Krefeld Der Schulkampf von Krefeld

Krefeld · Vor 25 Jahren wurde nach hartem Kampf Krefelds erste Gesamtschule gegründet. Die Schule am Kaiserplatz ist heute akzeptiert. Verblüffend beim Blick zurück ist: Die schulpolitische Debatte hat sich kaum geändert.

 Riesenandrang bei der Schulausschusssitzung am 20. Oktober 1985: Es ging um die Gründung von Krefelds erster Gesamtschule – und um die Frage, welche Schule dafür schließen soll. Ein Protestplakat lautete etwa: "Hände weg vom Arndt".

Riesenandrang bei der Schulausschusssitzung am 20. Oktober 1985: Es ging um die Gründung von Krefelds erster Gesamtschule – und um die Frage, welche Schule dafür schließen soll. Ein Protestplakat lautete etwa: "Hände weg vom Arndt".

Foto: Stadt Krefeld

Es war die größte Schulausschusssitzung in der Geschichte Krefelds: Am 20. Oktober 1985 verfolgten rund 500 Zuschauer die Sitzung in der Aula des Maria-Sibylla-Merian-Gymnasiums, in der es um die Gründung der ersten Gesamtschule für Krefeld ging und um die Frage, welche Schule dafür zu schließen sei.

Am Ende mussten die Hauptschule am Kaiserpark und die Marianne-Rhodius-Realschule weichen. In dieser Woche feiert die Gesamtschule am Kaiserplatz, die nach schmerzhaftem Kampf gegründet wurde, ihr 25-jähriges Bestehen.

Vertieft man sich heute in die Turbulenzen von damals, ist man überrascht, wie sehr sich viele Argumente gleichen. Schon damals wehrte sich die Hauptschule gegen den Vorwurf, "Restschule" zu sein — dagegen protestierte etwa Schulleiter Kühnen 1979, als seine Hauptschule am Kaiserpark ihr 90-jähriges Bestehen feierte.

"Egalitäres Menschenbild"

Mitte der 80er Jahre, als die Debatte um die Gesamtschule in Krefeld voll entbrannt war, machten Hauptschullehrer geltend, dass ihre Schüler an Gesamtschulen "untergebuttert" würden und die Förderung an Hauptschulen besser, weil spezialisierter sei. Hans-Josef Ruhland, damals CDU-Sprecher im Schulausschuss, prangerte das "egalitäre Menschen- und Gesellschaftsbild der Einheitsschule" an und sprach vom "Spuk aus unnötiger Unruhe und Schulauflösungen".

Diese Unruhe in der Stadt ist nicht zu unterschätzen. Schließungen von Traditionsschulen hinterlassen immer Wunden in einer Bürgerschaft. Die Marianne-Rhodius-Schule etwa wurde 1875 als "Bürgerschule für Mädchen" gegründet. 1954 bekam sie den Neubau an der Kaiserstraße, und ironischerweise wurde sie als pädagogisch und baulich hochmodern wahrgenommen: Berichtet wurde von der Auflösung der strengen Sitzordnung im Unterricht oder von ungezwungenen Schulstunden auf der Dachterrasse. Doch die altehrwürdige und zugleich moderne Schule musste der noch moderneren weichen — gegen den erbitterten Protest der Rhodius-Schulfamilie.

Die Befürworter der Gesamtschule hofften auf mehr Chancengerechtigkeit durch diese Schulform. SPD-Politikerin Sigrid Klösges — von Bewunderern als "Mutter der Gesamtschule" gefeiert — begründete ihren Kampf für die Gesamtschule mit einem Argument, das weit in die Zukunft wies: "Viele Eltern haben doch echte Probleme, ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen. In der Gesamtschule haben sie damit so gut wie nichts am Hut. Nachmittags wird in der Schule geübt". Gesamtschulgegner wie die CDU-Politikerin Annemarie Schraps wiederum waren empört über die Bevorzugung der neuen Schulform: Der Ganztag galt als politisch gewollter strategischer Vorteil für die Gesamtschule.

Wie viel pädagogische Hoffnung, ja Heilungs- und Heilsversprechen an die Gesamtschule geknüpft waren, zeigen Worte des ersten Direktors der Gesamtschule Kaiserplatz, Klaus Neubacher. Gefragt, warum er vom Gymnasium Horkesgath an die neue Gesamtschule wechselt, sagte er — seine Schüler mit Gefäßen vergleichend: "Ich gehe zu Krügen, die Sprünge haben. Ich glaube, ich habe Kraft genug zu kleben, zu flicken, zusammenzufügen. Menschen sind wie Gefäße, mit denen man gefühlvoll umgehen muss."

Und in einer Schulbroschüre schwärmte er: "Unsere Kinder, das fällt immer wieder auf, machen keinen bedrückten Eindruck." Es fiel demselben Klaus Neubacher schwer, in der pädagogischen Ebene des Alltags anzukommen. Als 1998 eine Studie des Max-Planck-Instituts für Furore sorgte, wonach der Gesamtschule schwächere Leistungsstände als anderen Schulformen attestiert wurden, tat Neubacher das als "Kulturkampf" ab.

Alles Schnee von gestern. Die CDU hat ihren Frieden mit der Gesamtschule gemacht. Und die Gesamtschulen stellen sich in Zeiten des Zentralabiturs dem Bildungswettbewerb — mit ordentlichen Werten, die allerdings im Landesschnitt hinter dem Gymnasium liegen. 2007 stellte sich nach dem ersten Zentralabitur von NRW heraus, dass an Gesamtschulen die Vornoten stärker von den Prüfungsnoten abwichen als an Gymnasien — die Schüler waren demnach zu gut vorzensiert.

Der Abitur-Schnitt an Gesamtschulen lag 2007 bei 2,86 und an Gymnasien bei 2,6; NRW-Schulministerin Barbara Sommer (CDU) würdigte die Arbeit der Gesamtschulen ausdrücklich anerkennend. Es war klar: Das Abendland würde durch die Gesamtschule weder untergehen noch erlöst werden vom Bösen und Traurigen alles Asozialen und Bildungsfernen.

Kaiserplatz mit exzellentem Ruf

Und heute? Die Gesamtschule Kaiserplatz hat einen exzellenten Ruf, räumt Preise ab und macht mit vielen Aktionen von sich reden. Eine gute Schule eben. Hat sich der Schulkampf also gelohnt?

Im Ganzen darf man sagen: nein. Immer noch beherrschen ähnliche Schlagworte wie vor 25 Jahren die Bildungspolitik: fordern und fördern, kein Kind darf verloren gehen. Und Deutschland hat immer noch ein Problem: Es gibt zu viele Kinder aus bildungsfernen Familien, die in der Schule scheitern. Die unter Schmerzen und Kämpfen eingeführte Gesamtschule ist gerade dabei, den Status als Lieblingskind der Linken zu verlieren — die neue Hoffnung von SPD und Grünen heißt Gemeinschaftsschule.

Die Geschichte der Gesamtschule am Kaiserplatz zeigt vielleicht unterm Strich einfach dies: Wo gute, fachlich versierte Lehrer sind, entsteht eine gute, fachlich versierte Schule, die gute, fachlich versierte Schüler ausbildet.

(RP)
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