Skulptur zeigt ihn sterbend im Sitzen bei der Arbeit mit Akten. So verehrt, ist er Namenspatron für das Krefelder Museum geworden. Vergessen schien der reaktionäre Kartätschenprinz; was blieb, war das Bild von einem Diener des Staates.

Doch dieses Bild war trügerisch. Drei Attentate auf Wilhelm zeigen, dass der Hass auf das im Kern eben doch weiter reaktionäre Regime im Untergrund weiterlebte. So mag Wilhelm I. selbst, als er starb, weniger für Krieg, Blut und Tränen und mehr für die Sehnsucht nach Frieden gestanden haben. Doch diese Sehnsucht war am Ende zu schwach. Auf welchem Weg den Deutschen das Kaisertum endgültig abhanden kam, ist bekannt.

(RP)
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