Ein Bundestagsabgeordneter erzählt Eine Arbeitswoche in Berlin

Krefeld · Im Dezember sind zwei Bundestagsabgeordnete an einem Tag zusammengebrochen. Wie kam es dazu? Wie belastend ist der Politik-Betrieb? Wir baten den FDP-Bundestagsabgeordneten Otto Fricke, über seinen Alltag in Berlin und in Krefeld zu berichten.

 „Mittlerweile leider übliche, hämische Kommentare im Netz“: Otto Fricke berichtet über den Alltag eines Politikers. Das Foto zeigt ihn bei einer Rede im Bundestag im November 2019.

„Mittlerweile leider übliche, hämische Kommentare im Netz“: Otto Fricke berichtet über den Alltag eines Politikers. Das Foto zeigt ihn bei einer Rede im Bundestag im November 2019.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

(RP) Als Anfang Dezember an einem Tag gleich zwei Politiker im Bundestag zusammengebrochen sind, schreckte das die Öffentlichkeit auf. Auf einmal rückte die Belastung von Politikern in den Fokus; all der Spott über leere Plenarsäle versiegte. Das Politikerdasein, zumal das von Bundespolitikern, ist hart und offenbar ein Gesundheitsfresser. Wir baten den Krefelder FDP-Bundestagsabgeordneten Otto Fricke, von seinen Erfahrungen zu berichten. Hier ist sein Bericht.

Nach knapp drei Stunden Schlaf bin ich wieder auf den Beinen. Es ist 8.30 Uhr am Freitagmorgen. Die Müdigkeit ist diesesmal nicht mein Verschulden; gestern war die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses. In den 17 Sitzungsstunden zurrte der Ausschuss die letzten Details des Bundeshaushaltes für 2020 fest. Anfang um zwölf Uhr am Mittag, Schlussabstimmung um kurz nach fünf am nächsten Morgen. Ich war die ganze Zeit dabei. Ein paar abschließende Änderungen hier, einige Anpassungen dort, ab und an sogar noch völlig neue Anträge. Am Ende stand das Budget für 2020 fest. Alle Einnahmen, mit denen zu rechnen ist, und alle Ausgaben, die vom Bundestag genehmigt werden, sind darin detailliert aufgeführt. Während der ganzen Nacht, aber auch in den wochenlangen Verhandlungen zuvor, war mein Team dabei stets eng an meiner Seite.

Viel Zeit für Schlaf bleibt in dieser Nacht auch deshalb nicht, weil ich am nächsten Morgen um zehn Uhr wieder vor der Bundespressekonferenz mit Kollegen der anderen Fraktionen Rede und Antwort stehen musste. Etwas erschöpft, aber zufrieden, erläutere ich dort die Ideen und Anträge der FDP für das Budget 2020. Anschließend stellen die Journalisten ihre Fragen, die ich hoffentlich präzise beantworten konnte. Wenig später geht es für mich zurück in meinen Wahlkreis, zurück nach Krefeld. Nachmittags um fünf ist hier eigentlich noch Kreisvorstand der Partei. Doch den spare ich mir heute – ausnahmsweise zu Gunsten des Schlafes.

Muss das eigentlich sein? Natürlich ist die Nacht der Bereinigungssitzung für uns Haushälter besonders lang. Doch lange Arbeitstage sind in Sitzungswochen im Bundestag eher ein Normalfall als die Ausnahme. Seit dem dramatischen Schwächeanfall meines  Kollegen Matthias Hauer (CDU) während seiner Plenarrede und dem Zusammenbruch der Kollegin Simone Barrientos (Linke) bei einer namentlichen Abstimmung am gleichen Tag wird häufiger über die Arbeitsbelastung von Abgeordneten diskutiert. Neben den mittlerweile leider üblichen, hämischen Kommentaren im Netz ist jedoch auch eine konstruktive Debatte über die Parlamentsarbeit entstanden. Thematisiert wird dabei etwa das Trinkverbot im Plenarsaal und spekuliert wird darüber, ob eher die Arbeitsbedingungen im Parlament, Schlafmangel oder individuelle gesundheitliche Gründe für die jüngsten Zwischenfälle verantwortlich sind.

Eine normale Sitzungswoche, das bedeutet für mich und die Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen: Die ersten Treffen oft schon um sieben Uhr beim Frühstück. Dann Fraktions- und Ausschusssitzungen, namentliche Abstimmungen, Telefonate, Unterschriftenmappen. Mit meinem Team kläre ich die Themen der Woche, diskutiere Ideen für die nächste Rede und setze Prioritäten für den Kalender. Dazwischen stets ein schneller Blick aufs Smartphone. Oft kommen Anfragen, Unterstützung und Kritik. Email, WhatsApp und Twitter sind wichtige Hilfsmittel, um Kontakt zu den Wählerinnen und Wählern zu halten. Von vielen Seiten wird unsere Aufmerksamkeit verlangt. Die Sitzungen des Bundestages enden insbesondere donnerstags erst spät in der Nacht und beginnen freitags bereits wieder um neun am Morgen. 60 bis 70 anspruchsvolle Arbeitsstunden kommen da schnell zusammen.

