Nach der Wahl Die "Linke" zu Gast - ein Streitgespräch

Krefeld · Esoterik in der Außenpolitik, Weltfremdheit, Verrat durch Fundamentalismus: Wir sprachen mit den Sprechern der Partei "Die Linke", Heidrun von der Stück und Ratsherr Stephan Hagemes, über Konsequenzen aus der Bundestagswahl.

 "Als Lehrerin erlebte ich täglich, was Kinderarmut ist. In NRW leben 20 Prozent der Kinder in Armut". Heidrun von der Stück Sprecherin der Partei "Die Linke" Krefeld

"Als Lehrerin erlebte ich täglich, was Kinderarmut ist. In NRW leben 20 Prozent der Kinder in Armut". Heidrun von der Stück Sprecherin der Partei "Die Linke" Krefeld

Foto: Lammertz Thomas

Frau von der Stück, Sie haben sich nach unserer Analyse zum Bundestagswahlergebnis über falsche Zahlen beklagt. Was meinen Sie?

 "Wir halten es für grundfalsch, auf den Kapitalismus zuzugehen." Stephan Hagemes Sprecher der Partei "Die Linke" Krefeld

"Wir halten es für grundfalsch, auf den Kapitalismus zuzugehen." Stephan Hagemes Sprecher der Partei "Die Linke" Krefeld

Foto: Lammertz Thomas

von der Stück Sie haben geschrieben, unser Wahlergebnis in Krefeld (Stadt Krefeld Zweitstimmen) liege bei 6,9 Prozent; es lag aber bei 8,12 Prozent. Insofern war auch die Schlussfolgerung, die SPD hätte uns erfolgreich kleingehalten, falsch.

Die Kritik ist insofern berechtigt, als sich die Zahl auf das Gesamtergebnis der Wahlkreise bezog, nicht nur auf das reine Stadtgebiet. Dennoch ist die Linke in Krefeld unter dem Bundesergebnis von 9,2 Prozent geblieben, obwohl das Potenzial in Krefeld mit einer Arbeitslosigkeit von mehr als zehn Prozent größer wäre. Daher die These, dass die Krefelder SPD es geschafft hat, die Krefelder Linke kleinzuhalten.

von der Stück Die SPD kann uns in Krefeld nicht klein halten, wir sind gewachsen. Wir haben in Krefeld einen Stimmenzuwachs von 1951 Stimmen, das sind 26 Prozent. Prozentual haben wir von 6,59 auf 8,12 Prozent zugelegt, das sind 23 Prozent. Und wir verzeichnen seit der Wahl einen Mitgliederzuwachs.

Dieses Phänomen der Eintritte teilen Sie mit der SPD. Zugleich haben beide Parteien im Bund an Gewicht verloren, die AfD gewonnen.

Hagemes Was die Eintritte angeht: Das ist ja vielleicht auch ein Zeichen für ein neues Interesse an der Politik. Dieses ist auch nötig, da die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.

Das behaupten Sie. Die Arbeitslosigkeit geht zurück, die Wirtschaft in Deutschland brummt.

Hagemes Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Der Faktor "Arm trotz Arbeit" ist gestiegen. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt, dass die 40 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen, also mehr als 30 Millionen Deutsche, heute eine geringere Kaufkraft haben als noch vor 20 Jahren. Es gibt also gute Gründe, warum das Bündnis "Reichtum umverteilen" breit aufgestellt ist - mit Kirchen und den Wohlfahrtsverbänden. Von der Stück Außerdem ist der Niedriglohnsektor stark gewachsen; viele der Beschäftigten, die nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, leben in Armut.

Dennoch: Sie malen ein Bild von Armut und Düsternis in Deutschland, das für mich nicht nachvollziehbar ist. Sie richten den Fokus immer nur auf die Zone der Härtefälle. Das ist doch nicht prägend für das Gesamtbild des Wohlstands. Für mich liegt hier auch ein Grund, warum die Linke an Einfluss verloren hat.

von der Stück Als Lehrerin erlebte ich täglich, was Kinderarmut ist. In NRW leben 20 Prozent der Kinder in Armut; das sind Zahlen, die man nicht ignorieren kann.

