Krefeld Eine Landwirtin erzählt

Krefeld · Ruth Vennekel lebt und arbeitet mit ihrem Mann und drei Kindern auf einem Hof in Hüls. Sie ist auf einem Bauernhof im Westfälischen aufgewachsen und hat zwei Geschwister - alle drei haben Agrarwirtschaft studiert. Warum? Wer ihr zuhört, versteht, warum landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland immer noch mehrheitlich Familienbetriebe sind.

 Ruth Vennekel im Besprechungsraum ihres Wohnhauses in Hüls. Im Hintergrund der alte Schreibtisch ihres Schwiegervaters. Früher reichte er für den "Papierkram" aus, den ein Landwirt zu erledigen hatte. Lange vorbei. Heute hat der Betrieb eine professionelle Verwaltung mit moderner Büroausstattung.

Ruth Vennekel im Besprechungsraum ihres Wohnhauses in Hüls. Im Hintergrund der alte Schreibtisch ihres Schwiegervaters. Früher reichte er für den "Papierkram" aus, den ein Landwirt zu erledigen hatte. Lange vorbei. Heute hat der Betrieb eine professionelle Verwaltung mit moderner Büroausstattung.

Foto: T.L.

Statistiken sind oft nur an der Oberfläche kühl. Laut Deutschem Bauernverband sind in Deutschland 90 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe Einzelunternehmen und acht Prozent Personengesellschaften. Nur zwei Prozent sind GmbH's, Genossenschaft oder AG's. Will sagen: 98 Prozent der Bauernhöfe in Deutschland sind in Familienhand. Warum das so ist, versteht man im Gespräch mit Ruth Vennekel. Sie ist auf einem westfälischen Bauernhof aufgewachsen, sie hat Agrarwirtschaft studiert, sie hat einen Landwirt geheiratet, lebt und arbeitet jetzt auf einem Hof und sagt über ihre Kindheit: "Als Kind war das toll."

Was genau?

Eigentlich alles.

Zunächst: die Freiheit. Auf dem elterlichen Bauernhof haben zehn Personen gelebt, berichtet Ruth Vennekel: ihre Eltern mit den drei Kindern, Oma, Opa, zwei Tanten und ein Onkel. "Ich bin unbekümmert groß geworden", sagt sie, "wir konnten raus; es gab immer einen Ansprechpartner, der sich um einen gekümmert hat", sagt sie und lächelt. Sehnsucht nach einem Butterbrot? Irgendjemand war da und hat sie gestillt.

Sodann: "Ich bin mit Stallgeruch groß geworden und mit Tieren." Mit Milchvieh. Klar, die Tiere waren auch Lebensgrundlage der Menschen; das haben ihre Eltern ihr immer klar gemacht - auch dann, wenn mal ein Kalb besonders aufgezogen wurde und den Menschen näherstand als andere Tiere. Dennoch galt für das Mädchen Ruth: "In erster Linie stand die Empathie. Natürlich will man, dass es einem Tier gut geht. Erstmal, weil es ein Lebewesen ist; man will ihm kein Leid zufügen. Dass es Nutztiere sind, steht erst an hinterer Stelle." So war der Bauernhof ihrer Kindheit belebt; Wirtschaft und Empathie waren unentwirrbar durchdrungen. Vielleicht vergisst man so etwas nicht. Jedenfalls: Ruth und ihre beiden Geschwister haben Agrarwirtschat studiert. Die Landwirtschaft hat sie nicht mehr losgelassen.

Vieles aus der Kindheit hat sich gehalten. Heute zum Beispiel leben noch Ruth Vennekels Schwiegereltern mit den "Kindern" auf dem Hof; den Betrieb führen Ruth und ihr Mann, die Eltern leben in einem eigenen Haus, aber in engster Nachbarschaft. Irgendwann während des Gesprächs schneit der Schwiegervater kurz 'rein mit einer Frage; als er gegangen ist, sagt Ruth Vennekel: "Geklingelt wird hier nicht, jeder hat Schlüssel." Sie malt dabei keine Idylle; es gibt demnach auch Familien, in denen das Zusammenleben von Alt und Jung überhaupt nicht klappt und die Nähe unerträglich sei; aber wenn es klappt, ist es ein Privileg und ein Glück: eine große Familie.