Und dann kommt das Wochenende. Das verbringe ich schwerpunktmäßig im Wahlkreis, also in Krefeld und dem Rhein-Kreis Neuss. Freie Zeit gibt es da, aber wenig, denn auch hier will und muss ich präsent sein. Schließlich vertrete ich die Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Von den Menschen, die hier nach Feierabend und an ihren Wochenenden politische Fragen, Ideen und Anregungen, und sei es am Rande einer Karnevalssitzung, einbringen, lebt unsere Demokratie. Nicht zuletzt deshalb verplant mein Büro meine Wochenenden schon seit Jahren häufig wie Arbeitstage. Samstage und Sonntage, die frei bleiben sollen, trage ich frühzeitig im Kalender ein.

Auch in den Wochen, in denen der Bundestag nicht tagt, ist der Abgeordnete im Wahlkreis. Dann besuche ich Veranstaltungen, lokale Betriebe, Vereine oder Diskussionsrunden. Immer wieder bin ich begeistert, welche Projekte vor Ort auf die Beine gestellt werden. Die meisten davon ehrenamtlich. Gerade weil ich dieses intensive Engagement unterstützen möchte, will ich natürlich auch hier dabei sein. Zusammen mit all den Parteiterminen sind das jedoch so viele Veranstaltungen, dass es oft kaum klappt auch nur die wichtigsten im Kalender unterzubringen. Trotz allem Engagement und aller Präsenz höre ich daher nicht selten: „Otto, dich haben wir aber schon länger nicht mehr bei uns gesehen. Wann kommst du mal wieder vorbei?“

Damit kein falscher Eindruck aufkommt: All das mache ich sehr gerne. Ich sehe es als meine Aufgabe, die Stimmen und Meinungen aus der Region in den Bundestag zu tragen, die Belange der Menschen dort zu vertreten und „Otto Normalverbraucher“ besser zu verstehen. Die vielen Emails und Anrufe zu beantworten und vor Ort präsent zu sein, das gehört für mich zu meinem und dem Selbstverständnis meines Teams als Dienstleister dazu. Trotzdem merke ich, dass all das in den letzten Jahren, in Zeiten von Twitter, Facebook, Instagram und Co., immer fordernder wird.

Seit 1996 kenne ich diesen Alltag im Bundestag. Zu Beginn habe ich ihn als Mitarbeiter erlebt und für andere geplant, seit 2002 darf ich ihn als Abgeordneter leben. Die vielen Kolleginnen und Kollegen aus allen Parteien, die ich in dieser Zeit kennen und oft schätzen gelernt habe, sind meist hoch engagiert, ehrlich und leistungsbereit. Gerade aber dieses Engagement führt bei vielen dazu, allen Erwartungen gerecht werden zu wollen. Die Grenzen des eigenen Körpers werden dann oft ignoriert und überschritten.

Für mich ist aber auch klar: Außergewöhnlich ist die Belastung von uns Abgeordneten nicht. Viele andere Berufsgruppen wie Krankenpfleger, Handwerkerinnen, Selbstständige oder Ärztinnen oder diejenigen die ihre Angehörigen pflegen, arbeiten mindestens genauso viel und das für meist deutlich weniger oder gar kein Geld. Arbeitsbedingungen, die die Grenzen der Gesundheit beachten, sind für alle Menschen wichtig. Deshalb müssen wir Abgeordnete hier aufpassen, nicht den Anschein zu erwecken, uns in erster Linie selbst zu bemitleiden.

Trotzdem gilt für uns wie andere: Wir müssen lernen, uns richtig einzuschätzen. Sollte ich Termine auch mit leichtem Fieber oder ersten Grippeanzeichen wahrnehmen? Wie lange funktioniert mein Körper mit Schlafmangel? Wann brauche ich auch mal ein Wochenende für mich? All das darf man nicht hintenanstellen, auch wenn Pflichtbewusstsein natürlich eine sehr wichtige Sache ist. Aber natürlich auch, welchen Stress mute ich anderen zu? Ein klarer Fokus auf das Wesentliche ist deshalb wichtig. Er hilft den Stress zu senken und lässt auch die Entscheidungen besser werden. So versuche ich meinen Alltag zu bewältigen. Eines ist für mich jedoch klar: Parlamentarier zu sein, das ist mein Traumjob. So lange ich darf und kann, möchte ich ihn weiter ausüben.

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