Krefeld Ein neues Leben mit 93

Krefeld · Elfriede Meuter hat mit 93 Jahren eine Operation am offenen Herzen überstanden.

 Die Ärzte sagen über sie: Ihr biologisches Alter liegt zehn Jahr unter ihrem tatsächlichem. Elfriede Meuter nach ihrer dreistündigen Herzoperation.

Die Ärzte sagen über sie: Ihr biologisches Alter liegt zehn Jahr unter ihrem tatsächlichem. Elfriede Meuter nach ihrer dreistündigen Herzoperation.

Foto: Lammertz

Das Erste, was bei Elfriede Meuter auffällt, sind ihre blitzenden blauen Augen. Das Zweite ist ein Pflaster, das an ihrem Hals unter einem dünnen Pulli hervorlugt. Man glaubt es kaum, dass die 93-jährige Frau eine dreistündige Operation am offenen Herzen hinter sich hat, bei der drei Herzklappen quasi rundumerneuert wurden. Sie sitzt auf dem Bett im Krefelder Helios-Klinikum und erzählt, wie es dazu kam. Das Wagnis der Operation ist sie sehr bewusst eingegangen: "Ich habe mich damit auseinandergesetzt, wie die Operation ausgehen könnte. Und ich habe mir gedacht: Wenn ich in der OP bleibe, dann habe ich 93 Jahre gelebt, und ich hatte ein gutes Leben."

Es begann im Dezember des vergangenen Jahres. Elfriede Meuter hatte immer gesund gelebt, war nie krank. Mit 90 begann sie, Bluthochdrucktabletten zu nehmen. Sie machte viel Sport, auch im Alter, bis hin zu altersgerechtem Krafttraining in einem medizinischen Fitnessstudio; "und ich habe seit 25 Jahren täglich die fünf Tibeter gemacht", sagt sie - eine Bodengymnastik. Ihr biologisches Alter, so sollten die Helios-Ärzte später sagen, liegt um mindestens zehn Jahre unter ihrem tatsächlichen Alter.

 Prof. Franz Xaver Schmid, Chef der Herzchirurgie.

Prof. Franz Xaver Schmid, Chef der Herzchirurgie.

Foto: Helios

Doch dann stimmte etwas akut mit ihrem Herzen nicht mehr. Nach einem grippalen Infekt sammelte sich in ihren Beinen Wasser an, sie wurde kurzatmig, konnte vor Schwäche nur noch ein paar Schritte gehen. Zunächst wurde Elfriede Meuter in einem Neusser Krankenhaus mit Tabletten zur Entwässerung behandelt. Ihre Tochter Sigrid, als Apothekerin medizinisch vorgebildet, war in großer Sorge: "Mir war schnell klar, dass die Tabletten nichts ausrichten. Man konnte zusehen, wie meine Mutter wieder mit Wasser volllief", berichtet sie. Schließlich wandte sie sich ans Helios in Krefeld.

Dort ergab eine Ultraschalluntersuchung ein ernüchterndes Ergebnis: Zunächst hatten Prof. Franz Xaver Schmid, Chefarzt der Herzchirurgie, und Prof. Heinrich Klues, Chefarzt der Kardiologie, gehofft, dass es reichen würde, die Aortaklappe des Herzens durch eine künstliche minimal-invasiv zu ersetzen. Die Technik ist fantastisch, man hätte die neue Klappe also ohne große Operation einsetzen können - so etwas ist auch bei älteren Menschen gut beherrschbar. Doch die Ultraschalluntersuchung des Herzen war eine Überraschung für die Herzspezialisten und ein Schock für die Patientin.

 Prof. Heinrich Klues, Chef der Kardiologie.

Prof. Heinrich Klues, Chef der Kardiologie.

Foto: Helios

Drei Klappen waren angegriffen. "Man hätte vielleicht zwei von drei kranken Herzklappen minimal-invasiv behandeln können, doch das hätte zweimal das Risiko einer Vollnarkose und eine nur unvollständige Behandlung des geschwächten Herzens bedeutet," berichtet Schmid über die Überlegungen, die ihn und seinen Kollegen umgetrieben haben. Andererseits stellt eben eine dreistündige Operation am offenen Herzen für eine 93-Jährige auch ein erhebliches Risiko dar. "Frau Meuter hat mich nach der Untersuchung auf dem Flur abgepasst und gesagt, sie wolle unbedingt operiert werden. Es war ein Donnerstag, das werde ich nicht vergessen. Ich habe ihr gesagt: Wissen Sie, ich werde über das Wochenende nachdenken, und sie werden über das Wochenende nachdenken. Dann entscheiden wir, was wir tun", berichtet Schmid. Sie habe gleich gesagt: "Ich brauche nicht nachzudenken" - "ich aber schon", war seine Antwort. Vier Punkte gaben schließlich für das Team um Schmid und Klues den Ausschlag, das Wagnis der Operation einzugehen: der sehr gute Allgemeinzustand der Patientin, ihr hoher Leidensdruck, ihre absolute Überzeugung, dass sie das auch wollte, und die Aussicht auf eine vollständige Erholung.

Die Operation selbst glich einer Art Generalüberholung des Herzens. Die Aortenklappe wurde durch eine neue ersetzt. Das Einsetzen der künstliche Klappe ist beides: verblüffend simpel vom Prinzip, aber auch eine technisch-chirurgische Meisterleistung. Die kranke Klappe wird komplett herausgeschnitten. An gleicher Stelle wird dann eine neue Klappe aus biologischem Gewebe eingesetzt, die mit voller Öffnungs- und Schließbeweglichkeit die Funktion übernimmt. Den Rest regelt der Blutstrom.

Bei Elfriede Meuter musste aber auch die Mitralklappe zwischen linker Vor- und Hauptkammer wieder "gangbar" gemacht und von "Verklebungen" befreit werden: Funktioniert diese Klappe nicht, ist Luftnot die Folge. Und schließlich musste die Trikuspidalklappe der rechten Vorkammer "abgedichtet und repariert werden", wie Schmid es ausdrückt. Wenn diese Klappe nicht mehr richtig arbeitet, staut sich Blut vor dem Herzen. Folge: Wassereinlagerungen an Bauch und Beinen. Zum Schluss wurde Elfriede Meuter ein Herzschrittmacher eingesetzt: "Das ist in diesem Alter extrem häufig", sagt Schmid.

Das Wagnis gelang. Die Beine von Elfriede Meuter sind wieder dünn; sie ist noch etwas kurzatmig; "das angestaute Wasser in der Lunge wird nach und nach abgebaut", sagt Schmid dazu. Elfriede Meuter ist glücklich und erleichtert. "Mein größtes Ziel war es, dass ich weiter allein leben und mich versorgen kann", sagt sie. Sie ist nun in der Reha. Kraft und Kondition werden dort altersgerecht und behutsam wieder aufgebaut.

Dass sie nach den Monaten der Schwäche nun wieder nach vorn blicken kann sie, kann sie, so sehr sie an den Erfolg der Operation glaubte, kaum fassen. "Es ist ein Wunder, was diese zwei Ärzte an mir vollbracht haben", sagt sie. Und bald wird sie wohl wieder die fünf Tibeter machen.

(RP)
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