Krefeld Ein Lehrerleben

Krefeld · Der Lehrer, Publizist und Philantrop Theodor Pelster hat sein Leben erzählt - es ist ein anrührender Ausflug in vergangene Zeiten.

 "Ich wollte nur lernen, lernen, lernen": Theodor Pelster, Jahrgang 1937, über seine Studienzeit an der Universität Bonn.

"Ich wollte nur lernen, lernen, lernen": Theodor Pelster, Jahrgang 1937, über seine Studienzeit an der Universität Bonn.

Foto: Lammertz

Und dann schlug an einem Tag im Juli des Jahres 1963 das Schicksal zu. Theodor Pelster stand am Ende seines Studiums und hatte gute Chancen auf eine akademische Laufbahn. Er war begabt, sein Doktorvater unterstützte ihn sehr, die Universitäten standen vor einer beispiellosen Ausbauphase - da hatte Pelster bei einer Fahrt von Kempen nach Krefeld einen schweren Autounfall. Nicht nur das: Es gab massive Komplikationen im Krankenhaus. Ein Draht, der Knochen und Gewichte in Balance halten sollte, riss, und in die Fleischwunde drangen Keime ein. Pelster brauchte Monate, um sich davon zu erholen. Zurück blieb ein steifes Bein und so etwas wie eine existenzielle Verunsicherung. Den Tort der unsicheren akademischen Laufbahn tat er sich nicht mehr an. Er promovierte noch zu Ende und wurde Lehrer am Fichte.

Nun hat er auf 543 Seiten sein Leben erzählt, und wer befürchtet, dass da jemand zum x-ten Male Anekdoten vom Schlage "Wir Lümmel von der letzten Bank" zum Besten gibt, wird auf das Angenehmste enttäuscht. Pelster erzählt zurückgenommen, unaufdringlich, ernsthaft; da ist nichts von krachledernem Pennäler-Humor. Das Epochale an diesem an sich unspektakulären Leben schimmert dennoch nachhaltig durch. Was den Leser fesselt, ist dies: Man kann genau zusehen, wie sich die Zeiten ändern. Pelster durchschreitet in seinem Leben zeitgeschichtliche Milieus, die sich abenteuerlich wandelten.

Als später Geborener staunt man etwa über das, was man in den 50er Jahren im Latein-Unterricht bis zum Großen Latinum geschafft hatte: Die Schüler damals hatten Cäsar, Cicero, Livius, Tibull, Catull und Vergils Äneis gelesen. In den 70er Jahren kam man gerade bis zu Cäsar, vielleicht ein paar Sätze von Cicero inbegriffen. Hinter der phänomenalen Leistung früherer Lateinschüler stand Drill: Pelster berichtet von einem Lehrer, der Schüler unerwartet von hinten mit einem Stock zu schlagen pflegte und dann unregelmäßige Verben abfragte. Stundenlang. So gehörte Üben in den 50ern zum Unterricht - heute wird über die Abschaffung der Hausaufgaben diskutiert. Der irrwitzige Zuwachs an Wohlstand seit Mitte des Jahrhunderts wird an Randbemerkungen deutlich. So durfte Pelster als Junge seine erste Armbanduhr nur sonntags tragen. Dinge hatten einen anderen Wert als heute.

Was auch erstaunt, ist die Ernsthaftigkeit, die offenbar schon zu Schüler- und erst recht zu Studentenzeiten herrschte. "Für mich war es eine Offenbarung, als uns ein Text präsentiert wurde, in dem sich der junge Goethe wütend gegen die Allmacht und Rücksichtslosigkeit der Götter stellt", schreibt Pelster einmal. Religionsskepsis hatte in einer Zeit, in der man selbstverständlich sonntags zur Messe ging, offenbar eine andere Wucht und Wirkung auf Schüler als heute, wo man von einem Markt spiritueller Möglichkeiten zu sprechen gewohnt ist, auf dem es so ziemlich alles gibt - bis hin zu völliger Verflachung und Beliebigkeit. Es gibt keinen Grund, hier dem alten Pelster Selbststilisierung im Rückblick auf den jungen Pelster zu unterstellen; Pathos ist ihm fremd. Der Weg nach Bonn zur Universität - Pelster hat Germanistik, Geschichte und Sport studiert - war ein intensiver Aufbruch: "Ich wollte nur lernen, lernen, lernen", erinnert er sich. Pelster berichtet auch von seiner ersten Liebe und davon, in welch strengen Bahnen Mitte der 60er Jahre die Annäherung an eine Frau verlief. Als er sie einmal fragte, ob sie bei ihm geklingelt habe, antwortet sie: "Nein. Wie käme ich dazu? Was würde dein Vermieter von mir denken?"

Die beiden blieben beieinander, und Pelsters Heiratsantrag liest sich wie eine Szene von Stifter, diesem Meister der zarten Andeutung: Als Pelster ihr bei einem Spaziergang einen Antrag machen wollte, dabei redete und redete, ohne auf den Punkt zu kommen, mahnte sie irgendwann zum Weitergehen. "Gemeinsam?", fragte er, "natürlich gemeinsam, immer doch", lautete die Antwort. Das war das unausgesprochene Ja auf eine unausgesprochene Frage. Zu den anrührenden Stellen im Buch gehören dann auch die, in denen er in das Du verfällt und seine Frau meint - als sei alles nur ein Brief an sie.

Als Lehrer hat Pelster die Revolution der Schulwelt von der Drill-Anstalt zum diskursverliebten Haus des methodologisch ewig reflektierenden Lernens miterlebt. Er hat diese Vorwärtsbewegung mitgetragen, auch wenn er mit Trauer zur Kenntnis genommen hat, dass Latein und Griechisch als Bildungshorizonte irgendwann ausgedient hatten. Wie fortschrittlich er war, zeigt ein Detail: Er hat als junger Lehrer Ende der 60er Jahre in seiner Klasse die "Blechtrommel" von Grass gelesen, als Grass noch ein junger Wilder und umstritten war. Eine beachtliche pädagogische Tat und ein didaktisches Wagnis.

Pelster, der in Krefeld auch vielfach im sozialen Bereich engagiert war und ist, hat solche Wagnisse und alle Reformen auch deshalb heil überstanden, weil er seinen Schülern immer mit Empathie begegnet ist. Der Kreis schließt sich. Dem Schüler Pelster war die Schule zu wichtig für Pennälerstreiche, und dabei blieb es. Sein berufliches Resümee steckt in diesem Satz: "Die heutige Schule braucht Lehrer mit Fachqualifikation, nicht Fachlehrer; Lehrer, die ihre Aufgabe darin sehen, Kindern und Heranwachsenden zu helfen, ins Leben hineinzuwachsen."

(RP)
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