Krefeld Dieter Hanschel - ein Pflichtverteidiger im Majdanek-Prozess bricht sein Schweigen

Krefeld · Nach mehr als 30 Jahren wird der 80-Jährige erstmals über die grausamen Details sprechen, die der Prozess an den Tag brachte, und darüber, wie sich sein Menschenbild verändert hat. Termin: Jüdische Gemeinde. Donnerstag, 26. Januar, 19 Uhr, Wiedstraße 17.

 Zum Vortrag von Dieter Hanschel gibt es eine begleitende Ausstellung mit Dokumenten zum Prozess, die bis einschließlich Donnerstag auch tagsüber im Jüdischen Gemeindezentrum besichtigt werden kann.

Zum Vortrag von Dieter Hanschel gibt es eine begleitende Ausstellung mit Dokumenten zum Prozess, die bis einschließlich Donnerstag auch tagsüber im Jüdischen Gemeindezentrum besichtigt werden kann.

Foto: Lammertz Thomas

Als Heinrich Groffmann am 30. Juni 1981 vom Düsseldorfer Landgericht freigesprochen wurde, fiel eine Last von Dieter Hanschel ab. Erleichterung, dass die Tortur endlich vorbei war. Fast sechs quälende Jahre, von 1975 bis 1981, war Hanschel Pflichtverteidiger von Groffmann im legendären Majdanek-Prozess. Groffmann war einer der 17 ehemaligen SS-Aufseher im Vernichtungslager Lublin-Majdanek gewesen, die wegen Mordes und Beihilfe zum Mord angeklagt waren. Es war auch die Erleichterung, dass sein Mandant nicht für schuldig befunden wurde. "Er hat gesagt, er habe nichts getan. Es gab keine Gegenbeweise. Juristisch ist er unschuldig", sagt Hanschel. Es ist das klare Urteil, das das Gesetz vorgibt. Aber wie tief sich der Mammut-Prozess in sein Inneres eingefräst hatte, das hat der Anwalt damals nicht geahnt.

Mehr als 30 Jahre lang hat Hanschel weder über den Prozess gesprochen noch über das, was damals in ihm vorgegangen ist. "Ich habe den Deckel darauf gehalten", sagt er. Erst als er jetzt mit seiner Heimatgemeinde Lank eine Israelreise plante - mit einem Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem -, sei ihm bewusstgeworden, dass dieser Deckel nicht halten könne. "Ich habe mich dem ausgesetzt", sagt er.

 "Ich hätte mir nie vorstellen können, welche Exzesse mit Hunden, Peitschen, Latrinen und Kindern möglich sind": Dieter Hanschel war Pflichtverteidiger im Majdanek-Prozess und berichtet erstmals von seinen Erlebnissen.

"Ich hätte mir nie vorstellen können, welche Exzesse mit Hunden, Peitschen, Latrinen und Kindern möglich sind": Dieter Hanschel war Pflichtverteidiger im Majdanek-Prozess und berichtet erstmals von seinen Erlebnissen.

Foto: Lammertz

Ausgesetzt, so habe es die Lanker Pfarrerin Heike Gabering genannt, die ihm wichtige Stütze in einer Zeit war, als das Feld seiner Erinnerungen gefährlich vermint war. "Aussetzen - das Wort trifft es", sagt Hanschel. Jetzt will er sein Schweigen brechen. Und er tut es in der Jüdischen Gemeinde Krefeld: am Donnerstag, 26. Januar, ab 19 Uhr. Damit will er ein Zeichen setzen.

Den Kontakt hat ihm der Krefelder Uwe Furchheim von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit vermittelt. Beide kennen sich seit langem. In Kooperation mit der Volkshochschule hat er begleitend zu Hanschels Vortrag eine Ausstellung mit Dokumenten zusammengetragen: "35 Jahre nach dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf im Majdanek-Prozess vom 30. Juni 1981".

Der Zeitpunkt ist fast symbolisch. "Im Prozess damals sind die Zeugen immer wieder gefragt worden, woran sie sich nach 32, 33 Jahren noch erinnern können. Ich habe mich jetzt auch gefragt, an was ich mich nach 33 Jahren erinnere", fasst Hanschel zusammen. Es sind viele Erinnerungen, über die der inzwischen 80-Jährige spricht. Reflektiert, ehrlich und schonungslos. Mit fester Stimme. Und manchmal ist zu erahnen, dass eine Frage schmerzt - auch wenn Hanschel sie sich schon selbst x-Mal gestellt hat. Zum Beispiel die nach dem ersten Gefühl, das der Freispruch für Groffmann in dem Rechtsanwalt ausgelöst hat. "Es war nicht das Gefühl, gewonnen zu haben. Denn nicht unsere Verteidigung und unser Plädoyer haben den Freispruch bewirkt. Es lag daran, dass die Zeugen den Angeklagten nicht als Mörder identifiziert haben", sagt Hanschel. Und nach einer kurzen Pause: "Aber wenn einer richtig gemordet hat, bleiben keine Zeugen übrig." Schon bei der Urteilsverkündung sei ihm bewusst gewesen: "Wir waren nicht dabei. Wir haben nie gewusst, was wirklich passiert ist."

Das Lager Majdanek entstand parallel zu Auschwitz-Birkenau im Herbst 1941 und wurde mehrfach erweitert. Zunächst waren 10.000 Baracken für Kriegsgefangene vorgesehen. Etliche Erweiterungen waren geplant, im Sommer '43 waren es 25.000 Häftlinge, schätzungsweise 250.000 Menschen sind dort ermordet worden. Anklageschrift und Prozessakten beziffert Hanschel mit etwa 25.000 Seiten. "Außerdem wurden 350 Zeugen gehört, viele aus dem Ausland."