Die politische Frage ist doch: Warum schafft es jetzt die AfD, die Empörung über solche Zahlen in Stimmen umzusetzen, obwohl das Ihr Thema und das der SPD ist? Die Linke hat es in all den Jahren nicht geschafft, auf Bundesebene zum Machtfaktor zu werden. Meiner Meinung nach auch deshalb, weil sie sich mit fast esoterischen außenpolitischen Positionen etwa zur Nato als Koalitionspartner unmöglich machen.

Hagemes Da kommen wir nicht zusammen. Wir sind überzeugt, dass Friedenspolitik zentral ist für eine demokratische Republik. Darum fordern wir den Stopp aller Waffenexporte, vor allem in Krisenregionen. Wir schaffen selbst Elend und damit Fluchtursachen.

Wir schaffen kein Elend. Wenn Sie auf Afrika anspielen: Das Elend in Afrika schaffen die Afrikaner sich selber.

Hagemes Nein. Die Konzerne des Westens bekommen Rohstoffe aus Afrika zum Schleuderpreis; da werden Regime am Leben gehalten, die mit Demokratie nichts zu tun haben, weil es den Konzernen nutzt. von der Stück Andererseits werden mit europäischen Billigexporten in Afrika heimische Produzenten ruiniert, so wird dort gerade die Lebensmittelproduktion zerstört.

Ja, ja, die billigen EU-Hähnchenschenkel, das Beispiel kommt immer. Glauben Sie im Ernst, das sei das Hauptproblem der Afrikaner? Die Relationen stimmen nicht. Wir reden von zerfallenden Staaten, von grausamen Bürgerkriegen und Eliten, die ihr Volk vor die Hunde gehen lassen. Es bleibt für mich die Frage: Warum haben Sie nicht ein paar extreme Positionen abgeräumt, um koalitionsfähig für die SPD zu werden? Da haben Sie doch die Leute verraten, für die sie hier einstehen wollen.

Hagemes Das sehe ich ganz anders. Ohne den Druck der Linken aus der Opposition wäre der Mindestlohn nicht eingeführt werden. Und wenn die SPD auf uns zugekommen wäre und gesagt hätte: Wir ersetzen Hartz IV durch eine sanktionsfreie und armutsfeste Mindestsicherung, wir schaffen Leiharbeit Stück für Stück ab, wir starten die Entwicklung zu "Wohlstand für alle!" dann hätten wir über einzelne Positionen zur Nato reden können. von der Stück Außerdem geht das so einfach nicht. Unser Ziel ist eine humanistische Gesellschaft, und da kann man sich nicht einfach von zentralen Positionen verabschieden, um ein bisschen mehr Einfluss zu bekommen. Die SPD hat es gemacht und die Quittung bekommen, sie liegt heute bei etwa 20 Prozent.

Die Grünen haben sich verändert von einer Fundi-Truppe zu einer regierungsfähigen Partei und sind regierungsfähig geworden.

Von der Stück Und die Grünen werden für die Beteiligung an Jamaika ihre Quittung bekommen. Alle, die sich bei den Grünen links verortet haben, werden jetzt Probleme kriegen mit dem, was da jetzt kommt. Und für uns ist es ganz entscheidend, dass bestimmte Fragen grundsätzlich angegangen werden, weil wir das anders nicht regeln können. Der Papst ist z.B. eindeutig antikapitalistisch, d.h., die Erkenntnisse sind da und das nicht nur bei uns. Und der Papst ist nun wirklich kein Kommunist oder Sozialist. Die Erkenntnisse sind da, dass der Kapitalismus immer darauf angewiesen ist, zu wachsen, zu wachsen, zu wachsen und jeder Mensch kann sich ausmalen, was es heißt, wenn wir ein unendliches Wachstum hier auf unserem Planeten fordern. Der Planet geht kaputt, wir auch. Hagemes Wir dürfen unsere zentralen friedenspolitischen und sozialpolitischen Forderungen nicht aufgeben. Von Arbeit muss jeder Mensch gut leben können, Pflegenotstand, Kinder- und Altersarmut sind absolut inakzeptabel! Ich glaube, wir haben eher ein Sprachproblem. Wir müssen mehr auf den Bauch zielen. Es nutzt nichts, wenn wir die besten Forderungen haben, sie aber zu kompliziert mitteilen. Natürlich sehen wir bestürzt, dass die AfD von Leuten gewählt wird, die von der Politik der AfD überhaupt nicht profitieren würden. Die AfD will die Arbeitslosenversicherung abschaffen, die AfD will Reiche noch weiter entlasten.