Geändert hat sich vor allem die Art des Wirtschaftens. "Das ist der Schreibtisch meines Schwiegervaters", sagt Ruth Vennekel und weist auf ein schön gearbeitetes Stück aus Eiche; der Fläche nach nicht sonderlich groß; die Schubladentürme rechts und links, auf denen die Tischplatte aufliegt, lassen wenig Raum: Wer hier saß, musste sich kerzengerade halten und die Knie akkurat geradeaushalten. So sieht man schon am Tisch: Lange am Stück hat hier niemand gesessen. Und tatsächlich: Ihr Schwiegervater sei noch mit ein paar Wochenstunden Büroarbeit ausgekommen, vor allem am Sonntag habe er immer am Tisch Platz genommen und eine Stunde Papierkram erledigt. "Das ist lange vorbei", sagt Ruth Vennekel. Kein Landwirt macht heute noch nebenbei Papierkram, "der Verwaltungsaufwand ist enorm gewachsen".

Die Vennekels haben vier Teilzeitkräfte für die Verwaltung angestellt. Gesetze, Vorschriften und Buchführung sind kompliziert; und auch der Betrieb der Vennekels ist kompliziert: Ackerbau, ein wenig Schweinemast, Pferdepension, Gebäudevermietung und eine kleine Produktion von Lebendfallen. Ökonomen würden von Diversifikation sprechen: Je mehr Standbeine und Einnahmequellen ein Unternehmen hat, desto besser kann es Einbrüche in einzelnen Sparten verkraften. Etwas ist geblieben wie früher: das Problem, Urlaub zu machen, den Hof allein zu lassen. "Wir versuchen immer, in den Sommerferien wenigstens zehn Tage mit der Familie zu verreisen", sagt Ruth Vennekel. Das Problem dabei ist die Getreideernte, "wir sind dann schon lieber da". Und so ist die Familie von der Witterung abhängig. Wann kann das Stroh eingefahren werden? Mal früher, mal später. Die Vennekels sind immer heilfroh, wenn es mit der Ferienplanung klappt.

Die Herbstferien fallen generell weg - "Kartoffelernte", heißt es knapp. Die Osterferien sind nur eine Option, wenn sie sehr früh liegen. "Ansonsten ist dies die Zeit der Kartoffelbestellung." Auch so eine Zeit, in der man lieber nicht weg ist.

Ruhiger ist naturgemäß der Winter, und so hat es sich eingependelt, dass die Familie nach Weihnachten ein paar Tage wegfährt. Eine schmale Spanne entspannter Zeit. Schmal ist sie auch deshalb, weil der Winter im Ganzen eben nicht die Phase des großen Nichtstuns ist. "Fortbildungen, Maschinenpflege, Reparaturen, Instandsetzung, Ecken aufräumen", listet Ruth Vennekel auf. Man ahnt: Und dann ist es auch schon wieder Frühjahr.

Bei aller Diversifikation hat sich auf dem Hof der Vennekels noch etwas gehalten, das an alte Zeiten erinnert: Morgens und mittags wird mit allen Mitarbeitern und Erntehelfern zusammen gegessen. In einer Halle ist eine Küche eingerichtet und Tische für 16 Personen; dort wird frisch gekocht, geschwatzt, pausiert. "Das ist uns wichtig, und bei der Gelegenheit wird auch der Tag besprochen." Ihr Sohn, sagt sie lächelnd, sei immer dabei, wenn es irgend gehe; "er will wissen, was los ist."

So fängt's an, denkt man. Und ahnt, was er als Mann über seine Kindheit erzählen wird.

(RP)
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