Heimat in Krefeld Die die Heimat schützen

Krefeld · Manfred Sonnen, ausgebildeter Feuerwehrmann und Sanitäter, fuhr in den vergangenen Jahrzehnten bereits mehr als 5000 Rettungseinsätze in Krefeld: "Menschen, die in Not sind und dringend Hilfe brauchen, verlassen sich auf uns."

 Der 58-jährige Manfred Sonnen hat ein besonders großes Herz für die Kleinsten: Jungen und Mädchen im Vorschulalter erklärt er in der Wache Linn, welche Aufgaben die Feuerwehr hat.

Der 58-jährige Manfred Sonnen hat ein besonders großes Herz für die Kleinsten: Jungen und Mädchen im Vorschulalter erklärt er in der Wache Linn, welche Aufgaben die Feuerwehr hat.

Foto: Thomas Lammertz

Es sind diese teilweise mehrere Jahrzehnte alten Bilder, die sich bei Manfred Sonnen in den Kopf eingebrannt haben: Das völlig zerstörte Autowrack in der Krefelder Innenstadt, aus dem die Flammen schlagen. Im Fahrzeug sitzt eine sterbende Frau. Das kleine Kind, das regungslos mit dem Gesicht in einem Gartenteich liegt. Die verzweifelten Versuche des ausgebildeten Feuerwehrmanns und Rettungssanitäters, den kaum dreijährigen Knirps, der eigentlich noch sein ganzes Leben vor sich haben sollte, zu reanimieren.

"Wir haben ihn durch Mund-zu-Mund-Beatmung zurückgeholt", sagt Sonnen. Doch letztlich siegte auch hier der Tod. Es waren nur wenige Stunden, dann starb das Kind in einer Klinik. Das sind nur zwei Erlebnisse aus mehr als 5000 Einsätzen die der gebürtige Krefelder, in der Seidenstadt allein im Rettungswagen gefahren hat. "Doch die ganz speziellen Bilder wirst du nicht mehr los", erklärt Sonnen. "Sie sind in deinem Kopf. Du kannst vor ihnen nicht weglaufen."

Laufen. Manfred Sonnen kennt das. Schnelligkeit ist in seinem Job (überlebens-)wichtig, sein Körper muss seit mehr als 30 Jahren im Schichtdienst extremen Bedingungen standhalten: Der Einsatz und die vorzufindende Situation, das schnelle Eingreifen und Handeln setzt ihn einer durchgehenden Spannung aus. Stress ist gerade in Extremsituationen ein Signal dafür, dass das Gehirn bemüht ist, Erlebtes zu verarbeiten.

"Ich muss dann raus", beschreibt Sonnen die Situation. Er geht allein in die Natur oder auf die Tartanbahn. "Laufen, immer wieder laufen. Sport macht den Kopf frei", sagt der durchtrainierte Mann, der im 10.000-Meterlauf Spitzenplätze bei NRW-Feuerwehrmeisterschaften erreichte. Er ergänzt schmunzelnd: "Und seit die Knie nicht mehr ganz mitmachen, bin ich verstärkt aufs Fahrrad umgestiegen."

Die Fitness des 58-Jährigen, der fast täglich auch im Kraftraum der Wache in Linn zu finden ist, muss stimmen. Das ist quasi Gesetz bei der Feuerwehr. Wenn "Manni" - wie die Kollegen ihn kurz nennen - mit zwei jeweils 15 Kilo schweren Rettungskoffern am Einsatzort in die dritte oder vierte Etage läuft, dann läuft auch die Zeit. "Menschen, die in Not sind und dringend Hilfe brauchen, verlassen sich auf uns. Sie vertrauen uns ihr Leben an. Im Gegenzug haben sie ein verdammtes Recht darauf, dass für sie alles getan wird. Zu diesem Hilfspaket der Feuerwehr zählt auch die sprichwörtliche Sekunde, die das Leben retten kann", ist Sonnen überzeugt.

Sein Blick wandert zu dem tonnenschweren Leiterwagen der Feuerwehr. Und die Halsadern des Mannes in der blauen Uniform fangen an zu pulsieren. "Vor wenigen Tagen musste ich damit zum Einsatzort fahren. Ich bin mit dem riesigen Fahrzeug in der Stadt nicht um eine Kurve gekommen. Mal stört eine Baustelle, die schlampig eingerichtet worden ist, oder es ist ein Pkw oder der Wagen eines Paketboten, der ,nur mal eben' falsch abgestellt worden ist."

Diese vermeintliche Gedankenlosigkeit mancher Mitmenschen macht Sonnen rasend: "Das gilt auch für solche Leute, die bei Rot über eine Fußgängerampel laufen. Ich stehe da mit meiner zweijährigen Enkeltochter und dann kommt so ein angebliches ,Vorbild'." Und wieder machen sich die Gedanken des Feuerwehrmanns auf eine weite Reise in die Vergangenheit. "Es war einer meiner ersten Einsätze. 14 Tage, nachdem ich bei der Berufsfeuerwehr angefangen hatte." Es war ein Kind, das damals beim Überqueren einer Fußgängerampel von einem Pkw erfasst wurde. Es starb an der Unfallstelle.

"Wir konnten nichts mehr machen. Dabei hat es eigentlich nichts falsch gemacht. Seine Ampel stand auf Grün." Auch deshalb versucht Sonnen, seiner Enkelin bei den gemeinsamen Spaziergängen zu erklären, dass man im Verkehr nicht unbedingt auf sein Recht pochen sollte: "Fußgänger oder Radfahrer können hier nur verlieren, besonders schlimm ist es, wenn die Opfer Kinder sind."

Gerade den Kleinsten will der mehrfache Vater und Großvater aus seiner reichhaltigen beruflichen Erfahrung etwas mitgeben. Die Kollegen der Freiwilligen Feuerwehr in Fischeln oder der Berufsfeuerwehr in Linn kennen das. Wenn Kinderstimmen in den Hallen mit den Einsatzwagen aufgeregt durcheinanderplappern, dann ist "Manni" nicht weit.

Staunend schauen die Augen von Mädchen und Jungen aus Krefelder Vorschulklassen hinter die Türen und Klappen eines Einsatzwagens der Feuerwehr. Sonnen erzählt über Schläuche, Spritzdüsen und den 2000-Liter-Wassertank, der sich in der Mitte des Fahrzeugs verbirgt. Das sind 20 Badewannenfüllungen", sagt er und blickt in tief beeindruckte Kindergesichter. Und so manche kleine Stirn legt sich beim Nachwuchs in Falten, wenn "Manni" erklärt, wie eine brennende Kerze richtig ausgemacht wird oder wie überlebenswichtig ein funktionierender Rauchmelder in der Wohnung sein kann.

Doch das ist nicht alles - die Einsatzkräfte machen auch Wünsche wahr: Neben einem kleinen Frühstück gibt es in Linn zum Abschluss das, wovon alle Kinder der Welt träumen: eine Fahrt im großen roten Feuerwehrwagen. Die geht zwar nur über den Hof - dafür aber mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn.

(RP)
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