Krefeld Der Mann mit dem Sternenmantel geht

Krefeld · Hans-Jörg Böckeler ist seit mehr als 50 Jahren Kantor in Krefeld. Ende Dezember hört er auf. Der 73-Jährige hat die Kirchenmusik modernisiert - ein Musikgenius zwischen Oratorium und ABBA.

Für die Aufführung eines Oratoriums braucht der Dirigent: Chor, Orchester und Solisten. Doch auf Hans-Jörg Böckelers Bedarfsliste für sein "Credo" finden sich auch Schlagzeug, Rock-Tenor und ein ganzes Sinfonieorchester. Und niemanden wundert es. Eingefahrene Strukturen - so etwas gibt es bei Böckeler nicht: Die Wiederholung des stets Gleichen ist für ihn reizlos. Wenn die Form nicht variiert, verliert der Inhalt an Wirkung, ist seine Überzeugung. Deshalb hat er schon früh begonnen, den Kerntexten der Römischen Liturgie eine Auffrischung zu verpassen. Hans-Jörg Böckeler ist einer der Wegbereiter des Neuen Geistlichen Liedes, einer der alle Grenzen zwischen Klassik und Pop überschreitet und lustvoll die Vielfalt lebt. Ende des Jahres legt er sein Amt als Kantor der Friedenskirche nieder. Aus gesundheitlichen Gründen. Denn der Musik ist der 73-Jährige noch lange nicht müde.

Seit einem halben Jahrhundert ist er Kantor, und das geflügelte Wort "mit Leib und Seele" muss jemand in die Welt gebracht haben, der Böckeler kennt. Schon als Fünfjähriger nahm er bei seinem Vater Klavierunterricht, mit zwölf übernahm er als Organist in Bonn seinen ersten Gottesdienst, mit 15 leitete er sein erstes Vokalensemble. Er bestand die Frühbegabtenprüfung für Kirchenmusik am Robert-Schumann-Institut. Schon während des Studiums war er ab 1962 als hauptamtlicher Kirchenmusiker an mehreren Pfarren eingesetzt.

1966 - nach dem Examen - kam er nach Krefeld. Hier beginnt die eigentliche Erfolgsgeschichte. An der Dionysiuskirche war der junge Kaplan Wilhelm Willms von ähnlichem Kaliber wie der Musikus. Die Chemie stimmte, und als Pioniere wollten beide fortan den progressiven Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils auch in die Krefelder City holen. Dazu suchten sie nach neuen Formen für die Glaubensverkündigung und nach neuen Liedern. Zwischen dem wortmächtigen Willms und dem musikbeseelten Böckeler reifte eine innige Freundschaft - und zugleich eine kongeniale Arbeitsgemeinschaft. Sie feierten die "Gottesdienste am Dienstagabend", ein österliches "Anti-Tod-Festival" 1973 in der Fußgängerunterführung am Hauptbahnhof und brachten jede Menge Bewegung in die Liturgie: Willms galt als Dichter und Vordenker des neuen Geistlichen Liedes. Böckeler gab den Worten musikalischen Klang, setzte sie kraftvoll in Szene. Viele ihrer Lieder gehören heute zum Standardprogramm in katholischen wie in evangelischen Kirchen.

Auch als Willms 1973 St. Dionysius verließ, und Böckeler zwei Jahre später, hielt die Freundschaft und die Arbeitsgemeinschaft. Ein Höhepunkt ihres gemeinsamen Wirkens ist das zweieinhalbstündige Rock-Oratorium "Credo". Als "Kevelaerer Kredo" hatte Willms es 1976 verfasst. 1990 zum 350-Jahre-Jubiläum der Gnadenkapelle Kevelaer erhielt Böckeler den Auftrag, das Werk zu vertonen. Die zentrale Besonderheit des Textes liegt darin, dass die einzelnen Aussagen des Glaubensbekenntnisses nicht nur in neue Worte gefasst, sondern auch hinterfragt und angezweifelt werden, um dann - gerade aus dieser Reflexion heraus - aus vollem Herzen bestätigt zu werden. Im Juni, 25 Jahre nach der Komposition, hat Böckeler das Werk noch einmal neu aufführen lassen. In der Friedenskirche trat die Besetzung der Uraufführung an, aber Böckeler hat die Partitur noch einmal überarbeitet und für ein Sinfonieorchester vergrößert. "Ich konnte das Klassische und Zeitlose so besser herausarbeiten und dem Aufrüttelnden des Textes von Willms noch mehr Tiefe geben", hat er dazu erklärt.

Groß-Aufgaben schätzt der Kirchenmusiker: Als das Erzbistums Bamberg zu seiner 1000-Jahr-Feier 2006/07 einen Wettbewerb für neue Kirchenlieder ausschrieb, bewarb sich Böckeler mit Klaus Lüchtefeld, dessen Liedtexte er bereits häufig vertont hatte. Ihr Beitrag war ein ganzes Ordinarium für Solo, Chor, Gemeinde, Orgel, Combo und Percussion - und holte einen Sonderpreis: "Der Sternenmantel". Vorlage war ein edel bestickter Mantel, den Kaiser Heinrich II. dem Bistum Bamberg zu dessen Gründung geschenkt hatte. "Bei der Komposition habe ich die Friedenskirche im Kopf gehabt", erzählte Böckeler damals. Und als die 42 Stimmen des Dio-Chores, die Rhythmusinstrumente, Solisten und Combo an unterschiedlichen Stellen der Kirche erklangen, war hörbar, was der Komponist meinte: "Die Urtext-Vorlage gerät in Bewegung und wird durchlässig. Sie wird übersetzt, unterbrochen, teilweise ausgespart und durch neue Texte wie Haiku, hymnische Passagen, freie lyrische Elemente und Strophenlieder ergänzt oder ersetzt." Mit dem Dio-Chor hat Böckeler nicht nur Klassik bedient, die großen Requien und Oratorien aufgeführt. Gefeiert wurden auch die Ausflüge in die Musikwelten von ABBA, Les Humphries und den Beatles.

(RP)
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