Es war eine zehrende, belastende Zeit, auf die kein Aktenlesen vorbereiten konnte. "Ich hätte mir nie vorstellen können, welche Exzesse mit Hunden, Peitschen, Latrinen und Kindern möglich sind", sagt Hanschel. Bilder, die ihm nachts den Schlaf raubten. Doch die Juristen mussten klaren Kopf behalten. Hanschel beschreibt es mit dem Bild eines Zuges, der durch einen Tunnel fährt. "Wir saßen drin, und er fuhr und fuhr. Wir konnten ihn nicht stoppen." Dass sich im Prozess zeigte, dass nicht nur Pflichtverteidiger beteiligt waren, sondern auch Wahlanwälte, die als "Nazi-Anwälte" in der Kritik standen ("teilweise zu Recht"), hat Hanschel damals belastet. "Es tat schon weh, wenn alle über einen Kamm geschoren wurden. Aber ich habe mir immer gesagt: Ich bin nicht gemeint. Wenn einer sagte, er müsse sich vor dem täglichen Grauen schützen, hatte ich das Gefühl: Ja, so geht es uns." Auch wenn jemand sagte, er könne sich wegen des aufwendigen Prozesses nicht mehr um seine Kanzlei kümmern und habe Angst, sie zu verlieren, fand er sich wieder.

Hanschel redet viel vom "Odium der Unterstützeranwälte", von dem er sich immer wieder befreien musste mit klarer Haltung. Ein Erlebnis hat ihn deshalb tief beeindruckt. Im Zuge der Zeugenbefragungen war für ihn die Begegnung mit einer Familie in Israel vorbereitet worden. "Alles war streng geheim und musste heimlich ablaufen. Als ich abgeholt und nachts durch die dunklen Straßen geführt wurde, habe ich innerlich vibriert", erzählt er. Als er bei der Familie zu Hause ankam, lief im Fernsehen gerade eine Folge der Serie "Holocaust". "Wir haben sie zusammen angesehen, und dann haben wir lange geredet. Es hat mich tief bewegt, weil auf beiden Seiten so viel gegenseitiger Respekt herrschte und die innere Haltung klar war. Und diese Familie hatte Angehörige in Majdanek verloren. Dass sie mich eingeladen hat, habe ich als Auszeichnung und Ehre empfunden."

Mit Außenstehenden über das reden, was ihn umtrieb, konnte er nicht, selbst mit dem älteren Mitverteidiger habe es nicht viele Gespräche gegeben, um psychische Belastungen aufzuarbeiten. Das Recht des Mandanten auf ein ordentliches Verfahren stand im Mittelpunkt. Alles andere musste verdrängt werden bis nach dem Prozess. Die gewaltigen Demonstrationen vor dem Gerichtssaal und das immense Medieninteresse habe man ausgeblendet. Nur auf die Einsamkeit der Verantwortung und der Belastung habe kein Aktenlesen vorbereiten können.

War es das wert? Diese Frage hat sich Hanschel nach dem Prozess gestellt. "Fünf Jahre waren eine lange Zeit. Inzwischen waren viele berufliche Verbindungen abgebrochen. Ich hatte ja für nichts anderes Zeit gehabt. Ich musste da erst wieder etwas aufbauen. Damals habe ich die Frage oft mit Nein beantwortet." Doch im Juristenalltag ist jeder Fall ein neuer Fall, sagt er. Die Konzentration auf andere Prozesse hat ihn abgelenkt - und geholfen den Deckel auf dem Fass der Majdanek-Erinnerungen zu halten. Als vor Jahren ein Journalist um ein Interview bat, hat Hanschel abgelehnt. "Ich wollte nicht reden. Aber von da an wurde mir klar, dass es von außen das Bedürfnis nach Aufarbeitung gab." Und dann habe er begonnen zu reden - im kleinen, vertrauten Kreis. Dann zeigte sich, dass er die Frage, ob es das wert gewesen sei, mit einem klaren Ja beantworten konnte. Der Majdanek-Prozess hat sein Menschenbild verändert: "Als Strafverteidiger habe ich gesehen, wozu Menschen fähig sind. Aber ich habe gelernt, wie wichtig es ist zu reden. Ich verstehe aber auch, warum aus der Elterngeneration so viele über die Kriegszeit geschwiegen haben. Reden hätte sie ein zweites Mal zerstört."

Ob Hanschel an Groffmanns Unschuld geglaubt habe? "Ein Verteidiger muss sich mit der eigenen Wahrnehmung konfrontieren und muss dem Beschuldigten einen Vertrauensvorschuss gewähren, ein Verhältnis zu ihm entwickeln. Aber er darf Zweifel haben. Das muss ein Anwalt aushalten können." Hanschel erinnert sich an die erste Begegnung mit seinem Mandanten. Der war inzwischen Forstarbeiter, "ein biederer Familienvater" aus Niedersachsen. "Er hat allen Vorwürfen standgehalten, hat gesagt, er habe nur verwaltet und sich nichts zuschulden kommen lassen. Das mussten wir glauben. Und ich bin froh, dass der Prozess, je länger er lief, nichts Gegenteiliges ergeben hat." Wiedergesehen hat er Groffmann nie mehr.

Vortrag "Der Majdanek-Prozess. Landgericht Düsseldorf 1975 bis 1981. Erinnerungen eines Verteidigers" mit Rechtsanwalt i.R. Dieter Hanschel, Donnerstag, 26. Januar, 19 Uhr, Jüdisches Gemeindezentrum, Wiedstraße 17. Eintritt: 6 Euro. Es gibt eine begleitende Ausstellung mit Dokumenten zum Prozess, die bis einschließlich Donnerstag auch tagsüber besichtigt werden kann.

(RP)
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