Krefeld Der Feind im eigenen Körper

Krefeld · Die autobiographische Tanzperformance "Leviah" berührt. Die israelische Tänzerin, Choreographin und Texterin Reut Shemesh zeigte das Stück am Wochenende in der Fabrik Heeder.

 Im Stück "Leviah" in der Krefelder Fabrik Heeder: Die Tänzerinnen Hella Immler und Reut Shemesh spielen mit den Grenzen von Verletzung und Kontrolle noch lange nach dem Militärdienst.

Im Stück "Leviah" in der Krefelder Fabrik Heeder: Die Tänzerinnen Hella Immler und Reut Shemesh spielen mit den Grenzen von Verletzung und Kontrolle noch lange nach dem Militärdienst.

Foto: Shendar

Welche Erfahrungen die israelische Tänzerin während ihrer Zeit beim Militärdienst gemacht hat und an welchen Fronten sie dabei kämpfen musste, wird in dem dichten Stück deutlich, das die Choreographin Reut Shemesh am Samstag in der Fabrik Heeder zeigte: "Leviah" - ein Nachspieltermin des Festivals "tanz nrw 17" - wurde mit dem Kölner Tanztheaterpreis der SK Stiftung Kultur ausgezeichnet. Für die israelische Tänzerin, Choreographin und Texterin Reut Shemesh muss die Text- und Stückentwicklung von Leviah etwas zutiefst Befreiendes, gar Reinigendes gehabt haben. Wie alle Israelis musste Shemesh in ihrem Heimatland 21 Monate Militärdienst leisten. In der Zeit zwischen November 2000 und Juli 2002, so schreibt Shemesh, sind ihr vor allem schlechte Dinge widerfahren.

Was bedeutet es, als junge, 18-jährige Frau den Militärdienst abzuleisten? Und wie sieht der Umgang mit der einschneidenden Erfahrung aus? "Diese Institution", schreibt Shemesh in ihrem kurzen, begleitenden Stücktext, "ist eine Art männliche Verschwörung, einige von ihnen mögen es, Frauen mit oder ohne Uniform zu sehen, andere wiederum mochten es, uns weinend zu sehen". Bereits in diesen wenigen Zeilen wird deutlich, in welch hierarchischen und von sexueller Unterdrückung geprägtem System sich Shemesh während ihres Staatsdienstes zurechtfinden musste.

Den Rahmen von Leviah, was auf Hebräisch "Kämpferin" oder "Löwin des Herrschers" bedeutet, bildet ein starker, in fünf Kapitel unterteilter Text. Er ist den Tanzszenen vorangestellt und wird in englischer Sprache von einer monotonen, weiblichen Computerstimme aus dem Off gesprochen. Zu Beginn wird eine karge, schwarz-weiße Wüstenlandschaft auf die große Leinwand projiziert. Noch ist die Kulisse menschenleer und wirkt geradezu friedlich, doch im Verlauf der 50-minütigen Performance wirbelt Shemesh ordentlich Staub auf. Sie tut dies nicht allein. Mit der Tänzerin Hella Immler finden beide sehr expressives Tanzvokabular für das, was sich während der 21 Monate in Shemeshs Leben abgespielt hat. Das attraktive Frauen-Duo ist vor allem in den abgehackten und repetitiven Bewegungen sehr gut, oft berühren sie mit einer Hand zärtlich ihren Unterleib und mit der anderen ihr Herz, verdecken die Augen der jeweils anderen, so als wollten sie das Geschehen um sie herum ausblenden. Sie laufen aufeinander zu, prallen ab und stehen wieder auf. Gemeinsam marschieren sie im Gleichschritt, ballen Siegerfäuste und stehen stramm - erst ist es Shemesh, die souverän das Kommando vorgibt, dann ist Immler Anführerin. Ihre zierlichen in eine khakifarbene, körperbetonte Uniform gekleideten Körper wirken zuweilen wie Marionetten, ein starkes Symbol für die Fremdbestimmtheit mit der Shemesh während ihres Staatsdienstes konfrontiert war. Ein Moment tiefer Verletzlichkeit zeigt sich, als Shemesh unerwartet am vorderen Bühnenrand uriniert, erst sind es nur ein paar Tropfen, dann immer mehr - ein starkes Bild für Kontrollverlust, das sich hier Bahn bricht und das Publikum spürbar in eine kurze Atempause versetzt. Die Mischung aus ausdrucksstarken Gebärden und Blicken zwischen den Tänzerinnen und den mit Sorgfalt ausgewählten Textzitaten, liefert den Zuschauern einen intimen Einblick in das Leben einer jungen Frau, die nicht als Opfer, sondern als Leviah, also Kämpferin und Heldin aus dieser Zeit hervorgeht.

(RP)
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