Aber schmerzt es Sie nicht, dass die Linke die Funktion, Wutventil zu sein, nicht mehr hat, sondern die AfD?

von der Stück Wir spielen nicht mit der Angst der Menschen. Bei uns gibt es in der Partei auch Widersprüche, sie ermöglichen Weiterentwicklung und nicht Stillstand. Wir wollen nicht glatt werden. Wir haben Ecken und Kanten. Hagemes Wir halten es für grundfalsch, auf den Kapitalismus zuzugehen. Der Kapitalismus ist nicht fähig, die Menschenrechte zu gewährleisten, noch nicht mal für die Mehrheit der Menschen. Wir sind die einzige Partei im Bundestag, die das Problem beim Namen und sagt: Der Kapitalismus ist sozial und ökologisch nicht tragbar.

Für mich ist das weltfremd. Bringt es Sie nichts ins Grübeln, dass die Staaten der Erde, in denen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und auch der größte Wohlstand herrschen, Staaten mit freier Marktwirtschaft sind?

Hagemes Kapitalverbände und Regierungen fordern in der sogenannten Marktwirtschaft "Wirtschaftswachstum" als oberstes Ziel. Das bedeutet aber immer Kapitalwachstum, dieses Leitmotiv ist kapitalistisch und setzt sich seit Jahrzehnten durch. Der Sozialstaat wird seit 1990 in Deutschland systematisch geschleift, weil es die Konkurrenz der Systeme zwischen Kapitalismus und DDR-Sozialismus nicht mehr gibt. So undemokratisch die DDR war, sie war doch ein Schreckgespenst für den kapitalistischen Westen. Seitdem es diese System-Alternative nicht mehr gibt, wird am Sozialstaat gerüttelt. Daran ist auch die SPD maßgeblich beteiligt gewesen. von der Stück Wir bestreiten ja nicht, dass historisch gesehen der Kapitalismus auch Fortschritte gebracht hat. Er war ein Fortschritt gegenüber dem Feudalismus. Aber wir sagen auch, dass die Entwicklung weitergehen und nach dem Kapitalismus etwas Neues kommen muss. Die Ideologie des "Immer mehr, immer mehr", die nur die Steigerung von Profiten im Auge hat, wird an seine Grenzen stoßen. Laut Oxfam besitzen weltweit acht Männer so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung; das ist ein Skandal sondergleichen. Das kostet Menschenleben und macht die Welt kaputt.

Ich sehe keine Alternative zur sozialen Marktwirtschaft, weil es sich in demokratisch und marktwirtschaftlich organisierten Staaten am besten und am sichersten lebt. Ich kenne auch viele Unternehmer, die ich nicht als "-isten" bezeichnen würde, also als Leute, die als "Kapitalisten" nur ihr Kapital im Auge haben. Die haben sehr wohl Gemeinsinn und fühlen Verantwortung für die Welt und ihre Mitarbeiter.

Hagemes Das ist vor allem beim deutschen Mittelstand der Fall. Er wird es aber zunehmend schwer haben, sich gegen das globale Kapital zu behaupten, wenn die Politik keine humanen Regeln vorgibt. Vielleicht können wir uns darauf einigen: Wenn der Kapitalismus noch nicht abgeschafft wird, dann ist es die Aufgabe des Staats, den Kapitalismus so stark zu regulieren, dass er sozialverträglich ist. Wir glauben, das passiert viel zu wenig und immer weniger.

JENS VOSS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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