Krefeld Die Starken von der Steinstraße

Krefeld · An der Steinstraße vollzieht sich ein erstaunlicher Aufbruch: Der Ringerverein KSV Germania Krefeld 1891 baut dort ein Integrationszentrum auf. Der Schlüssel ist ein Sport, der auf einem zentralen Prinzip beruht: Respekt.

 Leidenschaft fürs Ringen: KSV-Vorsitzender Jochen Haeffner (hinten rechts) mit Trainer Hans-Georg Focken; vorne demonstrieren Ben Haeffner (rechts) und Amer Bolakhrif einen der Ringer-Griffe.

Leidenschaft fürs Ringen: KSV-Vorsitzender Jochen Haeffner (hinten rechts) mit Trainer Hans-Georg Focken; vorne demonstrieren Ben Haeffner (rechts) und Amer Bolakhrif einen der Ringer-Griffe.

Foto: L.S.

Die Steinstraße ist keine schicke Gegend: Typ triste Straßenschlucht — ein Baum ist hier ein Ereignis. Die Menschen, die dort leben, sind nicht wohlhabend; es ist eine Vielvölkergegend — und Jochen Haeffner sagt zu der Frage, warum er, der ein wohlhabender Unternehmer ist, sich gerade hier engagiert, einen einfachen Satz: "Ich mag die Menschen hier." Offen seien sie, ehrlich und geradeaus; "wenn du dich hier einbringst, bekommst du unheimlich viel zurück". Dabei ist Haeffner kein Sozialarbeiter, erst recht kein Sozialromantiker. Er liebt schlicht einen Sport: das Ringen.

Was da an der Steinstraße still zu wachsen beginnt, ist ein erstaunlicher Aufbruch. Das Bestechende daran ist, dass dieser Aufbruch so ganz ohne theoretischen Bombast auskommt: Ringen ist die gemeinsame Leidenschaft — der Rest kommt von selbst. "In unserem Verein sind mindestens 30 Nationen vertreten", sagt Haeffner, "wir sind wirklich multikulti." Dass Ringen völkerverbindend ist, ist wohl nicht nur ein Spruch: In Osteuropa, in der Türkei, in Nahost, Nordafrika und in den USA bildet Ringen eine starke Tradition auch über politische oder kulturelle Gräben hinweg: "Amerika und Iran kämpfen gemeinsam dafür, dass Ringen olympische Disziplin bleibt", sagt KSV-Cheftrainer Hans-Georg Focken.

Seit Anfang April trainiert der KSV in der Turnhalle an der Steinstraße. Haeffner ist voller Pläne: Er möchte das Umfeld der Halle verschönern, in dem Komplex einen Kraftraum einrichten, das sportliche Angebot ausbauen, mit Schulen und dem benachbarten Kinderheim Marianum zusammenarbeiten. Ein verblüffender Effekt zeichnet sich bereits ab: "Es gibt viele Mädchen, die sich für das Ringen interessieren." Trainerin wird Aline Focken sein, Tochter des Cheftrainers und bekannte, erfolgreiche Ringerin. Der pädagogische Ansatz, Kinder zu stärken, ihnen über den Sport Zutrauen zu ihrem Körper und Selbstvertrauen zu vermitteln, stößt wohl auf immer mehr Zuspruch. Auch Stadt und Rat unterstützen den Verein: Der Sportausschuss empfahl jetzt, den Ausbau des Kraftraums, der rund 40 000 Euro kosten wird, mit 15 000 Euro aus der Landssportpauschale zu unterstützen. Das fehlende Geld bringt der Verein auf.

Bot der KSV früher nur zwei Trainingstage an, gibt es jetzt an der Steinstraße Öffnungszeiten durch die ganze Woche hindurch: "Integration", sagt Haeffner, "können Sie nicht machen, wenn Sie nur zweimal die Woche öffnen." Er weiß, dass er und seine Mitstreiter auch so etwas wie Sozialarbeiter sind: "Manchmal kommen auch Kinder, die Hunger haben; so ist das eben", sagt er. Dann bekommen sie erst einmal ordentlich etwas hinter die Rippen. Haffner will auch Kontakte mit der heimischen Wirtschaft knüpfen: "Ich habe hier Jungen, die sind vielleicht in der Schule nicht so gut, aber handwerklich ungemein geschickt und charakterlich stark. Die sind über Jahre pünktlich und absolut zuverlässig bei allen Aufgaben, die sie übernehmen. Ich werbe dafür, dass sie in Betriebe reinschnuppern dürfen und dort eine Chance bekommen."

Dennoch wird das Treffen mit Haffner und Focken nicht zu einem Seminar über Weiterbildung — Ringen, das ist's. Focken, heute 52 Jahre alt, hat bis 39 selbst gerungen: "Der schwerste Gegner war 175 Kilogramm schwer — wenn die auf dich drauffallen, ist das schon hardcore", erzählt er lächelnd. Haeffner, 46 Jahre alt, hat seit seinem siebenten Lebensjahr gerungen, bis er 24 war; seit zehn Jahren ist er wieder im Verein aktiv, als Trainer und seit zwei Jahren als Vorsitzender, wobei er auch sehr viel Geld aus eigener Tasche in den Verein steckt. Sein Herzensprojekt ist auch Familienangelegenheit: Seine Söhne Ben und Philipp ringen ebenfalls im KSV. Warum Ringen? "Dieser Sport existiert nur mit gegenseitigem Respekt", sagt Haeffner; es sei eine tolle Erfahrung, nach Regeln gegen jemanden zu kämpfen, ihm dann die Hand zu geben und freundschaftlich verbunden zu bleiben. Und der Sport ist körperbetont. "Es gibt Ärzte, die schicken Jungen mit ADHS zu uns. Es gibt heute eben Jungen mit zu viel Energie. Wenn die den ganzen Tag vor dem Fernseher hocken, dann drehen die irgendwann durch. Hier können sie sich verausgaben." Wie diszipliniert das abläuft, zeigt eine Vorführung von zwei Jungen: Greifen, werfen, fallen — beide krachen abwechselnd auf die Matte, dass man zusammenzuckt, bis beide feixend und kichernd aufstehen, als wäre nichts gewesen. Kraft, Geschick, Training: Wer hier auf die Matte knallt, weiß, wie er zu fallen hat. Gymnastische Übungen sind ein zentraler Teil des Trainings. "Turner sind die besten Ringer", sagt Haeffner. Es ist wie am Anfang dieses Treffens mit den Starken von der Steinstraße: Es geht um Ringen; der Rest kommt von selbst.

(RP)
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